Eiertanz in Myanmar

Seite 2: Die Kontrahenten

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Um die Motive der führenden Militärs Myanmars zu verstehen, muss man ihre Sozialisierung und die Geschichte Burmas betrachten. Die meisten von ihnen haben entbehrungsreiche militärische Karrieren hinter sich. Die burmesische Armee ist aus der Unabhängigkeitsbewegung gegen die britische Herrschaft unter der Anführung vom General Aung San, dem Vater Aung San Suu Kyis entstanden. Der Unabhängigkeit folgten blutige Sezessionskonflikte vor allem in den Grenzgebieten des Vielvölkerstaates.

Seit Generationen wuchsen die Militärs in einem permanenten, brutalen Krieg auf, kämpften in den Urwäldern Nordburmas gegen Aufständische, gegen kommunistische Söldner oder ethnische Minderheitenarmeen, gegen Feinde, die die Einheit ihres Landes aus ihrer Sicht gefährdeten. Vom Ausland wurden sie für ihre Einstellung immerfort bestraft, boykottiert, isoliert und sanktioniert. All das formte und formt auch jetzt das Denken der mitbestimmenden Militär-Eliten, lässt ihre Handlungsweisen für sie als logisch und vertretbar erscheinen.

Beispielhaft für diese Gesinnung ist Aungs San Suu Kyis Konterpart in der Armee, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und somit der eigentliche starke Mann Myanmars, General Min Aung Hlaing. Bereits 2009 machte er auf sich aufmerksam, als er in zwei brutalen Offensiven gegen Rebellen im Bundesstaat Shan und in der Enklave Kokang im Nordosten des Landes fast 90.000 Menschen in die Flucht trieb.

Der 64-Jährige war als Infanterie-Offizier seit 1977 an Kämpfen gegen die Minderheitenarmeen beteiligt, auch an den berüchtigten "Vier-Stich- Operationen", die die Rebellen vom Nachschub aus der Zivilbevölkerung isolieren sollten. Im Grunde bestanden diese Aktionen im Abbrennen von Dörfern und dem Terror gegen Zivilbevölkerung. Diese jahrelangen Kämpfe in unzugänglichen Dschungeln Nordostburmas härteten ihn ab.

Einer seiner Offiziere war der spätere Militärmachthaber General Than Shwe. Dieser ernannte Min Aung Hlaing unter Umgehung dienstälterer und erfahrener Generale 2011 zum Oberbefehlshaber der Armee. Than Shwe machte gleichzeitig einen anderen General, Thein Sein, zum Präsidenten Myanmars und löste die Junta formal auf.

Als Oberbefehlshaber agiert Min Aung Hlaing in der Öffentlichkeit wie ein Staatsmann, hält in der Hauptstadt Naypyidaw Treffen mit ausländischen Staatschefs ab, sogar mit dem Papst. Im Unterschied zu Frau Aung San Suu Kyi kontrolliert er auch den mächtigen Staatsicherheitsapparat, was ihm einen enormen Wissensvorsprung verschafft.

Außerdem unterstehen dem Militär mehrere Wirtschaftskonglomerate, die alle wichtigen Sektoren, von Banken, über Tourismus, Telekommunikation bis zu Jadebergbau abdecken. Dieser wirtschaftlich-militärische Komplex ist die Quelle großen finanziellen Wohlstands für die hochrangigen Militärs und untersteht keiner zivilen Kontrolle. Dem General werden Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt.

Dass im Jahr 1990 die demokratischen Wahlen zum ersten Mal seit 1962 überhaupt zugelassen wurden, lag wohl an der völligen Fehleinschätzung der regierenden Generäle. In ihren Prunkvillen und von Illusionen geleitet dachten sie tatsächlich, von ihrem Volk ein demokratisches Mandat zum Weiterregieren zu bekommen. Der Langzeitdiktator General Ne Win vollzog auf dem außerordentlichen Parteitag diese überraschende Wende kurz bevor er selbst auf alle Ämter verzichtete.

