Ehen mit Minderjährigen: Andere Länder, andere Sitten

Das Oberlandesgericht Bamberg erkennt eine nach Scharia-Recht geschlossene Frühehe an - und löst damit eine heftige Debatte aus

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Die Welt ist ein Dorf. Das wussten schon unsere Großeltern. Globalisierung und weltweite Migration - auch ohne Flucht und Vertreibung - bestätigen tagtäglich diese alte Binsenweisheit. Mit unbestreitbar vielen Vorteilen. Doch manchmal stellt uns "Multi-Kulti" auf eine harte Probe. Dann nämlich, wenn mit den Menschen Traditionen zu uns kommen, die unseren Vorstellungen und unserer Moral, unseren Sitten und Gebräuchen diametral entgegenstehen. Und deren Akzeptanz ganz nebenbei Ergebnisse sozialer Kämpfe um Jahrzehnte zurückwerfen würden.

Zum Beispiel, wenn in den Flüchtlingsunterkünften auffallend viele Ehepaare registriert werden, die in einem muslimischen Land nach dem Scharia-Recht getraut wurden, zu einem Zeitpunkt, wo die Braut nach hiesiger Gesetzeslage noch nicht volljährig war. Nicht selten noch im Kindesalter. Da stellt sich dann die Frage: Was nun? Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg entschied am 12. Mai 2016 in einem solchen Fall, dass die Ehe anzuerkennen sei.

Organisationen wie das "Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa" (EZIRE) und Terre des Femmes (TdF) kritisierten die Entscheidung und fordern die verbindliche Festlegung des Heiratsalters auf 18 Jahre ohne Ausnahme. Zumal das Problem der sogenannten Zwangs- und Frühehen nicht nur verstärkt im Zusammenhang mit den neu ankommenden Flüchtlingen auftaucht, sondern auch hier lebende Minderjährige - Mädchen größtenteils - werden in religiösen und kulturellen Zeremonien verheiratet.

Gute Zeiten - schlechte Zeiten

Es gibt gute Ehen. Es gibt schlechte Ehen. Und es gibt Ehen, in denen es gute und schlechte Zeiten gibt. Es gibt allerdings gesetzliche Grundlagen für die Schließung einer Ehe; und zwar aller Ehen. Die sind im §13 EGBGB geregelt.

Um hierzulande eine Ehe schließen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, u.a. die Ehemündigkeit. Das heißt, in der Regel tritt die Ehemündigkeit mit Eintritt der Volljährigkeit ein. Allerdings gibt es die Möglichkeit, eine Ehe im Alter ab 16 Jahren einzugehen, wenn eine der beiden ehewilligen Personen volljährig ist, und das Familiengericht eine Befreiung von der Voraussetzung der Volljährigkeit erteilt hat.

Nach der bis 1974 geltenden früheren Regelungen im BGB erlangte der Mann die Ehemündigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres und die Frau mit Vollendung des 16. Lebensjahres. Der Frau konnte durch das damalige Vormundschaftsgericht Befreiung von dieser Vorschrift erteilt werden.

Die Änderung ging einher mit der Herabsetzung der Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre, die am 1.1.1975 in Kraft trat. In dem Zusammenhang wurde auch das Heiratsalter angehoben. Diese Änderungen entsprangen keiner Laune der damaligen Regierung, sondern waren das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, das Ergebnis sozialer Kämpfe. U. a. auch den Kämpfen von Feministinnen um gesetzliche Gleichstellung.

Internationales Privatrecht versus Ordre Public

Da wir, wie eingangs erwähnt, in Zeiten der Globalisierung und weltweiter Migration leben, wurden unterdessen Mechanismen entwickelt, die garantieren, dass in einem Land der Welt nach geltendem Recht geschlossene Ehen auch in anderen Staaten anerkannt werden. Selbst wenn die Gesetze des Staates eine solche Ehe nicht erlauben - gleichgeschlechtliche, bi-nationale oder inter-religiöse Ehen z.B. - im Zweifelsfall können ausländische oder bi-nationale Ehepaare sich hierzulande auf das Internationale Privatrecht, oder auch Kollisionsrecht berufen:

Internationales Privatrecht (Abkürzung IPR; auch Kollisionsrecht) nennt man im Rechtswesen die Gesamtheit der Rechtssätze des nationalen Rechts, die festlegen, welche von mehreren möglichen internationalen Privatrechtsordnungen in einem Kollisionsfall angewandt wird. Ein Kollisionsfall liegt vor, wenn ein Sachverhalt eine Auslandsberührung aufweist. In diesen Kollisionsfällen beantwortet das internationale Recht die Frage, ob inländisches Recht oder ausländisches Recht anwendbar ist oder gegebenenfalls welches ausländische Recht innerhalb mehrerer kollidierender ausländischer Rechte anwendbar ist.

