Ecuador - "Unsere Zukunft hat erst begonnen"
Ein Bericht aus Quito
Als "Perle des Kontinents" wird das koloniale Stadtzentrum von Quito bezeichnet. Nicht zu Unrecht. Barocke Kirchen schmiegen sich an renovierte Altbauten, die in bunter Farbenpracht erstrahlen. 1978 wurde die Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt, Quito bereitet sich stolz auf das 40-jährige Jubiläum im kommenden Jahr vor. Die höchstgelegene Hauptstadt der Welt wird von den majestätischen Gipfeln der Anden malerisch umrahmt. Auf der Plaza de la Independencia, dem Unabhängigkeitsplatz, herrscht schon am frühen Vormittag urbanes Treiben. Straßenhändler bieten ihre Waren den vorbeischlendernden Touristen an, Musikanten lassen lateinamerikanische Evergreens erklingen.
Auf einer Bank sitzt Alberto, ein eleganter älterer Herr, und blättert in der Tageszeitung "La Hora". "Schauen Sie mal nach drüben, in Richtung Präsidentenpalast", fordert der pensionierte Dozent für Volkswirtschaft den ausländischen Besucher auf. Dort, vor dem Palacio de Gobierno, einem imposanten weißgetünchten Gebäude, geschmückt mit der gelb-blau-roten Staatsflagge, welches den Unabhängigkeitsplatz dominiert, starrt ein uniformierter Wachmann in sein Smartphone. "Im Palast ist wieder Ruhe eingekehrt. Unser Staatspräsident Lenin Moreno kann aufatmen. Sein ehemaliger Parteifreund und Amtsvorgänger Raffael Correa ist wieder nach Brüssel abgereist, Ecuador ist halt nicht Venezuela", fügt Alberto hinzu, bevor er sich wieder seiner Zeitungslektüre widmet.
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Ende November war der frühere Präsident Rafael Correa aus Belgien nach Quito zurückgekehrt, um dort "die sozialen und wirtschaftlichen Fortschritte" der von ihm vor gut zehn Jahren initiierten "Bürgerrevolution" zu verteidigen, so ließ er verlautbaren. Mitte des Jahres war Correa, der sich ebenso wie Moreno als Linker versteht, mit seiner belgischen Frau nach Brüssel gezogen und warf seinem Nachfolger Lenin Moreno nun vor, sich den Vorgaben der rechten Opposition zu unterwerfen. Zuvor war es in der von Correa gegründeten Regierungspartei Alianza PAÍS zu heftigen Flügelkämpfen gekommen, angesichts des innenpolitischen Kurses von Präsident Moreno, der in der Tat von dem seines Vorgängers abzuweichen schien.
Am meisten dürften Correa das von Moreno für Anfang nächsten Jahres geplante Referendum (durch das unter anderem die derzeitige Verfassung so geändert werden soll, dass eine erneute Kandidatur Correas bei den Wahlen in drei Jahren nicht mehr möglich wäre) erzürnt haben. Während der linke AP-Flügel sich dagegen zu Wehr setzte, frohlockte die rechte Opposition und kündigte ihre Unterstützung an.
Correa ist inzwischen nach Panama weiter gereist, wo er sich an die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) wandte, um weiter Druck auf den amtierenden Präsidenten auszuüben. "Hintergrund des Spektakels war natürlich die politische Entwicklung auf dem Kontinent, das Comeback der Rechten", erklärt Maria S., die als Redakteurin bei der staatlichen Tageszeitung El Telégrafo tätig ist. "Schauen Sie nur nach Chile, dort ist dieser grässliche Unternehmer Sebastián Piñera erneut Präsident geworden", erzählt sie empört.
Maria lädt zu einem Bummel durch La Ronda ein, dem neuen hippen Ausgehviertel der Hauptstadt. "Schauen Sie sich hier um, eine schicke Scheinwelt ist entstanden, für die Reichen und die Touristen." Maria verweist auf Galerien und 5-Sterne-Restaurants hinter den Fassaden sanierter Kolonialbauten: "Die lateinamerikanische Rechte drängt zurück an die Macht", analysiert sie. "Die Wahl Donald Trumps in den USA und die Krise in Venezuela haben ihr Auftrieb gegeben."