Aung San Suu Kyi durfte auch damals, da sie mit einem Ausländer verheiratet war, nicht kandidieren. Man berief sich dabei auf eine Verordnung, die ironischerweise noch auf ihren Vater zurückgeht. Die NLD gewann fast 60 Prozent der Stimmen, einige ethnische Minderheitenparteien kamen auf weitere 20 Prozent, während die Nationale Einheitspartei der Militärregierung gerade zehn Sitze im Parlament erlangte. Die Militärs waren genuin von der führenden Rolle der Armee als Garant für das Wohlergehen des Landes überzeugt. Diese Armee vertrieb die Briten und Japaner, brachte die Unabhängigkeit, rettete das Land aus dem Chaos der fünfziger Jahre.

Gerade jetzt, wo sie sich fast am Ziel ihres Kampfes sahen, wo sie das Land beinahe befriedet hatten und dabei waren, eine "von Disziplin blühende Demokratie" einzuführen, das Land wirtschaftlich autark zu machen, wurde ihnen diese Rechnung präsentiert. Sie führten den ungünstigen Ausgang des Votums auf die massive Einmischung und Unterstützung der Opposition durch den Westen zurück.

Die Ergebnisse der Wahl wurden kurzerhand annulliert. Offiziell hieß es, man müsse zunächst eine neue Verfassung ausarbeiten. Die auf Druck der USA von der internationalen Gemeinschaft eingeführten Wirtschaftssanktionen und die offene Unterstützung der Opposition durch den Westen verstärkten nur das Misstrauen der Militärs und trieben sie zunehmend in die Arme des chinesischen Nachbarn, zumal dieser immer weiter die helfende Hand ausstreckte.

Die Chinesen stoppten die Jahrzehnte lange Unterstützung der kommunistischen Rebellen im nördlichen Grenzland und begannen ihre wirtschaftliche Expansion. Das Land wurde von billigen Massengütern überschwemmt, große Infrastrukturprojekte in Angriff genommen, die Regierung brauchte den Westen nicht mehr.

Die westlichen Regierungen heuchelten Bestürzung vor, Menschenrechtsaktivisten gingen auf die Straßen New Yorks, Londons und von Paris. Dennoch hörte der Westen nicht auf, einträchtige Geschäfte mit der Junta zu machen. Total, Chevron und andere Erdöl- und Erdgasgiganten bauten Offshore-Plattformen und Pipelines, die zum Teil durch die Gebiete der aufständischen christlichen Karens liefen und für deren Bau Dorfbewohner zwangsrekrutiert wurden.

Nachdem die Wahlergebnisse nicht anerkannt wurden, landeten viele gewählte NLD-Aktivisten im Gefängnis, andere flohen ins Ausland, meist nach Thailand, von wo sie medial gegen die Regierung kämpften. Aung San Suu Kyi hatte zwar viel Ausstrahlung, ihre Gestalt am Zaun ihres Hauses in der University Avenue in Yangon, von wo sie zu den Massen und internationalen Medien sprach, umgab die Aura einer Heiligen, aber ihr fehlte das politische Talent ihres Vaters, vor allem die Fähigkeit zu Kompromissen. Ihre Bewegung war von Anfang an zersplittert, persönliche Eitelkeiten und Feindschaften brachen auf, ausländische Geldquellen der Demokratiebewegung wurden von beleidigten Mitstreitern preisgegeben.

Sie ließ sich nach der Wahl von 1990 zunächst von der Junta vereinnahmen, wurde von ihr instrumentalisiert, ausgetrickst und zu immer mehr Konzessionen gezwungen, bis sie schließlich von einem "Mob" in der Provinz attackiert und "zu ihrem eigenen Schutz" weggesperrt wurde.

Sie konnte weder ihren Nobelpreis persönlich entgegennehmen, noch zum Begräbnis ihres Mannes, des britischen Tibetologen Michael Aris ausreisen, auch nicht ihre Söhne sehen. Allerdings war ihr Asyl durchaus selbst auferlegt. Sie hätte ihr Land jederzeit verlassen können, nur hätte sie danach möglicherweise nie wieder nach Myanmar einreisen können.