EZB folgt US-Notenbank mit zweitem großen Zinsschritt

Im dritten Zinsschritt in Folge erhöht auch die Europäische Zentralbank die Leitzinsen. Allerdings viel zu spät. Sie warnt angesichts einer Rekordinflation von 9,9 Prozent vor einem weiteren Anstieg.

Es kommt nun, wie es kommen musste. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat angesichts der Rekordinflation, die in der Eurozone im September schon auf offizielle 9,9 Prozent gestiegen ist, einen nächsten großen Zinsschritt beschlossen und kündigt weitere Zinserhöhungen an.

Der Leitzins wird zum dritten Mal in diesem Jahr erhöht, diesmal von 1,25 auf 2,0 Prozent. Damit folgt die EZB erwartungsgemäß, allerdings stark verspätet, den Zinsschritten der US-Notenbank (Fed) und erhöht ebenfalls zum zweiten Mal in Folge den Leitzins sogar um 75 Basispunkte.

Es bleibt der EZB letztlich kaum ein anderer Weg, da sie lange mit ihrer Geldpolitik dafür gesorgt hat, dass die Inflation im Euroraum außer Kontrolle geraten konnte. Mit einem Leitzins von zwei Prozent bleibt die EZB weiter deutlich hinter den Leitzinsen in den USA zurück, wo die Inflation den Höhepunkt überschritten haben könnte und in den letzten Monaten schon wieder zurückgegangen ist.

Die Fed schwingt auf der anderen Seite des Atlantiks seit längerem die Zinskeule und hat den Leitzins zum 22. September nun auf eine Zinsspanne von 3,0 bis 3,25 Prozent angehoben.

Dass in verschiedenen Währungsräumen – die Bank of England hatte die Zinspolitik noch früher als die Fed gestrafft – die Zinsen wieder deutlich angehoben wurden, hat zur Kapitalflucht aus dem Euroraum geführt. Das trägt auch zur Schwächung des Euros zum Beispiel gegenüber dem US-Dollar bei. Der Euro ist teilweise unter die Parität zum Dollar gesunken.

Das treibt die Inflation zusätzlich an, da Gas und Öl in Dollar gehandelt werden, sich also tendenziell weiter verteuern, wenn der Euro weiter sinkt. Das haben wir hier an verschiedenen Stellen schon detaillierter auch im Rahmen der allgemeinen erratischen Energiepolitik in der EU ausgeführt.

Das bessere Beispiel Schweiz

Dass die Inflation nicht so hoch sein muss, sich sogar noch einigermaßen um die Zielmarke von zwei Prozent herumbewegen könnte, die sich offiziell auch die EZB steckt, dafür ist die Schweiz ein gutes Beispiel. Unsere Nachbarn leben wahrlich auch auf keiner Insel der Glückseligkeit und sind auch keine Selbstversorger bei Energie.

Bisher hatte die Schweiz eine Höchstmarke bei der Teuerung um 3,5 Prozent verzeichnet. Die ist nach der Zinsanhebung durch die Schweizerische Nationalbank (SNB), die frühzeitig auf die steigende Inflation reagiert hat, im September sogar schon wieder gesunken und liegt nun offiziell bei 3,3 Prozent.

Schon das Beispiel Schweiz macht deutlich, dass die gerne angeführten Inflationsgründe, wie Lieferkettenprobleme oder gar der Ukraine-Krieg zwar zur Inflationsentwicklung beitragen, aber bestenfalls zweitrangig sind. Darauf hatte die EZB aber als Ausrede für ihre verfehlte Geldpolitik gerne abgestellt.

Doch das war absurd. Schon im vergangenen November, also mehr als drei Monate vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, der damals nicht einmal absehbar war, lag die von der deutschen Statistikbehörde Destatis besonders stark aufgehübschte Inflationsrate offiziell schon bei 5,2 Prozent.

Die Fehler

Die europäischen Statistiker bei Eurostat bezifferten sie sogar schon auf sechs Prozent. Derzeit liegt sie mit 10,9 Prozent sogar schon deutlich über dem Durchschnitt in der Eurozone. Natürlich treibt auch der Krieg die Inflation weiter an, weshalb es jetzt nicht einfach wird, die hohe Inflation wieder zu drücken, die Eurostat offiziell schon mit 9,1 Prozent angibt.

Es rächt sich in der Eurozone, dass die EZB unter der Führung von Christine Lagarde viel zu lange eine gefährliche Geldschwemme betrieben hat. Es bleibt nicht ohne Konsequenzen, wenn man über 14 Jahre die Notenpressen auf Hochtouren laufen lässt, die Zinsen auf null herunterprügelt und sogar Negativzinsen für Einlagen der Banken bei der Notenbank kassiert.

Verschlimmert wurde der Effekt das darüber, dass die EZB das Problem einer stark steigenden Inflation im vergangenen Jahr fahrlässig ignoriert hat oder einfach versucht hat, darüber einen Teil der ausufernden Staatsverschuldung weginflationieren zu können.

Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer hatte diese erratische Politik in einen einfachen Satz und eine Prognose gegossen: "Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen."

Diese Fehler führen die deutsche Wirtschaft, mit großer Wahrscheinlichkeit die in der ganzen Eurozone, nun erwartungsgemäß in die gefährliche Stagflation. Von der spricht man, wenn eine hohe Inflation mit einer stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaft zusammenfallen.

