Ecuador: Hasta la victoria siempre!

Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" - Rezept für die Emanzipation Lateinamerikas oder Staatsdiskurs?

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Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa ist einer der südamerikanischen Staatschefs, die sich den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ auf die Fahnen geschrieben haben. Im Januar jährte sich sein Amtsantritt erstmals. Der Ökonom erfreut sich in der Bevölkerung nach wie vor einer hohen Popularität, rund zwei Drittel der EcuadorianerInnen fühlen sich von ihm gut repräsentiert. Tatsächlich hat Correa sein wichtigstes Wahlversprechen umsetzen können: Die Verfassungsgebende Versammlung, in der zwei Drittel der Abgeordneten der Regierungsliste angehören, arbeitet seit Anfang Dezember an der neuen Charta Magna und der Reform der staatlichen Institutionen. Das politische Experiment, das in Ecuador stattfindet, ist für ganz Lateinamerika von Bedeutung. Die Bilanz von einem Jahr Correa-Regierung gibt Anlass, darüber zu reflektieren, was sich hinter dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts" real verbirgt.

"Wir haben mehr Geld in das Wohlergehen unserer eigenen Leute investiert, als wir den ausländischen Gläubigern gezahlt haben. Uns interessiert nicht so sehr, wie gut es den Reichen geht, sondern eher, wie viel besser es denen geht, die am wenigsten haben“, so Correa in seiner Regierungserklärung am 18. Januar. In der Tat überstiegen die Sozialausgaben erstmals die Summe, die Ecuador in den Schuldendienst investierte. Die Sozialhilfe für die Ärmsten und das Wohngeld wurden verdoppelt, der staatliche Mindestlohn heraufgesetzt, ein Mikrokreditprogramm zu bescheidenen 5% Zinsen aufgelegt, die Ausgaben für Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Infrastruktur erheblich gesteigert. Erste Auswirkungen machen sich bemerkbar, beispielsweise eine Verringerung der Wartezeiten in öffentlichen Krankenhäusern, da mehr ÄrztInnen zur Verfügung stehen.

Noch Ende Dezember wurde eine Steuerreform verabschiedet, die nach europäischen Standards wenig spektakulär klingt, bei der ecuadorianischen Oberschicht jedoch für Entrüstung sorgte, da sie eine gerechtere Verteilung des Reichtums zum Ziel hat: Gestaffelte Einkommenssteuer, satte Besteuerung von Luxusautos, Grundbesitz und Erbschaften ab einer bestimmten Höhe, und Strafen für Steuerhinterziehung.

Das Wirtschaftswachstum sei mit 3 % im Vergleich zu den 4,9% im Vorjahr gering ausgefallen, bemängelt die Opposition. Den Ökonomen Correa kann derlei Kritik nicht aus der Fassung bringen. Das geringe Wachstum sei noch eine Nachwirkung der schlechten Planung der Vorgängerregierung, insbesondere in der Erdölbranche. Hier hat Correa im Oktober festgelegt, dass die zusätzlichen Gewinne aus dem hohen Weltmarktpreis für Rohöl künftig zu 99% dem Staat zufallen, und nur zu einem Prozent den ölfördernden Unternehmen. Bis dahin hatte ein Verhältnis von 50:50 gegolten. Der staatliche Ölkonzern Petroecuador, so der Präsident, sei immer noch von politischen Mafias durchzogen und korrupt – man arbeite daran, ihn effizienter zu gestalten. Die versprochene Zinssenkung steht noch aus.

Wir werden uns mit den Bankiers zusammensetzen und verhandeln, aber nicht darum, ob sie die Zinsen senken oder nicht, sondern darum, wie sie das bewerkstelligen können.

Rafael Correa

Innen- und außenpolitische Weichenstellungen

2007 war in Ecuador ein Jahr der permanenten politischen Konfrontation. Banken, Unternehmerverbände, die im Besitz der Banken befindlichen Privatmedien und die im Parlament vertretene Parteienoligarchie versuchten mit allen Mitteln, die Reformen der Regierung Correa zu torpedieren. Inzwischen hat die Verfassunggebende Versammlung (VV) Anfang Dezember das Parlament kurzerhand nach Hause geschickt – womit die traditionellen Parteien ihre wichtigste Bühne verloren haben.

