Ein Intermezzo zur Produktion von Wissen in den Wissenschaften

Seite 2: Open Access und Fake Journals

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"Auf der anderen Seite mag der Druck zu veröffentlichen, der auf Wissenschaftlern lastet, diese dazu veranlassen, fragwürdige Zeitschriften ohne wissenschaftliche Qualitätskontrolle zu wählen, um möglichst rasch und ungestört ihre Publikationslisten zu füllen. Das von öffentlichen Geldgebern empfohlene 'Open Access Publishing', bei dem der Autor die Kosten der Veröffentlichung trägt, hat leider auch eine ganze Industrie von 'fake journals' ins Leben gerufen, deren Zwielichtigkeit sich selbst dem Erfahrenen nicht immer auf den ersten Blick erschließt."

Man kann natürlich über diese Zeitschriften schimpfen. Freiheit führt immer auch zu Missbrauch, vor allem wenn sich damit Geld verdienen lässt. Aber warum bleiben wir nicht bei den Ursachen, etwa dem hier genannten Druck zu veröffentlichen? Dieser wird vom Herzchirurgen leider nicht weiter thematisiert.

Open Access geht übrigens nicht zwingend damit einher, dass ein Autor für seinen Artikel bezahlt, und auch klassische Verlage bieten diese Option immer häufiger an. Heinemanns Formulierung ist sogar etwas schräg, wenn man bedenkt, dass es in aller Regel um Steuergelder geht.

Ob nun die Bibliothek (aus Steuermitteln) Jahr für Jahr viel Geld an die Verlage bezahlt, wobei in den letzten Jahren einige wegen ihrer Knebelverträge mit Geheimhaltungsklauseln in Verruf gerieten, damit eine kleine Gruppe von Akademikern Zugang zu den Artikeln bekommt, oder ein Wissenschaftler (aus Steuer- oder Fördermitteln) dafür bezahlt, dass anschließend die ganze Welt im Internet darauf zugreifen kann - man kann darüber streiten, welcher Weg mehr für sich hat.

"Dass in derartigen Zeitschriften letztlich auch erfundene oder manipulierte Studienergebnisse unterkommen, verwundert nicht."

Das greift zu kurz. Auch in klassischen Zeitschriften hat es erfundene oder manipulierte Studienergebnisse gegeben, quer durch alle Disziplinen. Auch namhafte Schwergewichte wie die Harvard University blieben nicht verschont (Unmoralischer Moralforscher?).

Probleme des Gutachterwesens

"Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) unterhält mit dem Thieme Verlag als wissenschaftliche Fachzeitschrift den englischsprachigen 'The Thoracic and Cardiovascular Surgeon' (ThCVS) sowie einen Open Access Ableger 'ThCVSReports' für Fallberichte.

Die Zeitschrift ist jetzt 65 Jahre alt und seit 40 Jahren im Science Citation Index gelistet. Das macht sie zu einem der ältesten Publikationsorgane auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Von Anfang an wurde auf eine strenge Qualitätskontrolle geachtet, was schon bei einem relativ aufwendigen Begutachtungsprozess der Manuskripte beginnt. Hier wissen die Gutachter nicht, wer die Autoren sind. Es ist nachgewiesen, dass diese Methode für größere Objektivität sorgt."

Das ist rühmlich - doch aus der Doppelverblindung, also dass die Autoren nicht die Namen der Gutachter sehen und umgekehrt die Gutachter nicht die der Autoren, folgt aber leider nicht, dass sie unbekannt sind. Ich weiß nichts über Thorax- und Herzchirurgie, doch in der Wissenschaft muss man sich in aller Regel so weit spezialisieren, dass selbst international vielleicht nur noch ein kleiner Kreis von Fachleuten übrigbleibt, die auf demselben Gebiet forschen.

Dann trifft man sich auf Kongressen, bespricht dort seine (vorläufigen) Ergebnisse und bekommt idealerweise hilfreiche Tipps oder auch Einladungen, mal das Institut der Kollegen zu besuchen und dort seine Forschung zu präsentieren. Umgekehrt kann man dort auch Eindrücke gewinnen, wer auf dem eigenen Gebiet qualifiziert ist und wen man selbst als Gutachter vorschlagen kann, wie es viele Zeitschriften anbieten.

Es ist also gar nicht einmal unwahrscheinlich, dass die Gutachter wissen oder zumindest ahnen können, wessen Arbeit sie gar gerade begutachten. Und umgekehrt kann man als Autor manchmal aus den Gutachten darauf schließen, wer dahintersteckt. Das bringt einem freilich wenig, es sei denn, man möchte sich beim Anderen "revanchieren".

Manche Zeitschriften schreiben zwar vor, dass man Zitationen zu eigenen Arbeiten dann verstecken muss, damit die Gutachter den Namen nicht raten können. Wenn man aber auf dem Gebiet schon viel publiziert hat, bekannt ist und dann keine dieser wichtigen Arbeiten bei den Zitaten auftaucht, dann ist das aber auch auffällig.