"Die Gründe für den Rechtsruck liegen hauptsächlich in der Wirtschaftskrise und deren politischen Folgen - durch den Preisverfall sowie die rückläufige Nachfrage bei Rohstoffen geriet die Anfangs erfolgreiche Umverteilung ins Stocken" führt sie aus, während sie den Gesprächspartner in ein Straßencafé bittet. Die Kellnerin nimmt die Bestellung auf. "Haben Sie den Akzent vernommen?" fragt sie mit Bezug auf die Kellnerin." Die junge Dame kommt aus Venezuela, ebenso wie unzählige andere junge Menschen hier in Quito.
"Angeblich kommen täglich tausende Venezolaner nach Ecuador", berichtet sie, während die Kellnerin die Getränke serviert. "Ich habe keine Ahnung ob das stimmt, aber unser Lebensstandard hier in Ecuador ist deutlich höher als in den Nachbarstaaten Peru und Kolumbien, von der politischen und sozialen Stabilität einmal abgesehen. Das jetzt so viele Menschen aus dem krisengeschüttelten Venezuela hierher kommen, ist natürlich keine gute Werbung für die politische Linke."
Maria zitiert die Thesen des Wirtschaftswissenschaftlers Pedro Paéz, wonach wir in einer globalisierten Welt leben, in der die transnationalen Konzerne die größte Macht besitzen und nicht mehr der Staat. Um den Einfluss der multinationalen Konzerne zu verringern, könnten Möglichkeiten zur Anwendung kommen, die in Ecuador schon im Februar 2016 verabschiedet wurden. Danach darf kein Mandatsträger, der gewählt oder ernannt wurde, ein Offshorekonto unterhalten oder unterhalten haben. "Wenn es in jedem Land dieselben Bemühungen gäbe, wäre das sicher ein Schritt in die richtige Richtung", erklärt die Journalistin.
Ein paar Straßenzüge weiter. Fernando wartet vor dem Hotel "Plaza Grande" auf zwei deutschsprachige Touristen. Der 63-jährige, der die Sprache Goethes einst an einer Jesuitenschule lernte, ist seit Jahrzehnten in der Reisebranche als Stadtführer tätig. "Ist Quito nicht schön geworden", fragt er freundlich. Sein Blick wandert zufrieden durch die Straßen, in denen Touristen mit Kameras vor der Brust entlangschlendern. "Seit einigen Jahren ist die Stadt relativ sicher. Lange war Quito für seine Kriminalität bekannt, doch heute kann man hier sicher bummeln gehen, zumindest tagsüber. Immerhin befinden Sie sich ja noch in Südamerika."
Auf den Ex-Präsidenten Correa ist Fernando nicht gut zu sprechen. "Was mischt der sich hier wieder ein, der soll doch in Belgien bleiben. Man sieht doch in unseren Nachbarstaaten, was passiert, wenn man Revolutionen züchtet." Fernando vertritt die These, dass sich die Mentalität der Ecuadorianer grundlegend von jener der Nachbarn unterscheidet. "Deshalb gab es bei uns auch keinen Bürgerkrieg und keine Guerilla in den letzten Jahrzehnten, wie etwa in Peru oder Kolumbien - Correa ist abgereist-Ecuador bleibt stabil", ruft er zum Abschied, bevor er die beiden Touristen begrüßt.
"Jaja so klingen die Besitzenden, die Zufriedenen", ruft ein Straßenhändler, der seinen Namen nicht genannt wissen möchte, bezüglich der Thesen von Fernando. "Sie sehen ja, ich bin ein Indigena und glauben Sie mir bitte, unsere Zukunft hat erst begonnen. Wem gehört denn hier alles in Ecuador? Uns Indigenas, den Mestizos? Nein, nur diesem Bruchteil der Bevölkerung, der so stolz ist auf seine europäische Abstammung. Wer verändert denn die Welt? Richtig, jene die ihnen so nicht gefällt", fügt er hinzu, bevor er seine Handarbeiten wieder zum Verkauf anbietet.