EastMed: Konfrontativ und rechtlich fragwürdig
Mittlerweile winken beim Konflikt im östlichen Mittelmeer nicht nur Provisionen von Energie- , sondern auch von Rüstungskonzernen. Rechtsgrundlage der beteiligten EU-Regierungen und der Türkei fragwürdig. (Teil 3)
Im Konflikt im östlichen Mittelmeer positioniert die US-Regierung sich eindeutig aufseiten der griechischen, zyprischen und israelischen Regierung, obwohl vollkommen absehbar ist, dass dies den regionalen Konflikt mit dem engen US-Verbündeten Türkei verschärft (Teil 2: EastMed: Teuer, nutzlos und gefährlich). Gleichzeitig ist der wirtschaftliche und energiepolitische Nutzen für die EU äußerst fraglich (Teil 1: EU-Peripherie: Die Gasvorkommen im Mittelmeer).
Trotzdem unterstützt Brüssel bisher öffentlich die Positionen ihrer Mitglieder Griechenland und Zypern. Die völkerrechtliche Grundlage der griechisch-zyprischen Kooperation ist jedoch weniger eindeutig, als man in Athen Glauben machen will. Die Pläne zur Gasförderung und zur Verlegung von EastMed stützen sich wesentlich auf eine angeblich bestehende "Ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ) zwischen Griechenland und Zypern. Diese Konstruktion, die auch einen Teil der zyprischen Ansprüche auf das Aphrodite-Gasfeld begründet, umfasst beinahe den gesamten ost-westlich verlaufenden Hellenischen Graben.
Das "Kastelorizo-Problem"
Nicht umsonst erließ die griechische Regierung ein entsprechendes Gesetz im Jahr 2011, also unmittelbar nach den ersten Erdgasfunden im östlichen Mittelmeer. Die von Griechenland reklamierte AWZ und die vom viel weiter östlich gelegenen Zypern beanspruchte AWZ können aber nur deshalb zusammenstoßen, weil Griechenland ein winziges Archipel zwischen Rhodos und Zypern für sich beanspruchen kann.
Diese Inselgruppe mit nicht einmal 400 Bewohnern liegt nur drei Kilometer vor der Küste der Türkei, welche mit dem nach der Insel benannten "Kastelorizo-Problem" um eine eigene 200-Meilen-AWZ im Mittelmeer gebracht würde.
Dadurch, dass die griechische Regierung einen AWZ-Anspruch von 200 Meilen Richtung Süden für eine winzige Inselgruppe an der türkischen Küste proklamiert, können die griechische und die zyprische AWZ zusammenstoßen, wie Nils Kadrizke in der Le Monde Diplomatique erläutert:
Das Hirngespinst einer Bi-Wirtschaftszone mit Zypern beruht auf zwei maximalistischen und völkerrechtlich waghalsigen Annahmen. Zum einen, dass sich die zyprische AWZ 250 Kilometer weit nach Westen erstreckt; zum anderen, dass die griechische Insel Kastelorizo eine vollwertige eigene AWZ beanspruchen kann.
Natürlich ist den beteiligten Regierungen vollkommen bewusst, dass diese Konstruktion rechtlich in dieser Form kaum Bestand hätte, also im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens UNCLOS vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) vermutlich nicht anerkannt würde. Allerdings gibt es bisher keinen Kläger, da die türkische Regierung weder das UNCLOS unterzeichnet hat, noch die Zuständigkeit des IGH in dieser Frage überhaupt anerkennt. Und das, obwohl sie bei dem Kastelorizo-Problem nach Ansicht vieler Völkerrechtler sehr gute Aussichten hätte, die griechische 200-Meilen-AWZ südlich der Inselgruppe zumindest deutlich einzuschränken.