Mit anderen Worten: Es ist durchaus möglich, im Ausland geschlossene Ehen als legal anzuerkennen, selbst wenn diese nach bundesdeutscher Gesetzeslage nicht hätten geschlossen werden können.

Allerdings: "Nicht angewendet werden dürfen ausländische Rechtsregeln, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen deutschen Rechts (insbesondere den Grundrechten) offensichtlich unvereinbar ist (ordre public, Art. 6 EGBGB 2 ).

Also stehen sich im Zweifelsfall zwei Rechtsgrundsätze gegenüber. Was uns wieder zurück zum OLG Bamberg und dessen Entscheidung in Bezug auf die Frühehe führt.

Das Jugendamt griff ein

Ende August 2015 wurde im September 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft in Aschaffenburg ein syrisches Ehepaar registriert. Das Pikante an dieser Verbindung: Er war zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt, sie noch keine 15. Die beiden, Cousin und Cousine, waren im Februar 2015 in ihrer Heimat von einem Scharia-Gericht getraut worden, hatten seither "wie Mann und Frau zusammen gelebt" und sich auch gemeinsam auf die Flucht begeben.

Das Jugendamt Aschaffenburg entschied sich einzugreifen, die Vormundschaft für die junge Frau zu übernehmen, vom Aufenthaltsbestimmungsrecht Gebrauch zu machen und das Paar zu trennen. Um die junge Frau vor dem sexuellen Zugriff und insbesondere einer Schwangerschaft zu schützen. Zwar wurde das Paar über Verhütungsmöglichkeiten aufgeklärt, doch die Methode, für die sie sich entschieden, hätte erst Wochen später Schutz geboten. Außerdem sah das Jugendamt "eine Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung" bei der jungen Frau als "nicht gegeben".

Sie wurde in einer Unterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Nürnberg untergebracht. Dem Paar wurde erlaubt, sich drei Stunden pro Woche in Anwesenheit Dritter zu sehen.

Dagegen klagte der junge Mann. Der Fall kam vor das Familiengericht Aschaffenburg, welches entschied, dass die getrennte Unterbringung beibehalten werde, das Paar aber die Wochenenden von jeweils Freitags 17h - Sonntags 17h gemeinsam verbringen könne. Genau das wollte das Jugendamt indes verhindern und beschritt deshalb den Rechtsweg. Der Fall gelangte also in die nächste Instanz, dem OLG Bamberg.

Dort wurde am 12. Mai 2016 ein Urteil gesprochen - allerdings ein völlig anderes, als das Jugendamt sich erhofft hatte: Die Bamberger Richter erkannten die in Syrien nach dem Scharia-Recht geschlossene Ehe als rechtsgültig an. Somit kann die junge Frau selbst entscheiden, wo sie leben möchte.

Das Jugendamt Aschaffenburg wird die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und gegen dieses Urteil Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe einlegen. Zu einer Stellungnahme war die Behörde indes nicht bereit. Es würden keinerlei Auskünfte über ein schwebendes Verfahren erteilt, hieß es auf Nachfrage von Telepolis.

Streitpunkt Aufenthaltsbestimmungsrecht

Für Jugendliche unter 18 Jahren liegt das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei den Eltern, bzw. beim gesetzlich bestimmten Vormund. Im Falle, dass eine minderjährige Person heiratet, geht das Aufenthaltsbestimmungsrecht an sie selbst über: Sie kann - zwar im eingeschränkten Maße - selbst darüber entscheiden, wo sie leben möchte. Entweder zuhause oder in einer gemeinsamen Wohnung mit dem Ehemann.

