Ein "Gallisches Dorf" wird zurückgestutzt
Der Europäische Gerichtshof kippt endgültig das oberösterreichische Gentech-Anbauverbot
Jahrelang hatte das Bundesland Oberösterreich für ein Gentechnik-Verbotsgesetz gekämpft und war dafür durch alle Instanzen am Europäischen Gerichtshof gegangen. Letzte Woche entschied dieser zugunsten der EU-Kommission, die ein generelles Anbauverbot von gentechnisch veränderten Pflanzen nicht billigen wollte. Die zahlreichen gentechnikfreien Regionen Europas verfolgten den Musterprozess sehr aufmerksam, zumal sie bis dato keine Rechtssicherheit haben. Das Urteil wurde deshalb nicht nur in Österreich enttäuscht aufgenommen. Der Spruch zeigt generell Lücken des EU-Rechtssystems, das bisher auf ungelöste Koexistenzfragen nur wenig eingegangen ist. Für Kritiker wird mit dem EuGH-Spruch einer „Zwangskontamination“ von Umwelt und Landwirtschaft mit GVO Vorschub geleistet.
„Um den biologischen Landbau sowie die traditionelle landwirtschaftliche Pflanzen- und Tierproduktion vor Verunreinigungen (Einkreuzungen) durch GVO zu schützen“, hatte die. Landesregierung von Oberösterreich (Oö) das Gentechnik-Verbotsgesetz 2002 ausarbeiten lassen. Das Oö. GTVG 2002 ist ein Landesgesetz, mit dem der Anbau von gentechnisch verändertem Saat- und Pflanzgut sowie der Einsatz von transgenen Tieren zu Zwecken der Zucht sowie das Freilassen von transgenen Tieren insbesondere zu Zwecken der Jagd und Fischerei verboten wird. Der Entwurf wurde der Europäischen Kommission gemeldet, von dieser aber zurückgewiesen. Die Oberösterreicher wandten sich darauf hin an den Europäischen Gerichtshof EuGH. Ein jahrelanger Rechtsstreit begann, der am 13. September nun endgültig gegen die Oberösterreicher, die auch von der Republik Österreich unterstützt worden waren, entschieden.
Nach Ansicht der EU-Kommission würde ein solches Verbotsgesetz im Widerspruch zum Binnenmarkt stehen. Die Position der Kommission umriss ein Sprecher von Landwirtschaftskommissarin Marianne Fischer-Boel folgendermaßen:
"Keiner der genveränderten Organismen, die in der EU zugelassen sind, ist gefährlich. Sie haben alle wissenschaftlichen Untersuchungen durchlaufen, die zeigen, dass sie keine Gefahr für Gesundheit oder Umwelt sind. Um sie verbieten zu können, muss ein Land beweisen, dass Gefahr für Gesundheit oder Umwelt besteht oder neue Erkenntnisse vorlegen, die zeigen, dass sie aus bestimmten Gründen in einem bestimmten Gebiet für den Anbau nicht geeignet sind. Das gilt unserer Meinung nach nicht für Oberösterreich."