Allerdings macht die De-facto-Koalition aus islamistischer AKP und faschistischer MHP keinerlei Anstalten, eine internationale Vermittlung anzustreben. Stattdessen tritt Erdogan mit genauso maximalistischen und rechtlich noch fragwürdigeren Positionen auf. So ist die im wahrsten Sinne des Wortes schräge gemeinsame AWZ zwischen der Türkei und Libyen klar eine Reaktion auf die angekündigte Verlegung der EastMed-Pipeline und die griechisch-zyprischen Ansprüche. Allerdings erkennt niemand außerhalb der Türkei diese Konstruktion an, abgesehen von einem Gremium in der libyschen Hauptstadt, das offensichtlich keine tatsächliche Regierungsmacht ausübt.
Europas Südchinesisches Meer
Schaut man auf die wirtschaftlichen, energie- und sicherheitspolitischen sowie rechtlichen Aspekte dieses Konflikts, der immerhin schnell weiter eskaliert, scheint er in Absurdistan zu spielen. Ökonomisch ist zumindest die EastMed-Pipeline nicht tragfähig. In der EU benötigt ohnehin niemand diese Gasressourcen, zumal die Erschließung weiterer fossiler Quellen gegen alle Klimaziele verstößt. Rechtlich beruht zumindest ein relevanter Teil der griechisch-zyprischen Ansprüche auf fragwürdigen Konstruktionen. Trotzdem scheinen die beteiligten Regierung gegenwärtig fest entschlossen, ihren jeweiligen Konfrontationskurs fortzusetzen.
Warum lassen sich EU-Politiker in Streitigkeiten um Erdgasvorkommen oder ein Pipelineprojekt hineinziehen, das unmittelbar an ihrer eigenen Haustür zu militärischen Spannungen führt? Die beiden internen Faktoren heißen Griechenland-Zypern und Frankreich. Indem sich Griechenland von Zypern über in das Projekt in die Probleme des östlichen Mittelmeers hat hineinziehen lassen, wurde das Problem überhaupt erst zu einem EU-Problem. Als solches fühlte sich der französische Präsident veranlasst, in der Region selbstbewusste Machtprojektionen auszuüben.
Angesichts des Streits mit der Türkei setzte die konservative griechische Regierung mittlerweile ein umfangreiches Aufrüstungsprogramm im Wert von 10 Milliarden Euro an. Unter anderem will Griechenland amerikanische F-35-Kampfflugzeuge anschaffen, aus Frankreich 18 Kampfjets vom Typ Rafale sowie vier neue Fregatten. Unter Anerkennung dieser Milliarden-Investitionen unterstützt Frankreichs Präsident natürlich die griechische Position und lässt die französische Marine gemeinsam mit Griechenland Manöver durchführen. Zudem ist der französische Multi Total seit dem vergangenem Jahr selbst direkt an der Erschließung der von Zypern beanspruchten Erdgasfelder beteiligt.
Meldungen über neue Aufrüstungspläne kommen natürlich auch aus der Türkei und aus Israel. Dort hat die geplante Anschaffung von weiteren deutschen U-Booten der Firma Thyssen-Krupp dem Umfeld des Premierministers allerdings zusätzliche Ermittlungen wegen Korruption eingehandelt. Öffentlich hatten Regierungsvertreter den angeblichen Bedarf an neuen U-Booten und Korvetten unter anderem damit begründet, dass Israel seine neuen Erdgasplattformen im Mittelmeer schützen müsse. Allerdings hatte die Militärführung selbst diesen Bedarf zunächst nicht gesehen.
Die Auftragsvergabe
Eine der Schlüsselfiguren in der Affäre, Miki Ganor, kassierte als Provision 3,7 Prozent auf die Gesamtsumme jedes einzelnen Deals, so Yossi Bartal und Itay Mashiach in einer Recherche für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel. Diese Provisionen sind sicher eines der zentralen Geheimnisse, wenn es darum geht, für die Gesellschaft offensichtlich nutzlose oder sogar gefährliche Entscheidungen von bestimmten Politikern zu erklären. Bei großen Projekten, etwa im Energie- oder im Rüstungssektor, geht es schnell um Milliardensummen, entsprechend belaufen sich schon die einigermaßen legalen Provisionen auf zweistellige Millionenbeträge.