"Voraussetzung ist allerdings, dass Minderjährige wirksam verheiratet sind", erläutert Leander Rößler, Sprecher des OLG Bamberg, gegenüber Telepolis. Der syrische Ehemann hatte bei Gericht einen Zivilregisterauszug mit dem angegebenen Familienstand "verheiratet" sowie eine Bestätigung der Eheschließung seitens des syrischen Scharia-Gerichts eingereicht. "Die Richter des OLG standen vor der Frage: Welche Norm gilt?" so Rößler.

Welches Recht muss bei diesem Fall mit Auslandsbezug geprüft werden. Das Gericht gelangte schließlich zu der Ansicht, dass syrisches Recht angewendet werden muss.

Allerdings, räumt Rößler ein, wäre es durchaus möglich, dass diese Ehe auch nach geltendem syrischen Recht anfechtbar sei, weil sie evtl. unter Verstoß gegen das Ehemündigkeitsalter geschlossen wurde.

Offiziell liegt das Heiratsalter in Syrien für Frauen bei 17 Jahren, für Männer bei 18. Ausnahmen werden jedoch geduldet. Vor allem in den konservativen, mehrheitlich sunnitischen Landgebieten kommen sie vor.

Allerdings, so Rößler, müsse die Ehe in Syrien angefochten werden.

Eheleute können hierzulande bei der zuständigen Verwaltungsbehörde binnen eines Jahres - in bestimmten Fällen binnen drei Jahre - einen Antrag auf Annullierung stellen. "Beim Verstoß gegen die Ehemündigkeit besteht allerdings keine Antragsfrist", stellt Rößler klar.

Das würde für die junge Syrerin bedeuten, dass sie mit Erreichen der Volljährigkeit die Annullierung beantragen könne. Oder auch die Anerkennung, falls der BGH das Bamberger Urteil kassiert.

Die Frage, ob das OLG Bamberg durch die Hintertür Scharia-Recht in die bundesdeutsche Rechtsprechung eingeführt habe, beantwortete Rößler ausweichend mit:

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Fall geht zum BGH, und letztendlich liegt die Entscheidung bei den Richtern dort.

Fast klingt es, als sei der Jurist froh, dass der Kelch an Bamberg vorbei gegangen ist, und der Staffel-Stab nun nach Karlsruhe übergeben werden kann.

Fälle wie diesen werden bundesdeutsche Gerichte künftig vermutlich häufiger zu verhandeln haben. Irgendwann - in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft - wird sich die Frage der Annullierung stellen. Irgendwann wird die Rechtslage in einem Staat, der gar nicht mehr existiert, Gegenstand einer Gerichtsverhandlung werden.

Was bedeutet Ehe nach Scharia-Recht?

Fragen werden aufgeworfen, für die das bundesdeutsche Rechtssystem (noch) keine Antworten hat. Dabei scheint es, dass die juristischen Probleme der Zukunft im Frühmittelalter begründet sind. Denn die nach Scharia-Recht gegründeten Ehen gehen zurück auf die Geschichte des Propheten Mohammed, der um 625 n. Chr. herum seine dritte und jüngste Ehefrau Aischa geheiratet haben soll:

Nach den Bestimmungen orthodoxer islamischer Rechtsschulen dürfen Mädchen ab neun Jahren heiraten. Diese Rechtsschulen orientieren sich an der Ehe des Propheten Mohammeds mit seiner dritten Frau Aischa, die nach islamischer Überlieferung (Hadith) zum Zeitpunkt des Erschließungsvertrages sechs Jahre und bei der Hochzeit neun Jahre alt gewesen sein soll. ... Es wird angenommen, dass die Ehe mit neun Jahren auch vollzogen wurde.

Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher hat sich dieses Scharia-Recht im Hinblick auf Selbstbestimmung und Freiwilligkeit der jungen Bräute angesehen:

Offensichtlich scheint von Seiten der Rechtsgelehrten denjenigen Überlieferungen größeres Gewicht zugebilligt worden zu sein, die die Verheiratung der Braut durch ihren männlichen Vormund befürworten und deren eigene Zustimmung nicht als notwendige Voraussetzung für die Eheschließung betrachten. So haben die vier sunnitischen und die wichtigste schiitische Rechtsschule der Zwölferschiiten hinsichtlich des Mitspracherechts der Frau bei ihrer Eheschließung im Kern nur wenig unterschiedliche Regelungen getroffen und deren rechtlich-konstitutive Komponente grundsätzlich in die Hände des Vormunds gelegt. Zwar beziehen alle Rechtsschulen die Zustimmung der Braut in ihre Überlegungen mit ein, ja halten diese Zustimmung sogar für wünschenswert. Allerdings betrachten sie die Verheiratung der Braut in den meisten Fällen auch ohne deren Zustimmung für rechtens.

