Inflation: "Je länger man das Problem verschleppt, desto härter werden die Konsequenzen"

Die EZB-Geldpolitik führt in die Stagflation, da die europäische Zentralbank, anders als die US-Notenbank, nicht einmal ansatzweise gegensteuert

Die US-Notenbank (FED) hat zwar sehr verspätet begonnen, mit Leitzinserhöhungen gegen die hohe und steigende Inflation vorzugehen, doch sie hat wenigstens damit begonnen. Vor zwei Monaten wurde zunächst der Leitzins über eine erste und nur schwache Zinsanhebung um 0,25 Punkte erhöht.

USA: Stärkste Anhebung des Leitzinses seit 22 Jahren

Damit lag der geldpolitische Schlüsselsatz in den USA in einer Spanne von 0,25 bis 0,50 Prozent und nicht mehr zwischen 0 und 0,25 Prozent. Dass das viel zu wenig war und nichts am starken Inflationsdruck ändern würde, war allen klar. Deshalb nahm die FED in der vergangenen Woche einen größeren Schluck aus der Pulle. Die US-Notenbank hat den Leitzins um gleich 0,5 Prozentpunkte angehoben. Künftig liegt er also nun in einer Bandbreite zwischen 0,75 bis 1 Prozent.

Das war zwar die stärkste Anhebung des Leitzinses seit 22 Jahren durch die FED. Dass sie aber an der hohen Inflation etwas ändert, darf bezweifelt werden. Die Inflation in den USA war schon im März im Jahresvergleich auf 8,5 Prozent gestiegen. Das ist die höchste Teuerungsrate seit vier Jahrzehnten. "Die Inflation ist viel zu hoch", so US-Notenbankchef Jerome Powell.

Man wisse um die Härten, die eine hohe Inflation provoziere. "Wir handeln rasch, um sie wieder zu senken", versprach er. Deshalb stünden bei den nächsten Sitzungen des Zentralbankrats weitere Erhöhungen im Rahmen von 0,5 Prozentpunkte an, bekräftigte Powell.

Ob die FED wirklich begriffen hat, welche Härten diese hohe Inflation für die einfachen Menschen bedeuten, die immer mehr Kaufkraft verlieren und deren Sparguthaben – soweit vorhanden – entwertet werden, darf tatsächlich bezweifelt werden.

Angst vor Zweitrundeneffekten

Denn sonst hätte auch die FED dem Treiben nicht so lange zugeschaut, das zur weiteren Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten geführt hat. Man hat eher Angst vor Zweitrundeneffekten und einer dauerhaft hohen und steigenden Inflation, weshalb in den USA nun das Ruder herumgerissen wird.

Real ist die Inflation ohnehin schon seit längerer Zeit auch in den USA hoch. Sie zeigte sich lange aber vor allem an den Kapitalmärkten. Wer nicht an die Kapitalmärkte kam, der wurde schleichend enteignet, da man auf der Bank seit Langem keine Zinsen mehr erhält, über immer Negativzinsen und immer neue Gebühren aber längst massiv zur Kasse gebeten wird.

Die Null- und Negativzinspolitik hat inzwischen fatale Auswirkungen und sie wurde, was die Europäische Zentralbank (EZB) angeht, seit vielen Jahren von der Notenbank der Notenbanken in Basel als kontraproduktiv kritisiert.

Seit fast sieben bis acht Jahren weist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auch darauf hin, dass über diese Politik nur Zombie-Banken und Zombie-Unternehmen künstlich am Leben gehalten würden. Die Finanzmarktstabilität wurde darüber nicht gestärkt, wie stets vorgegeben wurde, sondern sie wurde weiter geschwächt.

Vermögensverteilung von unten nach oben

Die Niedrigzinspolitik hatte fatale Folgen. "Sie hat dazu geführt, dass über die Zinssenkungen die Immobilienmärkte, die Aktienpreise enorm stiegen", führt der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, in einem hörenswerten Deutschlandfunk-Interview am heutigen frühen Sonntagmorgen aus. Das hat wahrscheinlich fast niemand gehört, weshalb hier noch einmal ausdrücklich auf den Inhalt verwiesen wird.

"Wer nicht an diese Immobilienpreise und Aktienpreise herankam, der sah in die Röhre", spricht Mayer klare Worte darüber, in welche Richtung die Verteilung der Vermögen stattgefunden hat, nämlich von unten nach oben. "Was wirklich die Vermögensverteilung auseinandergezogen hat, war die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken über die letzten Jahrzehnte", resümiert er.

Man kann eine Politik nicht darauf bauen, dass die Inflationsprognosen, die man stellt, eintreffen würden. Doch das ist aber genau das, was die EZB tut. Sie leitet ihre Zinspolitik aus Inflationsprognosen ein bis zwei Jahre in die Zukunft ab. Sie kann die Inflation aber nicht wirklich oder eher gar nicht korrekt antizipieren.

Thomas Mayer

Allerdings ist das noch sehr diplomatisch formuliert. Die Prognosen der Lagarde-EZB sind schon seit längerer Zeit so absurd, dass man es entweder mit "Verrückten" zu tun hat, wie einst der Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul Krugman, über die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Euro-Rettung urteilte, als Lagarde noch IWF-Chefin war, der die "Rettungsprogramme" für Länder wie Griechenland diktierte.

Oder aber es steckt ein Wille dahinter, eine bewusst durchgeführte Politik. Das ist zu vermuten und zu vermuten ist auch, dass die der EZB sich tief in eine Sackgasse manövriert hat.

Absurde Prognosen

Tatsächlich kassierte die EZB unter der Führung von Lagarde die eigenen absurden Prognosen, wonach die Inflation im Frühjahr sehr schnell wieder sinken werde. Im Gegensatz dazu steigt sie real aber trotz immer neuer Krisenmaßnahmen auf immer neue Rekordwerte. Eine Lehre will man daraus aber nicht ziehen.

Vielmehr kommt die EZB mit immer neuen Ausreden. So kam die russische Invasion in der Ukraine wie gerufen, um sie nun als Inflationstreiber darzustellen. Dabei hat Inflation schon vor dem Krieg immer neue Rekordwerte erklommen. Verschleiert werden soll, dass die Geldschwemme der Notenbanken die Grundlage für die hohe Teuerungsrate ist.

Das alles ist auch der EZB bekannt. Warum sonst hat man sich in Frankfurt schon im vergangenen Sommer argumentativ eine Basis geschaffen, um das Treiben munter fortsetzen zu können? Damals war kein Ukraine-Krieg absehbar, aber die steigende Staatsverschuldung über immer neue Hilfsprogramme offensichtlich. Die soll über eine höhere Inflation zum Teil "weginflationiert" werden.

Das gilt besonders für die hochverschuldeten Länder, wie Lagardes Heimatland Frankreich, die natürlich über die EZB weiterhin auch eine versteckte Staatsfinanzierung erhalten. Deshalb hat die EZB die Zielmarke einer Inflation von "knapp unter zwei Prozent" auf zwei Prozent verschoben.

Viel schlimmer ist aber, dass die Zentralbank jetzt auch "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" akzeptieren will und das "über einen längeren Zeitraum" hinweg. Für die EZB ist selbst eine offizielle Inflation, die fast viermal so hoch ist wie die gesteckte Zielmarke, offensichtlich nur eine "stärkere Abweichung".