Oberösterreich hingegen argumentierte mit der kleinteiligen Landwirtschaft, in der Koexistenz – also das unbehelligte Nebeneinander von Gentechnik-Anbau und anderen Landwirtschaftsformen - unmöglich sei. Es wurde versucht, das mit Studien zu untermauern. Der österreichische Risikoforscher Werner Müller arbeitete in diesem Zusammenhang für Oberösterreich und ärgert sich naturgemäß über den Ausgang des Verfahrens. Seiner Auffassung nach orientierten sich die Richter zu stark an einem Gutachachten der Europäischen Behörde für Ernährungssicherheit EFSA, die aufgrund ihrer tendenziell gentechnik-freundlichen Beurteilungspraxis schon des öfteren unter Beschuss geraten war (vgl. Total verbandelt?). Müller erläutert seine Position im Gespräch mit Telepolis:
„Die EU-Kommission beauftragte die EFSA mit der Beurteilung der oberösterreichischen Position beziehungsweise mit unserer Studie. Doch die EFSA-Beurteilung ist eigentlich eine glatte Themenverfehlung. Unsere Studie hatte nicht zum Zweck nachzuweisen, dass Oberösterreich ein einzigartiges Ökosystem aufweist, sondern behandelte ausschließlich das Problem der Koexistenz in Oberösterreich. Es wurden erstmals Detail-Berechnungen auf Basis einer Digitalen Katastralmappe durchgeführt. Auf Basis dieser Berechnungen kamen wir zum Schluss, dass eine Koexistenz in Oberösterreich nicht möglich ist. Die Flächen konventionell und biologisch wirtschaftender Landwirte liegen einfach zu eng beieinander. Wenn hier auch nur ein Landwirt mit GVOs beginnt, werden die anderen, die ohne Gentechnik wirtschaften wollen, gefährdet. Inzwischen sind die Oberösterreicher dabei dies für das ganze Land und zwar speziell für Raps, der sich ja sehr weit verbreiten kann, zu belegen. Die ersten Karten wurden sogar an EU-Beamte geschickt, was der EuGH aber nicht wirklich berücksichtigte.“
Tatsächlich zeigt das inzwischen veröffentlichte Urteil, dass man offensichtlich primär die EFSA-Ansichten beurteilte. Ob Oberösterreich nun ein spezifisches besonders schützenswertes Öko-System hat oder nicht, wird lange und breit auf formal-juristischer Ebene diskutiert. Die entscheidende Koexistenzfrage wird in dem Richterspruch ausgeblendet. „Das mag auch daran liegen, dass zum Zeitpunkt der Einbringung der Nichtigkeitsbeschwerde die Koexistenzfrage noch kaum in den EU-Richtlinien und –Gesetzen berücksichtigt wurde. Erst im Verlauf des Verfahrens hat es hier einige Änderungen gegeben“, kommentiert Werner Müller.
Die österreichische Politik nahm über die Parteigrenzen hinweg das Urteil enttäuscht auf, versuchte aber die Bevölkerung zu beruhigen. Da auch der überwiegende Teil der Bauernschaft gegen Gentechnik auf den Feldern ist, wäre ein Einsatz kaum zu befürchten. Darüber hinaus hat Oberösterreich ein strenges Vorsorgegesetz erlassen, das von der EU-Kommission bisher nicht beanstandet wurde. Die wesentlichsten Eckpunkte dieses Vorsorgegesetzes sind:
- das Erfordernis einer Anmeldung des beabsichtigten Anbaus gentechnisch veränderter Organismen,
- die Möglichkeit einer Untersagung des Anbaus in besonders sensiblen Zonen und bei konkreter Gefahr des "Auskreuzens" auf konventionelle landwirtschaftliche Kulturen und
- Regelungen zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustands im Fall eines rechtswidrig erfolgten Anbaues.
Generell versicherten die verantwortlichen oberösterreichischen Politiker, die Landwirtschaft auch künftig „gentechnikfrei“ halten zu wollen. Der Landwirtschaftssprecher der Grünen im Parlament Wolfgang Pirklhuber forderte auf Bundesebene kulturbezogene Verbote:
„Die Zeit ist reif, um aus den juristischen Erfahrungen bei den Verhandlungen vor dem EuGH die nötigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Jetzt ist es ein Gebot der Stunde den gentechnikfreien Anbau von Mais und Raps in Österreich durch kulturartenbezogene Verbotsregelungen abzusichern.“
Die in Österreich parteiübergreifende generelle Ablehnung des Einsatzes gentechnisch veränderter Pflanzen wurde allerdings kürzlich vom österreichischen Vizekanzler Wilhelm Molterer in Frage gestellt. So dachte er laut über die Möglichkeit des Einsatzes von GVO bei Energiepflanzen nach. Bei seinen konservativen Parteikollegen von der ÖVP, insbesondere beim Landwirtschaftsminister Josef Pröll, holte er sich aber postwendend eine Abfuhr. Gerade bei den derzeit dafür bevorzugten Kulturen wie Mais und vor allem bei Raps ist die Koexistenzfrage strittig.