Die Privatmedien sind nicht mehr die alleinigen Meinungsmacher, seitdem die Regierung hat einen öffentlichen Fernsehkanal, eine staatliche Tageszeitung und einen staatlichen Radiosender eingerichtet hat. Auch wenn deren Inhalte noch verbesserungswürdig sind, haben Bürger jetzt zumindest die Möglichkeit, die Debatten um die neue Verfassung live zu verfolgen. Mehrmals gab es Versuche, die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Milch künstlich in die Höhe zu treiben, woraufhin die Regierung deren Preise per Dekret festlegte.

Vor wenigen Tagen wurde durch eine Videoaufnahme enthüllt, dass oppositionelle Hintermänner, vermutlich der Ex-Präsident Lucio Gutiérrez, versuchen, Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung durch große Geldsummen dazu zu bewegen, die neue Verfassung zu torpedieren. Einem Abgeordneten des Regierungsbündnisse Alianza País werden in dem Video 3 Millionen US-Dollar angeboten, wenn er Zeit schindet und gegen den endgültigen Verfassungstext stimmt. Die Geldboten behaupten in dem Mitschnitt offen, diese Methode bereits seit den späten 80er Jahren im Parlament stets erfolgreich praktiziert zu haben.

Außenpolitisch hat Ecuador aktiv an der lateinamerikanischen Integration mitgewirkt. Die UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen), mit der die Wirtschaftsräume Mercosur und Andenpakt zusammengeführt werden sollen, soll ihren künftigen Sitz in Quito haben. Die dazugehörige Banco del Sur, eine Entwicklungsbank als Alternative zu den multilateralen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank, wurde bereits Anfang Dezember in Buenos Aires in Anwesenheit von Rafael Correo gegründet . Ferner ist Ecuador der OPEC wieder beigetreten und hat Handelsverträge mit China und dem Iran unterzeichnet. Gegen Kolumbien hat das Land eine internationale Klage aufgrund der Verseuchung des Grenzstreifens mit dem Totalherbizid Glyphosat angestrengt.

Fragwürdige Entwicklungen

Auf den ersten Blick war das erste Amtsjahr von Rafael Correa also ein voller Erfolg. Dennoch regt sich bei kritischen BeobachterInnen in Ecuador auch Unmut und Besorgnis über die Richtung, die das von Correa angeführte politische Experiment einschlägt.

Da ist zum einen die starke Identifikation des politischen Projekts mit der Person Rafael Correa. Zwar strebt dieser nicht wie sein venezolanischer Kollege Chávez die unbegrenzte Wiederwahl an, doch hat er in der Vergangenheit mehrmals die Verfassunggebende Versammlung, die qua Mandat über dem Präsidenten steht, mit Rücktrittsdrohungen unter Druck gesetzt. Der Tonfall des Präsidenten wird zunehmend herrisch – ein Klima, das der konstruktiven Kritik und offenen Debatte nicht eben zuträglich ist.

Dass die Verfassunggebende Versammlung bis zu den für Herbst 2008 vorgesehenen Neuwahlen nun auch legislative Funktionen übernimmt und Funktionäre des Justizapparats absetzen und einsetzen kann, hat bei manchen demokratietheoretische Bedenken hervorgerufen. Statt Gewaltenteilung und gegenseitiger Kontrolle existiert derzeit in Ecuador nur ein Gremium, das zwar die Exekutive in Person von Correa respektiert, die Legislative jedoch komplett und die Judikative gelegentlich übernimmt. „Das war in den Statuten, über die wir im Aprilreferendum abgestimmt haben, so nicht vorgesehen“, bemängelt eine ecuadorianische Soziologin.