"Die Inflation wird bleiben"

Auch die EZB-Chefin Lagarde stellte fest, dass sich die wirtschaftliche Aktivität sich im dritten Quartal wahrscheinlich deutlich verlangsamt habe. Auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss in Frankfurt fügte sie zudem an: "Und wir erwarten eine weitere Abschwächung im weiteren Jahresverlauf und zu Beginn des nächsten Jahres."

Es ist wieder einmal fast Realsatire, hört man sich die Ausführungen der EZB-Chefin an, die inzwischen sogar von einer Inflationsrate über acht Prozent ausgeht. Sie musste also erneut ihre eigene Prognose nach oben korrigieren.

Doch noch immer versucht sie, positive Stimmung zu verbreiten und hält eine Rezession zum Beispiel für "unwahrscheinlich". Das ist das Wunschdenken, nach dem sie lange Zeit gegen jede Vernunft prognostiziert hatte, dass die Inflation bald wieder sinken werde.

Nun erklärt Lagarde eigentlich das eigene Scheitern: "Die Inflation ist viel zu hoch und wird es noch geraume Zeit bleiben", sagte sie nach der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstagnachmittag.

Inzwischen liegt die Teuerung also fünfmal so hoch, wie sie nach der Zielvorgabe der EZB sein dürfte. Auf die selbstgestellte Frage, ob die Zentralbank ihre "Aufgabe erfüllt" habe, antwortet sie sogar mit "Nein". Die Konsequenzen aus dem Scheitern will sie aber nicht ziehen. Sie tritt nicht zurück. Die Notenbank-Chefin artikuliert dagegen wolkig, dass es bis zu einer Normalisierung der Geldpolitik "noch viel zu tun gibt".

Man habe jetzt bekräftigt, dass der "künftige Weg und das Tempo bei den Zinsschritten auf der Basis der Datenlage entscheiden wird". Das werde man von Treffen zu Treffen tun. Somit hat Lagarde eigentlich bestätigt, dass bisher nicht eine Datenlage die bisherige Geldpolitik bestimmt hat, sondern Wunschdenken im Frankfurter Turm vorherrschte.

Die EZB müsse nun vor allem dafür sorgen, dass die Märkte und die Bevölkerung der Notenbank dahingehend vertraut, dass sie ihr Ziel von zwei Prozent erreicht. Sonst könnten die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, denn dann würden sich die Preissteigerungen auf lange Sicht festsetzen.

Dabei passiert genau das, da allüberall Gewerkschaften zum Beispiel hohe Lohnforderungen stellen, weil sie dauerhaft von starken Kaufkraftverlusten der Beschäftigten ausgehen. Das kann man nicht den Beschäftigten anlasten, sondern einer EZB-Geldpolitik, die das provoziert hat.

Gegen Kritik, die zum Beispiel an den Zinserhöhungen aus ihrem Heimatland Frankreich auch von ihrem Freund und Präsident Emmanuel Macron kommt, erklärt Lagarde nun, die EZB müsse tun, was sie tun müsse.

Eine Zentralbank muss sich auf ihr Mandat fokussieren; unser Mandat ist Preisstabilität und wir müssen dieses Mandat erfüllen, und dazu alle Instrumente einsetzen, die uns zur Verfügung stehen.

Christine Lagarde

Man müsse die Mittel auswählen, die am angemessensten und effizientesten seien. Das ist deshalb Realsatire, da die Lagarde-EZB ihr Mandat seit dem Amtsantritt vernachlässigt und statt für Preisstabilität zu sorgen vor allem mit der Geldpolitik Konjunkturpolitik betrieben hat, was nicht das Mandat der Zentralbank ist.

Hätte man vor einem Jahr mit Leitzinserhöhungen gegengesteuert, hätte dies womöglich einen Effekt gehabt. Dass diese Erhöhungen jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, kurzfristig Wirkung entfalten können, das bezweifeln viele Experten.

Immer mehr Sektoren

Letztlich bezweifelt das auch die EZB selbst. Schaut man sich die Presseerklärung zu den Entscheidungen des EZB-Rats an, dann wird sehr deutlich, dass die Inflation inzwischen deutlich an Breite gewonnen hat: "Der Preisdruck manifestiert sich in immer mehr Sektoren."

So prognostiziert auch die EZB, dass die hohe Inflation die Realeinkommen privater Haushalte verringert und die Kosten von Unternehmen in die Höhe treibt. Sie wirkt weiterhin dämpfend auf Ausgaben und Produktion und treibt damit die Wirtschaft stärker in Richtung Rezession.

Dass die EZB-Geldpolitik zu einer Verschlechterung des Wechselkurses beigetragen und damit die Inflation weiter angetrieben hat, gibt man nebulös in Frankfurt auch zu: "Die Einkommen im Euroraum werden durch schlechtere Terms of Trade belastet, da die Importpreise rascher steigen als die Exportpreise."

Allerdings schiebt man dann wieder die Hauptlast auf die "hohen Energiekosten", die wiederum "auf die gesamte Wirtschaft durchschlagen". Das stimmt natürlich, doch ist das, wie das Schweizer Beispiel zeigt, bestenfalls nur die halbe Wahrheit.