(...)

Bei der Jungfrau, von deren 'Schüchternheit' islamische Gelehrte der Frühzeit häufig ausgehen, gilt nach klassischer Gelehrtenmeinung auch deren Schweigen, Lachen oder Weinen als Zustimmung zur Eheschließung, mit anderen Worten: Nur ein sehr entschieden vorgetragener und vermutlich frühzeitig und lautstark geäußerter Protest wird überhaupt als solcher aufgefasst worden sein. Wird dieser Protest den Vormund, der eine ganz bestimmte Eheschließung seines Mündels durchsetzen möchte, jedoch vom anvisierten Vertragsschluss abhalten, den angesichts seines Entscheids rechtlich niemand anfechten kann? Wohl nur dann, wenn er aus persönlichen Gründen einlenkt. Das Schariarecht verpflichtet ihn nicht dazu, selbst wenn eine Eheschließung gegen den Willen der Braut nicht als ideal oder sogar als missbilligt betrachtet wird.

(...)

Zwangsehen bedeuten für die Betroffenen eine grundlegende und dauerhafte Verletzung ihres Menschenrechts auf sexuelle Selbstbestimmung und eine Negierung des Grundsatzes der Gleichberechtigung. Sie stellen als legalisierte Form der Vergewaltigung eine besonders schlimme Form der Nötigung dar.

Viel Kritik an dem Urteil

Der Rechtsprofessor Mathias Rohe, Direktor des Erlanger "Zentrums für Islam und Recht in Europa" (EZIRE), war in einem vergleichbaren Fall als Experte um Rat gefragt worden. Sein Urteil: Diese Ehe könne nach deutschem Recht nicht anerkannt werden. Die Fortführung sexueller Beziehungen wäre strafbar.

Rohe fordert eine für alle Bundesländer eine einheitliche gesetzliche Regelung. Auch die Menschenrechtsorganisation "Terre des Femmes" (TdF) kritisiert die Bamberger Entscheidung.

Teere des Femmes fordert seit langem, das Mindestheiratsalter in Deutschland auf 18 Jahren ohne Ausnahme festzulegen. Dafür haben wir über 108.000 Unterschriften gesammelt und im Mai im Rahmen eines Fachgesprächs dem Bundesjustizministerium übergeben. Zusätzlich fordern wir, dass im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen in Deutschland nicht anerkannt werden.

Doch das Phänomen trat nicht erst mit den Flüchtlingen in Deutschland auf. "Frühehen sind hier schon lange ein Problem", erläutert die zuständige TdF-Referentin Monika Michell gegenüber Telepolis: "Terre des Femmes arbeitet seit 2001 gegen Frühehen und Zwangsheirat. Leider gab es keine offizielle Zahlen. Erst 2011 wurde eine umfassende Studie erstellt, deren Zahlen sich allerdings auf 2008 beziehen."

Laut der Studie Zwangsverheiratung in Deutschland des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2011 haben sich allein im Jahr 2008 3.443 von Zwangsverheiratung bedrohte oder betroffene Personen an Beratungseinrichtungen gewandt, um Hilfe zu suchen. 93 % der Betroffenen waren weiblich, knapp ein Drittel der Betroffenen unter 18 Jahre.

In der Studie wird erläutert, dass "bereits seit Februar 2005 Zwangsverheiratung als ein besonders schwerer Fall der Nötigung mit einem Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 5 Jahren strafbar ist. Der Bundesrat hat am 8. Juli 2005, am 10. Februar 2006 sowie am 12. Februar 2010 den Entwurf für ein Zwangsverheiratungs-Bekämpfungsgesetz beschlossen und in den Bundestag eingebracht. Am 17.03.2011 verabschiedete der Bundestag den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines 'Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Änderungen' in einer auf Antrag von Union und FDP geänderten Fassung".