Warum verwende ich so viele Worte auf die Frage der Begutachtung? Eben weil es hier ein großes Problem mit Interessenkonflikten gibt, worüber ich vorher schon einmal ausführlicher schrieb (Warum die Wissenschaft nicht frei ist).

Zahlreiche Interessenkonflikte

Natürlich ist Begutachtung zur Qualitätskontrolle wichtig. Doch was, wenn die Gutachter gute Freunde - oder umgekehrt bittere Feinde - sind? Können sie dann noch ein unabhängiges Urteil bilden? Wohlgemerkt, in einer Situation des Hyperwettbewerbs, in dem die besten Publikationsmöglichkeiten stark begrenzt sind und für den Erwerb von Drittmitteln und Stellen, die man vielleicht selbst will oder zum ökonomischen Überleben sogar braucht, entscheidend sind?

Ich denke, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier immer noch sehr gute Arbeit leisten. Doch selbst dann stehen diese Personen oft unter Zeitdruck. Es wird meistens schlicht erwartet, dass man die Gutachten so eben mal nebenbei macht. Das System der Qualitätskontrolle ist schlicht nicht darauf ausgelegt, gute Qualität zu liefern. Und das sieht man - meiner Erfahrung nach und dem Vernehmen nach bin ich damit nicht der Einzige - leider oft genug in den Gutachten.

Dazu kommt, dass die wissenschaftlichen Zeitschriften eigene Interessen haben, häufig einschließlich einer Gewinnabsicht, die nicht unbedingt der Wahrheitsfindung dienen. Die Redakteure insbesondere bei den kommerzielleren Titeln in erster Linie ihrem Verlag verpflichtet, noch vor der Wissenschaft. Sie halten die Identität der Gutachter geheim und haben das letzte Wort. Die Regeln für ihre Arbeit geben die Verlage sich selbst - eine unabhängige Kontrolle ihrer Einhaltung gibt es so gut wie nicht.

Ein Rechtsstaat nach wissenschaftlichem Vorbild

Stellen wir uns einmal vor, dass unser Rechtswesen so funktionierte: Ein Staatsanwalt erhöbe Anklage bei einem Richter, der selbst finanziell davon profitierte, wenn der Angeklagte verurteilt würde. Zur Wahrheitsfindung würde der Richter Gutachten bei Personen einholen, die nur er kennte, und womöglich mit seinen persönlichen Hinweisen oder gar Anweisungen versehen, die der Verteidigung nicht mitgeteilt würden.

Mit den Gutachten könnte er dann machen, was er wollte - sie zum Beispiel auch ganz verwerfen und neue einholen, wenn sie ihm nicht gefielen. Das Urteil würde anschließend vielleicht nur mit einem Satz begründet und wäre nicht anfechtbar. Vielleicht gäbe es allenfalls einen Briefkasten für Beschwerdepost. Was damit geschähe, wäre aber gar nicht klar. Eine Berufungsinstanz fehlte gänzlich.

Oder machen wir es etwas weniger abstrakt: Stellen wir uns vor, ein Richter - jetzt denken wir eher auf Ebene der Gutachter als der Redakteure - würde über eine Baugenehmigung entscheiden, die neben seinem eigenen Grundstück läge. Er hätte nicht nur etwas gegen den Lärm, den die Baustelle monatelang verursachen würde, sondern seiner Terrasse würde auch noch die schöne Aussicht genommen. Wie wahrscheinlich wäre in diesem Fall ein unabhängiges Urteil? Würden Sie zu diesem Richter mit ihrem Anliegen wollen?

Jeder würde wahrscheinlich sofort einsehen, dass es in so einem System regelmäßig zu Willkür käme, dass es vielleicht wie im Mittelalter zuginge, wo die Fürsten mehr oder weniger machen konnten, was sie wollten (eine Lese-Empfehlung hierzu: Kleists, also eines Juristen Roman "Michael Kohlhaas"). Mit einem Rechtsstaat, wie wir ihn kennen und hoffentlich auch schätzen und verteidigen, in dem eben Prinzipien wie Transparenz, Kontrolle, Öffentlichkeit und Unabhängigkeit gelten, hätte so eine Welt sehr wenig zu tun.

Dennoch halten wir es für selbstverständlich, dass die Wissenschaft so funktioniert. Warum nur? Warum denken wir, dass jemand, sobald er als Wissenschaftler arbeitet, die Objektivität in Person ist? Dass er nicht mehr durch Macht- und Geldstreben oder sei es nur Stress und Wettbewerbsdruck beeinflussbar wäre? Und das, wo es inzwischen doch schon so viele Beispiele für schlechte wissenschaftliche Arbeit bis hin zur krassen Fälschung gibt.