EZB: Wie irrige Inflationsprognosen zu falscher Politik führen

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Fragwürdige Inflationsbekämpfung und Einkommensverluste. Die beabsichtigte Dämpfung von Zweitrundeneffekten geht auf Kosten der schwächeren Marktteilnehmer. Ein Gastbeitrag.

Das Vertrauen der Bürger, dass die EZB den Geldwert schützen und sie durch die Eindämmung der Inflation vor Einkommensverlusten bewahren kann, ist schwer lädiert.

Eine von t-online in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage brachte im Oktober letzten Jahres zutage, dass die Deutschen zum damaligen Zeitpunkt mehrheitlich nicht mehr glaubten, dass die Zinserhöhungen der EZB – entgegen ihrer Behauptung – geeignet waren, etwas gegen die Inflation auszurichten.

Inzwischen trauen sogar die eigenen Mitarbeiter, darunter Fach- und Führungskräfte, der EZB im Hinblick auf Inflationsbekämpfung nicht mehr über den Weg. Einer Umfrage der EZB-Gewerkschaft Ipso zufolge haben sie nur wenig Vertrauen in die Führungsriege rund um ihre Präsidentin Christine Lagarde und das EZB-Direktorium.

Fast zwei Drittel der befragten Mitarbeiter zeigten sich hinsichtlich der Fähigkeit der EZB besorgt, sie vor Kaufkraftverlusten zu bewahren.

Der Umfrage zufolge gehen die EZB-Mitarbeiter davon aus, dass die für 2023 vereinbarte Gehaltssteigerung von etwa vier Prozent längst nicht zum Inflationsausgleich ausreicht, da es der Zentralbank nicht gelingen wird, die noch immer fast im zweistelligen Bereich liegende Inflation rechtzeitig zu vermindern.

Wie angeschlagen das Vertrauen in die Geldpolitik der EZB auch in der Wirtschaft ist, zeigt eine gerade veröffentlichte Umfrage des Center for Financial Studies (CFS). Demnach sieht ein großer Teil der Fach- und Führungskräfte in der deutschen Finanzbranche eine Mitverantwortung der EZB für die hohen Inflationsraten.

Lange sei die EZB untätig geblieben, obwohl viele Marktteilnehmer bereits Mitte 2021 "rechtzeitig vor den Gefahren der Inflation gewarnt hätten und die EZB zum Handeln aufgefordert" haben, so der Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, Hubertus Väth. Mit Zinserhöhungen hat sie erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 reagiert. Jetzt laufe die EZB der Inflation hinterher und müsse erst "wieder Glaubwürdigkeit aufbauen".

Erwartungsmanagement

Das dürfte der EZB jedoch schwerlich gelingen, denn sie hat das vonseiten der Wirtschaft und der Bürger entgegengebrachte Vertrauen nicht nur enttäuscht, sondern nach Auffassung des Verfassers dieser Zeilen sogar missbraucht. Bisher hat die Strategie der EZB zur Inflationsbekämpfung kaum darauf beruht, den Verbraucherpreisanstieg mit geldpolitischen Mitteln zu bekämpfen.

Noch immer, so Bundesbankpräsident Joachim Nagel, sei die EZB mit ihrer Geldpolitik nicht im sogenannten restriktiven Bereich angekommen.

Demnach wirkt die Geldpolitik – bei gegenwärtig zweistelligen Inflationsraten und kurzfristigen Leitzinsen von nur drei Prozent – nachfragefördernd und inflationsstärkend und nicht marktschädigend. Die EZB hat mit Zinserhöhungen erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahres reagiert und dies erst, als sie infolge des Kursverfalls des Euro gegenüber dem US-Dollar von fast 30 Prozent gar nicht mehr anders konnte.

Anstatt zu handeln, setzt die EZB bei der Inflationsbekämpfung nach wie vor auf Worte. Seit mehr als zwei Jahren baut sie darauf, dass sie die Inflation im Zaum halten kann, indem sie möglichst niedrige Inflationserwartungen in der Gesellschaft verankert.

Das Kalkül dabei: Wenn alle Marktteilnehmer, insbesondere Unternehmen und Erwerbstätige, mit einer niedrigen Inflation rechnen, orientieren sie ihre Preis- und Lohnforderungen daran.

So werden vor allem diejenigen Marktteilnehmer, denen es ihre Marktposition kaum erlaubt oder die das Risiko scheuen, ihre gestiegenen Kosten vollständig zu überwälzen, bereits erlittene Einkommensverluste eher hinnehmen – in der Erwartung, dass die Inflation unter Kontrolle bleibt.

Zudem werden sie auf Preiserhöhungen oder Lohnforderungen verzichten, die oberhalb der von den Zentralbanken prognostizierten Inflationsrate liegen.

Wohlstandsverluste abladen

So versuchen die Zentralbanken in die aktuell laufende Auseinandersetzung darüber einzugreifen, wer vor allem die Lasten der steigenden Energiepreise letztlich tragen wird. Sie erleichtern es den besser positionierten Marktteilnehmern, die Verluste bei anderen abzuladen.

So versuchen sie, die von ihnen besonders gefürchteten Zweitrundeneffekte zu dämpfen und sie wollen dadurch verhindern, dass ihnen der Preisauftrieb aus dem Ruder läuft.

Dass es exakt darum geht, hat der Chefökonom der EZB, Phillip R. Lane, vor kurzem erklärt. In Anbetracht aktueller Tarifauseinandersetzungen in ganz Europa warnte er vor seiner Ansicht nach zu hohen Löhnen.

Denn um zu niedrigerer Inflation zurückkehren zu können, sei die "Erkenntnis notwendig", dass "die Rentabilität der Unternehmen sinken" werde, "und dass die Löhne auch eine Zeit lang nicht mit der Inflation Schritt halten können".

Das ist ein perfides Spiel der Zentralbanken, denn die damit beabsichtigte Dämpfung von Zweitrundeneffekten geht auf Kosten der schwächeren Marktteilnehmer. Unternehmen und Erwerbstätigengruppen, die in Anbetracht eines knappen Angebots über eine starke Verhandlungsmacht verfügen, lassen sich von den Prognosen der Zentralbanken kaum leiten.

Sie setzen Preise und Löhne ihren Möglichkeiten entsprechend durch. Da sich alle anderen Marktteilnehmer jedoch an den Inflationsprognosen orientieren, erleichtert dies den stärkeren Markteilnehmern, Wohlstandsverluste auf die schwächeren zu überwälzen.

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