Die Begrifflichkeiten "Zwangsehe" und "Frühehe" werden nicht immer getrennt betrachtet. Nicht jede Frühehe ist eine Zwangsehe, und nicht jede Zwangsehe eine Frühehe. Allerdings ist davon auszugehen, dass Ehen mit Mädchen, die jünger als 16 Jahre alt sind, sowohl Früh- als auch Zwangsehen sind. Denn die Betroffenen können die Tragweite dieser Handlung überhaupt nicht abschätzen.Oft werden sie gar nicht gefragt - oder sie kennen es nicht anders. Häufig wird für Ehen, bei denen die Braut zum Zeitpunkt der Eheschließung jünger als 16 Jahre alt war, der Begriff "Kinder-Ehe" verwendet.

Auch hierzulande werden laut Michell sowohl Früh- als auch Zwangsehen geschlossen. Und zwar vorwiegend in religiösen und kulturellen Milieus. In muslimischen Communities z.B. von Imamen. "Bei Roma-Familien beispielsweise gilt es als Eheversprechen, wenn das Mädchen ins Haus ihres Partners zieht" so Michell.

Was ist mit kirchlichen Zeremonien in katholischen und evangelischen Gotteshäusern?

Laut Aussage der evangelische Kirche werden Paare nur nach der standesamtlichen Trauung in einer kirchlichen Zeremonie getraut. Laut des katholischen Rechts, des kanonischen Rechts, liegt das Heiratsalter für Mädchen bei 14 Jahren. Die katholischen Gemeinden haben uns gegenüber allerdings versichert, dass sie sich an die bundesdeutsche gesetzliche Regelung halten, und nur volljährige Paare trauen. Im Falle der Eheschließung eines Paares mit einer minderjährigen Braut lassen sie sich die Erlaubnis des Familiengerichts zeigen.

Dass nun ein Gericht in Deutschland die Heirat einer 14-jährigen Syrerin anerkenne, sei ein fatales Signal, das alle bisherigen Anstrengungen im Kampf gegen Frühehen zunichte mache, so Michell.

Schwangerschaft Todesursache Nr. 1

Laut Michell fordert TdF die verbindliche Festlegung des Heiratsalters auf 18 Jahre - international, ohne Wenn und Aber.

Weltweit werden täglich 41.000 Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, Tendenz steigend. Auch in den Flüchtlingsunterkünften in Jordanien, im Libanon und in der Türkei steigt die Zahl der Frühverheiratungen dramatisch an: Während vor dem Krieg in Syrien bei 13% aller Hochzeiten mindestens ein Ehegatte minderjährig war, sind es nach Angaben der SOS-Kinderdörfer aktuell über 50%.

Jeden Tag werden weltweit 39.000 Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, obwohl die UN-Kinderrechtskonvention als gesetzliches Mindestheiratsalter 18 Jahre empfiehlt. In vielen Fällen, so die TdF-Expertin, käme es zu Schwangerschaften.

Mädchen, die jünger als 15 Jahre sind, sterben fünf Mal häufiger bei der Geburt ihrer Kinder als Frauen in den Zwanzigern. Schwangerschaft ist für 15-19-jährige Frauen weltweit Todesursache Nummer eins.

Besonders drastisch scheint die Situation in Afghanistan zu sein, jenem Land, gegen das ein NATO-Krieg geführt wurde, u.a. um die Situation der Frauen und Mädchen zu verbessern:

In Afghanistan gehören Frauen und Mädchen nicht sich selbst, sondern den Vätern, Ehemännern, Brüdern und erwachsenen Söhnen. Ein Mädchen wird spätestens mit 12 Jahren zur Ware. Dann kann sie der Vater gegen ein Grundstück, gegen 6000 Dollar oder eine Ziege verkaufen. Meist an einen älteren Mann, der sich die Zweit- oder Drittfrau leisten kann. Dann gehört sie ihm und seiner Familie. Wie eine Sklavin. Er darf sie schlagen, vergewaltigen, ihr ärztliche Hilfe verweigern. ...

Dazu sterben in keinem Land der Welt so viele Frauen bei der Geburt eines Kindes. Auch geschuldet der dramatisch schlechten hygienischen Situation im hintersten Stall der Häuser und Hütten sowie der fehlenden ärztlichen Hilfe, die nur von einer Frau kommen darf. Und seit dem Regime der Taliban gibt es unter anderem auch kaum noch Ärztinnen - Frauen hatten Berufsverbot.

