Ecuadorianer schaffen Neoliberalismus ab
Linksgerichtete Verfassung wurde mit großer Mehrheit angenommen. Dialog mit Opposition angekündigt
Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, doch an dem Resultat besteht kein Zweifel: 9,7 Millionen Wahlberechtigte Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer haben am Sonntag in einem Referendum für die Reform der Verfassung gestimmt. Gut 64 Prozent votierten nach Auszählung von 96 Prozent der abgegebenen Stimmen für ein neues Grundgesetz - das 20. seit Gründung der Republik 1830. Rund 28 Prozent stimmten nach Angaben des Obersten Wahlgerichtes gegen die neue Konstitution, die deutlich mit der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte bricht. Die übrigen Wähler gaben ungültige oder leere Stimmzettel ab.
Es sei "ein Sieg des Volkes" verkündete ein sichtlich ausgelassener Präsident Rafael Correa am Wahlabend. Doch auch für den 45-jährigen Ökonomen und kurzzeitigen Wirtschaftsminister (2005) bedeutet der Ausgang des Plebiszits den vorläufigen Höhepunkt seiner persönlichen Karriere (Neue ecuadorianische Regierung setzt auf Runderneuerung der Politik). Correa war Anfang vergangenen Jahres angetreten, ohne über Rückhalt im Nationalkongress zu verfügen. Seine Bewegung Alianza País hatte keine Kandidaten für das Parlament aufgestellt, dessen Mitglieder und Parteien Correa in aggressiver Rhetorik als "korrupt" und "delinquent" abtat.
Stattdessen orientierte er von vornherein auf die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung und eine Staatsreform. Das Kalkül ging auf: Vor einem Jahr, am 30. September 2007, wurden die 130 Mitglieder des Verfassungskonvents in freien Wahlen bestimmt (Auch Ecuador wird neu gegründet). Die Vertreter der regierenden Alianza País errangen gut 80 Sitze und damit die absolute Mehrheit. Zugleich übernahm die Versammlung die Funktionen der Legislative. Auch nach Annahme des neuen Grundgesetzes werden die Versammlungsmitglieder diese Funktion innehaben. Voraussichtlich im Februar kommenden Jahres finden in Ecuador Neuwahlen aller Staatsorgane statt. All das sei ein "überwältigender Sieg für das ecuadorianische Volk und das Ende dieser unheilvollen neoliberalen Zeit", urteilte Correa, ein Befürworter des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts".
Radikaler Wandel - auf dem Papier
Tatsächlich setzt die neue Konstitution politische Maßstäbe. Ähnlich wie durch die Reformverfassung in Venezuela wird ein unkontrollierter Ausverkauf der natürlichen Ressourcen unterbunden, die Rolle des Staates in der Wirtschaftsführung wird deutlich gestärkt. Demokratische Rechte werden ausgebaut, soziale Dienstleitungen garantiert.
In den 444 Artikeln des nun gültigen Grundgesetzes wird das indigene Gesellschaftsprinzip auf "Sumak Kawsay" festgehalten, was auf Quechua "gutes Leben" bedeutet. Neben der kulturellen Vielfalt finden sich Regelungen zur Gleichberechtigung. Die staatliche Souveränität wird gestärkt, auch dadurch, dass eine dauerhafte Präsenz ausländischer Armeen verboten wird. Betroffen davon sind vor allem die USA. Ihr Südkommando hatte im Pazifikhafen Manta über Jahre hinweg eine Luftwaffenbasis unterhalten. Nach bisher bekannten Informationen soll dieser Stützpunkt nun in das für Washington verlässlichere Kolumbien verlegt werden.
Innenpolitisch wird nach der Verfassungsreform die Macht des Präsidenten gestärkt. Er erhält unter anderem die direkte Kontrolle über die Währungspolitik. Bislang lag diese Kompetenz bei der Zentralbank. Mittelfristig könnte diese Machtverschiebung die Abschaffung des US-Dollars zur Folge haben, der seit dem Jahr 2000 einziges offizielles Zahlungsmittel in Ecuador ist. Auch erhält der Präsident die Befugnis, das Parlament einmalig aufzulösen, um Neuwahlen anzusetzen. Zugleich wird aber ein "Rat für demokratische Beteiligung und soziale Kontrolle" gewählt, der als vierte Macht in der Verfassung verankert ist. Dieses Gremium soll die direkte Bürgerbeteiligung unterstützen
Welche dieser Ziele umgesetzt werden und in welchem Zeitrahmen dies geschieht, ist freilich schwer vorherzusagen. Am Montag bekräftigte Correa zwar vor allem die sozialpolitischen Ziele. Zugleich gestand er ein, dass das Recht auf freie Bildung und Gesundheitsversorgung "in unterschiedlichen Zeitrahmen" umgesetzt würden. Dies komme in erster Linie auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen an.
Dialog mit den alten Eliten
Viel hängt auch von den Kräfteverhältnissen im neuen Parlament ab. Correa kündigte schon jetzt seine neue Kandidatur für das Präsidentenamt an, "wenn das Vaterland mich braucht". Doch anders als bislang wird er auf die Unterstützung der Legislative angewiesen sein, um seine Reformpolitik umzusetzen. Noch am Wahlabend kündigte er deswegen an, mit den Vertretern der Opposition zu sprechen, "sofern sie ethische Vorschläge vorbringen können".
Seine Verhandlungsposition ist nicht schlecht, denn die alten Parteien sind fast völlig kollabiert. Sowohl die Christsoziale Partei (PSC) als auch die eher sozialdemokratische Demokratische Linke (ID) haben angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Krise der vergangenen Jahre massive Austritte zu verzeichnen gehabt. Vertrauen in diese Gruppierungen gibt es kaum mehr, denn beide waren für die Umsetzung der neoliberalen Politik verantwortlich. Das Ergebnis: Die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, drei Millionen Menschen haben das Land auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen. Allein in der wirtschaftsstarken Hafenstadt Guayaquil kann sich noch der christsoziale Politiker Jaime Nebot als Bürgermeister halten.
Mittelfristig wird sich Ecuador an den links regierten Staaten Venezuela und Bolivien orientieren. Schon jetzt kündigte Correa eine Debatte über den Beitritt seines Landes zum alternativen Regionalbündnis ALBA an, das von Venezuela und Kuba gegründet worden war. Am heutigen Dienstag kam Correa im brasilianischen Manaos bereits mit seinem Amtskollegen Luiz Inácio "Lula" da Silva zusammen. An dem Treffen nahmen auch Boliviens Präsident Evo Morales und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez teil. Kritik an dem Treffen wies Correa ab. Es gebe keine Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Sozialisten, sagte er im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Venezuela und Bolivien auf der einen Seite sowie Chile und Argentinien auf der anderen Seite.
So ist nach dem Referendum in Ecuador trotz vieler offener Fragen eines klar: Die neue Linke Lateinamerikas ist gekommen, um zu bleiben. Der Neoliberalismus ist in der Defensive.