Fragwürdig ist auch die Rolle, die die Regierung den Militärs zugedacht hat. So hat sie zum Beispiel ausgerechnet die Marine mit der Restrukturierung des staatlichen Ölkonzerns Petroecuador beauftragt, sowie ihr den Transport des Erdgases für die kommenden 22 Jahre zugeschanzt. Der Straßenbau wird zum Großteil vom Ingenieurskorps des Heeres ausgeführt – in sehr ineffizienter Weise, wie Kritiker bemängeln. Anders als Hugo Chávez in Venezuela kommt Rafael Correa nicht selbst aus dem Militär – was die Frage aufwirft, ob Heer und Marine seine engste Gefolgschaft darstellen oder er sich ihre Loyalität erst mit diesen Aufträgen erkauft.

2008 birgt auch in Sachen Umwelt, Ausbeutung der Bodenschätze und indigene Rechte einigen Sprengstoff. Während die Konföderation der amazonischen indigenen Nationalitäten CONFENIAE und diverse lokale Umweltbewegungen einen kompletten Stopp der Bergbauaktivitäten fordern, tritt Correa für einen „umweltfreundlichen“ Abbau der Bodenschätze ein, der den Staat zu erheblichen Teilen als auch die betroffenen Gemeinden am Gewinn beteiligt. Dafür soll das Bergbaugesetz, das bisher einem Freifahrtsschein zum Ausverkauf zugunsten ausländischer Unternehmen gleichkommt, reformiert werden. Er verhandelt auch mit Lulas Brasilien über eine Mega-Handelsroute quer durch den Regenwald von Manaus nach Manta und will einen neuen Flughafen ins Amazonasbecken bauen – große Infrastrukturprojekte, die eher auf die ökonomische Ausbeutung als auf den Erhalt der Biodiversität der Amazonasregion hinauslaufen.

Auch der vom damaligen Energieminister Alberto Acosta entwickelte Vorschlag, das Herzstück des ecuadorianischen Amazonasurwalds, wo große Rohölvorkommen vermutet werden, unangetastet zu lassen, wenn die Gläubiger des Nordens Ecuador aus ökologischen und klimapolitischen Gründen Schulden in Höhe von 50% der erwarteten Gewinne erlassen, wackelt. Im Herbst unterzeichnete die Regierung bereits eine Umweltkonzession für einen Teil der Pufferzone um das fragliche Gebiet, die dem brasilianischen Konzern Petrobras dort grünes Licht für Bohrungen gibt.

Neuer Hauptwiderspruch im Sozialismus des 21. Jahrhunderts?

Auffällig ist der ökonomisch induzierte Pragmatismus der neuen progressiven Regierungen Südamerikas. So ist der Präsident des iranischen Mullah-Regimes Ahmadinedschad in Venezuela oder Ecuador ein gern gesehener Staatsgast, und Rafael Correa lobt die chinesische Ökonomie in höchsten Tönen, ungeachtet der dortigen miserablen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtslage – zumindest außenpolitisch gilt der von Correa gegen den Neoliberalismus in Stellung gebrachte Leitsatz „Zuerst die Menschen und dann erst die Wirtschaft“ also nicht unbedingt.

Der größte Hafen Ecuadors in Manta wird, so der Präsident, zur Handelspforte Chinas nach Südamerika ausgebaut werden. Generell wird deutlich, dass für den Ökonomen die Wirtschaftspolitik stark im Vordergrund steht. Entsprechend tituliert er sein Projekt, genauso wie Hugo Chávez in Venezuela und der bolivianische Vizepräsident Alvaro García Linera, als Sozialismus des 21. Jahrhunderts.

Dieses Etikett stößt in Ecuador nicht überall auf Gegenliebe. Der kritische Journalist Pablo Davalos konstatiert unter Bezugnahme auf die brasilianische MST, die mexikanische EZLN und die ecuadorianische CONAIE:

Die Rede vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts kommt von den progressiven Regierungen der Region, insbesondere von Hugo Chávez, während die sozialen Bewegungen gleichzeitig eine organisatorische Schwächung erfahren. (...)