Kuriose Probleme im Bereich der öffentliche Auftragsvergabe hatten etwa den Beginn der Erschließung der Gasfelder vor der israelischen Küste verzögert. Dass die damalige Regierung zunächst exklusiv Förderlizenzen an die texanische Firma Noble Energy und ihren israelischen Partner Dilek Drilling vergab, hatte für erhebliche Konflikte gesorgt.
Bis dahin hatten die israelischen Gemeinden einen großen Teil ihres Gasbedarfes über die Pipeline aus Ägypten abgedeckt. Mit der Entdeckung des riesigen Leviathan-Feldes im Dezember 2010 verband sich unmittelbar die Hoffnung auf eine Energieunabhängigkeit, die Aussicht auf sinkende Energiepreise und natürlich lukrative Geschäfte.
Als wenige Monate später auf dem Sinai spektakuläre Anschläge auf die ägyptische Pipeline verübt wurden, riefen Netanjahu und sein Energieminister Silvan Shalom zur Eile und vergaben die Konzessionen kurzerhand ohne Ausschreibung direkt und exklusiv an die Texaner sowie an Delek Drilling. Die beiden Firmen erhielten damit zunächst ein absolutes Monopol auf die israelische Gasförderung, ein Umstand, der auch die Hoffnung auf sinkende Gaspreise umgehend dämpfte.
Das Konfliktpotential
Diese fragwürdige Entscheidung führte zu erheblichen Konflikten in der Regierung, doch Benjamin Netanjahu widersetzte sich über mehrere Jahre hartnäckig den Entscheidungen von Koalitionspartnern und Kartellbehörden, die Lizenzvergabe zu öffnen. Erst als David Gilo, Kommissar der Kartellbehörde, im Mai 2015 aus Protest medienwirksam seinen Rücktritt ankündigte, einigte sich seine gerade neu gebildete Regierung darauf, die ohnehin bereits beschlossene Aufteilung der Lizenzen auch wirklich umzusetzen.
Neben solcherlei pekuniären Motiven spielt aber offensichtlich auch eine Tendenz zu atavistischem Verhalten eine Rolle, wenn es darum geht, der Öffentlichkeit schwer vermittelbare Entscheidungen zu begründen. Die Art und Weise, wie sich zunächst vor allem Recep Tayyip Erdogan auf die Brust trommelte und lautstark allerlei nationale oder gar religiöse Argumente anführte, erinnert gefährlich an längst überwunden geglaubte Politikformen aus dem 19. Jahrhundert.
Ernsthaftes Konfliktpotential entwickelt diese Politikform aber erst, wenn sie eine spiegelbildliche Gegenseite findet, etwa in Benjamin Netanjahu oder zuletzt verstärkt auch in Emmanuel Macron. Ohne den Furor, mit dem auch noch der widersinnigste Unfug zum ureigensten nationalen und damit verteidigungswürdigen Interesse deklariert wird, kommt auch diese aktuelle Dynamik der Konfrontation nicht aus.
Die EU-Regierungen jedenfalls wären gut beraten, sich ganz schnell und konsequent aus diesem Konflikt herauszuziehen, den die beiden engen US-Verbündeten Türkei und Israel im östlichen Mittelmeer angebahnt haben. Die Provisionen für eine Handvoll Politiker und Parteien aus Energie- und Rüstungsdeals sind es nicht wert, sich in eine dauerhafte Konfrontation hineinziehen zu lassen. Energiepolitischt sind diese Projekte für die EU sinnlos, wirtschaftlich fragwürdig und klimapolitisch ohnehin von vorgestern.
Die am 11. Dezember beschlossenen Klimaziele sind ein hervorragender Anlass, sowohl die EastMed-Pipeline als auch jede Beteiligung an den umstrittenen Offshore-Vorkommen im östlichen Mittelmeer zu suspendieren. Dann bleiben an der Peripherie der EU immer noch Großbritannien und die Visegrád-Troublemaker, welche für das kommende Jahrzehnt vorhersehbar Unruhepotential in die Gemeinschaft tragen werden.