Eilantrag von Schülern: Willkür wird jetzt schwerer
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Jugendliche erzwingen Schulbesuch und kippen Wechselmodell. Fall macht deutlich, was nach gut einem Jahr Pandemiepolitik korrigiert werden muss. Ein Kommentar
Die Corona-Pandemie hat einige Dinge auf fast absurde Weise umgekehrt. Seit wir uns erinnern können – konkret: seit der Weimarer Verfassung 1919 – hat der deutsche Staat die Schulpflicht durchgesetzt. "Dann holt dich die Polizei und bringt dich in die Schule", war die ultimative Drohung für lernunwillige Jugendliche.
Nun aber haben zwei Schüler in Berlin gegen den Senat durchgesetzt, in die Schule gehen zu dürfen. SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres hatte trotz einer Inzidenz von 33 in der Bundeshauptstadt am Wechselunterricht festgehalten und damit der Hälfte der Schülerinnen und Schüler den Schulbesuch verwehrt. Zu Unrecht, wie das Berliner Verwaltungsgericht nun feststellte:
Nach § 28b Abs. 3 Infektionsschutzgesetz dürfe Präsenzunterricht nur in Form von Wechselunterricht angeboten werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 100 überschreite. (…) Der Spielraum des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers bei der Wahl der notwendigen Schutzmaßnahmen sei im Verlauf der Pandemie etwa wegen besonders schwerer Grundrechtsbelastungen und wegen zunehmend greifender alternativer Maßnahmen wie der fortschreitenden Impfung der Bevölkerung und der geschaffenen Testmöglichkeiten geringer geworden.
Aus der Pressemitteilung des Berliner Verwaltungsgerichts
Das ist eine wichtige Feststellung, denn nach über einem Jahr Pandemiepolitik scheinen manche Politiker die Willkür zur Norm machen zu wollen. Das betrifft nicht nur die Sozialdemokratin Scheeres, sondern auch ihren Genossen und Amtskollegen Grant Hendrik Tonne in Niedersachsen.
Der wollte – wir hier bei Telepolis schon kommentiert wurde – gegen die Empfehlung der Ständigen Impfkommission und trotz unzulänglicher Datenlage eine generelle Impfkampagne für Kinder ab zwölf Jahren durchsetzen, um die Schulen schnell wieder öffnen zu können.
Last der Pandemie wird abgewälzt
In beiden Fällen werden Fachpolitiker ihre Verantwortung nicht gerecht und versuchen Last und Risiken der Pandemie auf die Schwächsten abzuwälzen, die Kinder und Jugendlichen. Sollen sie sich doch impfen lassen, damit es wieder Präsenzunterricht geben kann, denkt Tonne. Sollen sie doch weiter zu Hause lernen, damit wir die Infektionszahlen niedrig halten, denkt Scheeres.
"Es sei zudem nicht dargetan, weshalb die bereits vorhandenen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen nicht ausreichten, um den angestrebten Zweck zu erreichen", entgegnet das Berliner Verwaltungsgericht.
Und man mag hinzufügen: Luftfilter, Tests Digitalisierung – all diese Instrumente können eine Rückkehr zur Normalsierung gewährleisten.
Tatsächlich aber gibt es keine befriedigenden Lösungen beim Einsatz von Luftfiltern. In einigen Fällen haben Eltern und Lehrer diese Geräte selbst besorgt und finanziert. Und eine Studie im Auftrag der Lehrergewerkschaft GEW hat ergeben, dass bei der digitalen Ausrüstung der Schulen auch nach mehr als einem Jahre Corona-Pandemie noch erhebliche Lücken bestehen.
"Die Hälfte der Schulen hat kein WLAN für die Schülerinnen und Schüler", zitiert das Handelsblatt den Studienleiter Frank Mußmann von der Universität Göttingen. Gerade einmal 57 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer arbeiteten an Schulen, an denen genügend digitale Geräte für den Unterricht zur Verfügung stehen. Ein Viertel der Schulen müsse ohne eine Schulcloud auskommen.
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