Es sind nicht die sozialen Bewegungen, die vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts sprechen, sondern die Regierungen, die sich als links bezeichnen. Diese Debatte steht nicht auf der Agenda der sozialen Bewegungen, die sich immer als Teil einer libertären, dem Sozialismus kritisch und emanzipatorisch gegenüberstehenden Tradition gesehen haben. Die Debatte wurde in der Region vielmehr aufgrund des Bedürfnisses der venezolanischen Regierung nach geopolitischer Legitimation neu lanciert.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist in Wirklichkeit ein Staatsdiskurs, der auf die Akzeptanz einer Regierungsstrategie der Einheitspartei als Staatspartei zugeschnitten ist. Er kommt nicht aus der Dynamik der sozialen Bewegungen und passt auch nicht zu ihr. Er beinhaltet nicht den Reichtum an Mobilisierungen, Debatten und Auseinandersetzungen aus den sozialen Organisationen. (...) Er wird nicht aus dem Respekt für die interne Demokratie der sozialen Organisationen geboren. Seine Positionierung gehorcht mehr einer Regierungsideologie als einer historisch emanzipativen und kritischen Praxis.

Pablo Davalos

In der Tat wird das Konzept vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in Ecuador wenig debattiert, obwohl Correa es seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr als Begriff verwendet. Der Präsident selbst nahm ausgerechnet einen Staatsbesuch in China zum Anlass, um es vor den chinesischen Gastgebern genauer auszuführen. Auf welchen theoretischen Grundlagen basiert dieses Konzept, das Hugo Chávez erstmals auf dem Weltsozialforum 2005 lancierte - womit er den venezolanischen Prozess, der bis dahin eher unter basisdemokratischen Vorzeichen stand, in eine ganz neue Richtung lenkte? Das von dem deutschen, seit 1977 in Mexiko City lehrenden Soziologen Heinz Dieterich entwickelte Theoriemodell ist wie seine klassischen Vorgänger aufs Ökonomische zentriert. Es schlägt eine nichtmarktwirtschaftliche Äquivalenzökonomie vor, ein Demokratiemodell, das Plebiszite und Basisdemokratie in den Vordergrund stellt, einen „angemessenen“ Minderheitenschutz und die Partizipation eines „rational-ethisch-ästhetisch selbstbestimmten Staatsbürgers“. Lateinamerikanische Altmarxisten haben dieses Modell als zeitgemäße Version des Marxismus begeistert rezipiert. Doch bleiben sie, genau wie die Staatschefs von Bolivien, Venezuela und Ecuador, die Antwort auf die Frage schuldig, inwieweit dieser neue Sozialismus sich vom in Kuba praktizierten Modell des historischen Staatssozialismus unterscheiden soll - oder inwieweit er in Bolivien und Ecuador der indigenen Bevölkerung und der Mehrheit der Frauen, die weit mehr darstellen als eine “schützenswerte Minderheit“, endlich zur selbstbestimmten Staatsbürgerschaft verhelfen könnte.

Probleme mit der Partizipation von Indigenen, Schwarzen und Frauen an der Macht

Die historischen Leitfiguren des Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind vielfältig. Hauptsächlich sind es Figuren aus den antikolonialen und Unabhängigkeitskämpfen Lateinamerikas, wie Tupac Amaru oder Simón Bolívar, aber auch frühe Liberale wie Eloy Alfaro aus Ecuador. Sein analytischer Fokus jedoch ist ähnlich eng wie der des historischen Sozialismus: Als hätte es nie Cultural Studies oder feministische Theorie gegeben, konzentriert sich auch der Sozialismus des 21. Jahrhunderts recht stark auf den traditionellen Hauptwiderspruch, sprich, die Ökonomie. Gesellschaftstheoretische und machttheoretische Erkenntnisse aus jüngerer Zeit, wie kulturelle und institutionelle Diskriminierung, ausgrenzende Strukturen und Traditionen überwunden werden können, finden keine Resonanz. Es ist jedoch gerade die systematische und historische Ausklammerung von Indigenen, Schwarzen und Frauen aus staatsbürgerlicher Praxis, politischer Repräsentation und vollwertiger Partizipation, die es so leicht gemacht hat, die lateinamerikanischen Formaldemokratien der letzten Jahrzehnte auf neoliberalen Kurs zu bürsten.