Die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 forderte anlässlich des EuGH-Urteils mehr Geld für unabhängige Risikoforschung, um gegebenenfalls der EU Paroli bieten zu können. Gentechnik-Sprecher Jens Karg:
„In Österreich müssen nun endlich vermehrt Mittel für kritische Risikoforschung zur Verfügung gestellt werden. Es ist vollkommen logisch, dass wir ohne Forschungsgelder in diesem Sektor zu einer einseitigen Forschungslage kommen. Wenn nur die Biotech-Industrie Gelder in die Forschung steckt, ist es nicht verwunderlich, dass die Erkenntnisse über die Risiken nur an der Oberfläche bleiben.“
Die österreichische Bevölkerung reagierte mehrheitlich empört auf die Entscheidung. Für viele verstärkt sich einmal mehr der Eindruck, dass die EU „über die Menschen drüber fährt“. Auch für die gentechnikfreien Regionen in Gesamteuropa – inzwischen über 160 von der Toskana über München bis hinauf nach Warbel-Recknitz - ist das Urteil ein Rückschlag. Die Zusammenschlüsse basieren auf Freiwilligkeit. Eine rechtliche Absicherung gibt es nicht und die Vereinbarungen können durch einen einzigen Landwirt, der (aus welchen Gründen auch immer) ausschert, aufgebrochen werden.
Bei dem Streit Oberösterreich versus EU ging es deshalb auch ums Prinzip, nämlich das Selbstbestimmungsrecht von Regionen in der Frage der grünen Gentechnik und darum, dass man sich gegen „Zwangskontamination“, wie es Kritiker polemisch ausdrücken, absichern will. Dieses grundsätzliche Problem wurde 2006 auf einer Fachtagung angesprochen. "Wenn sich eine Region entschließt, gentechnikfrei bleiben zu wollen, so soll dafür die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden", forderte damals Andrä Rupprechter vom österreichischen Landwirtschaftsministerium. Die einmütige Zustimmung der gentechnikfreien Regionen war ihm sicher.
Auch in Oberösterreich gibt man sich nach dem Urteil nicht geschlagen: "Wir schaffen das GVO-freie Oberösterreich trotzdem und werden uns mit noch mehr Energie für dieses zentrale Ziel der Landespolitik engagieren. Ab morgen folgt als Konsequenz auf das unverständliche EuGH-Urteil ein Bündel von 5 konkreten Maßnahmen", reagiert der für Gentechnik-Fragen in der oö. Landesregierung zuständige Umwelt- und Konsumentenchutzlandesrat Rudi Anschober:
- Barrieren durch ein Gentechnik-Vorsorgegesetz, das auf Basis bisher notifizierter gesetzlicher Regelungen in Europa erarbeitet wurde und die schärfsten Maßnahmen vereint und bereits morgen im Landtag von allen vier Parteien eingebracht wird.
- Wissenschaftliche Arbeit für pflanzenspezifische GVO-freie Zonen Oberösterreichs
- Verstärkung des politischen Druck auf Korrektur der derzeitigen untragbaren Gentechnik-Regelungen der EU-Verstärkung der von OÖ gegründeten Allianz der Regionen - bereits in sechs Wochen findet die nächste Konferenz der Sammlung von bisher bereits 33 europäischen Regionen zur Verstärkung des politischen Drucks statt.
- Koexistenz muss endlich geregelt werden - Schwerpunkt für die österreichische EU-Präsidentschaft
- Pakt Konsumenten mit Produzenten
Anschober abschließend: "Wer glaubt, wir resignieren jetzt, der täuscht sich gewaltig. Wir bleiben die Speerspitze in Europa für ein Selbstbestimmungsrecht der Regionen in dieser Lebensfrage. Jetzt wird das Engagement noch weiter verstärkt.“ Oberösterreich hat sich mit dem Gentechnik-Rechtsstreit in der Europa den Ruf eines „Gallischen Dorfes“ erworben. Wenn auch nichts über einen speziellen Zaubertrank bekannt ist, den Kampfgeist haben sich die Oberösterreicher offensichtlich bewahrt.