Ein Intermezzo zur Produktion von Wissen in den Wissenschaften

Seite 4: Zweifel an der ALS-Forschung von Niels Birbaumer (Uni Tübingen)

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ergänzung vom 12. April 2019: Ein Kollege aus Süddeutschland machte mich gerade auf die im SZ Magazin von gestern erschienene Reportage über Zweifel an der ALS-Forschung von Niels Birbaumer (Uni Tübingen) aufmerksam. Als hätte man sich dort mit der Veröffentlichung meines Blogbeitrags abgesprochen, hier ein paar Highlights:

* Trotz dem im offenen Brief gelobten Peer Review erschien in PLoS Biology eine Studie mit offenbar gravierenden methodischen Mängeln. (Die SZ-Autoren schreiben, die Zeitschrift habe ja auch nur einen Impact Factor von 9. Das ist, je nach Feld, gar nicht mal wenig, und die PLoS-Publikationen genießen unter Forschern eigentlich einen guten Ruf, weil die Initiative gerade von Aussteigern mitgegründet wurde, die im Mainstream große Probleme sahen.)

* Die Mängel fallen nur einem Informatiker auf, heute 35 Jahre, auf den jahrelang keiner hört und den man auf verschiedene Weise abwimmeln, wenn nicht gar einschüchtern will. Er ist seit Kurzem arbeitslos, weil die Uni Tübingen seinen Vertrag nicht verlängert hat.

* Im Artikel werden viele Wissenschaftler nur anonym zitiert - sie trauen sich nicht, so einen großen Namen wie Niels Birbaumer in der Öffentlichkeit zu kritisieren. Der könnte ja der Gutachter der eigenen Arbeit/des eigenen Forschungsantrags sein.

* Die Kollegen aus der Wissenschaft bzw. der Uni würden lieber ein Auge zudrücken, denn wenn "der Gedankenleser" (steht so mehrmals wörtlich im Text) Birbaumer gefälscht oder auch nur sehr schlampig gearbeitet haben sollte, dann 1) würde das das ganze Gebiet der Brain Computer Interface-Forschung in einem schlechten Licht dastehen lassen und 2) könne das vielleicht sogar den hart erkämpften Exzellenz-Status der Uni Tübingen aufs Spiel setzen.

* Beschäftigt würden in der Forschung vor allem arbeitslose Inder und Italiener, denn die würden Dinge tun, die deutsche Wissenschaftler nicht tun würden.

* Aus meiner eigenen Erfahrung: Ich hatte einmal eine Kooperation mit einem Wissenschaftler aus der Birbaumer-Gruppe. Obwohl alle Daten schon erhoben und ausgewertet waren und ich schon eine Rohfassung des Manuskripts geschrieben hatte, ließ ich die Dinge auf sich beruhen, als mir Unregelmäßigkeiten in der Datenauswertung auf der Tübinger Seite aufgefallen waren und es dann auch noch zu "Missverständnissen" bei der Reihenfolge der Autoren kam. Tja, eine Publikation mit einem hohen Impact Factor weniger im Lebenslauf.

Wir sehen: Die Struktureigenschaften des heutigen Wissenschaftssystems dienen eben nicht primär der Wissens- oder gar Wahrheitsfinden, sondern eben Macht, Einfluss & Prestige. Darum greift Markus Heinemanns Vorschlag, die gute alte Wissenschaft zu bewahren, schlicht zu kurz.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.