Während die Indigenen aufgrund ihres Anspruchs auf ihre angestammten Territorien samt Unterboden und darin enthaltenen Rohstoffen in Antagonismus zu den progressiven Regierungen zu geraten drohen, stehen auch die Frauenrechte in der neuen linken Konjunktur auf einem eher wackeligen Fundament. Daniel Ortega – eher ein Trittbrettfahrer der neuen linken Konjunktur Lateinamerikas, der seit vergangenem Jahr in Nicaragua wieder an der Macht ist - hat sie seinem strategischen Bündnis mit dem rechtskonservativen Flügel der katholischen Kirche geopfert, indem selbst Abtreibung aus therapeutischen Gründen – also zum Schutz des Lebens der Mutter – unter Strafe gestellt und das Land damit in Sachen weiblicher Selbstbestimmung auf den Stand von vor 100 Jahren zurückkatapultiert wurde.

Ecuador hat zwar alle internationalen Abkommen in Sachen Frauenrechte unterzeichnet – dennoch spricht der Entwicklungsplan 2007-2011 von den Grundprinzipien soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, demokratische Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit, von der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern schweigt er jedoch. Auch Ecuadors Präsident Rafael Correa ist katholisch und hat bereits verkündet, dass er, falls die neue Verfassung Abtreibung legalisiere, persönlich dagegen zu Felde ziehen wird. Der Nationale Frauenrat CONAMU, eine Art Frauenministerium, dessen Leitung in Ecuador allerdings unter Beteiligung von Repräsentanten der Frauenbewegung gewählt wurde, soll in dieser Form aufgelöst und mit einem geringeren Status wieder in die staatliche Institutionenhierarchie eingegliedert werden. Ähnliches wird für den Rat für die indigenen Völker und Nationalitäten Ecuadors CODENPE angekündigt – hier werden von der fortschrittlichen Regierung Correa institutionalisierte Errungenschaften sozialer Bewegungen zugunsten von mehr staatlichem Zentralismus zerschlagen.

Niemand zweifelt daran, dass die nationale Indigenenorganisation CONAIE, die in den 90er Jahren für Ecuador richtungsweisend war, proportional zur Popularität des Präsidenten an politischer Bedeutung eingebüßt hat. Ihr neugewählter Präsident Marlon Santi aus der Amazonasgemeinde Sarayacu steht zwar für eine unnachgiebige Haltung gegenüber Öl- und anderen internationalen Konzernen und für den Schutz und die Autonomie indigener Territorien, es bleibt jedoch die Frage, inwieweit er die Mobilisierungsfähigkeit und den Zusammenhalt der Organisation wieder herstellen kann, um dieser Position öffentliches Gewicht zu verleihen.

Noch lässt sich nicht absehen, wie die neue Verfassung diese für die Zukunft des Landes zentralen Fragen behandeln wird. Dass die in sich recht heterogene Regierungsfraktion in der Verfassunggebenden Versammlung die Mehrheit hat, bedeutet keinerlei Garantie für Indigene, Schwarze oder Frauen. Angestrebt wird in Ecuador offenbar ein präsidiales System, das dem Staatsoberhaupt viel Macht erteilt, dessen Entscheidungen aber häufig durch Plebiszite bestätigen lässt. Wie demokratisch dieses Modell in einem kulturellen Kontext sein kann, in dem autoritäre Gefolgschaft und Führungsfiguren historisch immer entscheidend waren, muss hinterfragt werden – und auch, ob dieser Weg zur „selbstbestimmten Staatsbürgerschaft“ im Sinne von Heinz Dieterichs theoretischem Modell des erneuerten Sozialismus führen kann.