Das medial geprägte Image der syrischen Frau

Dass ausgerechnet syrische Mädchen sehr begehrt scheinen, verwundert nicht anlässlich einer Publikation der Heinrich Böll-Stiftung:

Die syrische Frau gilt in der arabischen Welt als hellhäutig und schön, als willens, ihren Ehemann glücklich zu machen, ihm nie zu widersprechen und Tag und Nacht zu arbeiten, um seinen Wünschen nachzukommen. Eines der bedeutendsten Mittel, die dazu beigetragen haben, dieses Image zu fördern, sind die TV-Serien, die während des Monats Ramadan gezeigt und in der arabischen Welt viel geschaut werden.

(…)

Die historische syrische Fernsehserie 'Bab Al Hara' zum Beispiel präsentiert uns genau dieses Image. Dieses stereotypische Bild der syrischen Frau trägt dazu bei, junge Männer dazu zu motivieren, sich ein syrisches Mädchen zu angeln und damit die bekannte Redewendung zu erfüllen: 'Atgawaz Shaamieh bitaaish Ishaa Haniyeh' ('Nimm dir eine Ehefrau aus der Levante und du wirst ein gutes Leben haben').

Es ist ein internationaler Heiratsmarkt für syrische Frauen entstanden. So zitiert die Presse am Sonntag Claire Healy vom Wiener Forschungsinstitut Internationales Zentrum für die Entwicklung von Migrationspolitik (ICMPD): "Es gibt Agenturen, die vor allem sehr junge Frauen aus Syrien für ältere Männer aus Jordanien, dem Libanon, aus den Golfstaaten und sogar aus Europa suchen."

Die Wissenschaftlerin untersucht laut der Publikation "die Auswirkungen des Syrien-Krieges auf den Menschenhandel". Manche Mädchen seien noch "wirklich Kinder und kaum älter als zwölf, die Männer viel, viel älter". Da das legale Heiratsalter in den jeweiligen Ländern variiere, sei die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verwaschen.

Verständnis statt konsequente Haltung

Über das Ausmaß dieser Frühehen, die seit Sommer 2015 in den Flüchtlingsunterkünften registriert wurden, gibt es keine verlässlichen Zahlen. Im Regierungsbezirk Arnsberg, einem von fünf Regierungsbezirken in NRW, wurden 188 solcher Frühehen registriert, in Baden-Württemberg 177, in Bayern bis April 2016 550 Ehen, in denen ein Teil, die Ehefrau, bei der Eheschließung unter 18 Jahren alt war. Davon 161 Fälle, in denen die Braut jünger als 16 Jahre alt war.

Da verwundert es nicht, dass das Thema und auch das Bamberger Urteil in der FlüchtlingshelferInnen-Szene diskutiert wird. Von Ehepaaren mit Kindern, die Ehefrau gerade mal 13 oder 14 Jahre alt, ist die Rede.

Der Tenor geht indes in Richtung "Verständnis", "Empathie" "behutsamer Umgang", also Akzeptanz dieser Frühehen - und damit die Einführung des Scharia-Rechts in die bundesdeutsche Rechtsprechung. Als Argument wird angeführt, dass die Anerkennung dieser Frühehen z.B. die Chance böte, dass allein reisende Ehemänner im Rahmen der Zuzugsregelung ihre Familien nachholen könnten. Andernfalls blieben ausgerechnet die Schwächsten, nämlich minderjährige Mädchen, womöglich noch mit Kind, auf der Strecke.

Die Sorge um die Mädchen auf der Flucht ehrt die UnterstützerInnen. Allerdings wäre es sinnvoller, für die Anerkennung geschlechtsspezifischer Asylgründe und sichere Fluchtwege und -möglichkeiten einzutreten, für ein Sonderprogramm der UN für Minderjährige und Kinder auf der Flucht, statt für die Einführung frühmittelalterlicher Gesetze und die Aushebelung sozialer Errungenschaften.

Dann nämlich hätten die Mädchen - auch die jungen Mütter - ein Anrecht auf eigenständiges Asyl, auf besondere Betreuung aufgrund des Jugendschutzes und könnten sich von den Strapazen erholen; nicht nur der Flucht, sondern ihres Lebens.