"Ein Meilenstein": Russische Sicht auf Finnlands Nato-Beitritt

Die Grenzlänge zwischen Russland und der Nato hat sich durch den finnischen Betritt verdoppelt. Symbolbild: Wilfried Pohnke auf Pixabay (Public Domain)

Der Nato-Beitritt Finnlands produzierte in Russland große Schlagzeilen. Man sieht die lange gemeinsame Grenze und eine "Werteradikalisierung" des Westens.

"Die Nato hat die Nordgrenze Russlands erreicht", titelte die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta, "Die Grenzlänge zwischen der Nato und Russland hat sich verdoppelt", schreibt die Onlinezeitung gazeta.ru und bezeichnet die Auswirkungen als "neue Ära".

Der regierungsnahe Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow bezeichnet in der Rossiskaja Gaseta Finnlands Nato-Aufnahme als "Meilenstein". In der russischen Presse ist der Nato-Beitritt des Nachbarlandes ein großes Thema.

Tatsächlich ist die direkte Grenze zwischen Nato-Staaten und Russland durch den finnischen Beitritt nun über 1.200 Kilometer gewachsen und 90 Prozent der Ostseeküste werden von Nato-Staaten kontrolliert. Russlands Zeitungen sind voll von Analysen und Stellungnahmen, was das für das eigene Land und seine Bedrohung von außen bedeutet. Tenor ist bei den innerrussischen Medien unter Berufung auf die eigene Politik vor allem eine Verschlechterung der Sicherheitslage.

Seriöse Medien sehen offen den Zusammenhang zum Ukraine-Krieg

Dass ein großer Meinungsumschwung in der finnischen Bevölkerung zum Thema Nato vor allem mit der russischen Invasion der Ukraine zusammenhängt, ist dabei auch Thema in innerrussischen Medien, die Wert auf eine sachlich fundierte Berichterstattung legen. Etwa die Zeitung Kommersant stellt fest, dass noch im Januar 2022 nur 28 Prozent der Finnen für einen Nato-Beitritt waren, im Mai aber bereits 76 Prozent.

Diese Ursache spielt in Berichten direkter Staatsmedien keine so große Rolle, die vor allem mit einer glühenden Unterstützung der Ukraine-Invasion beschäftigt sind. Sie ist aber natürlich in Regierungskreisen bekannt. Verteidigungsminister Sergei Schoigu betonte laut der Nesawisimaja Gaseta sofort, dass dieser Beitritt keinen Einfluss auf den Verlauf der sogenannten "Militärischen Spezialoperation" im Nachbarland haben werde.

Aufrüstung im Nordwesten Russlands angekündigt

In jedem Fall wird der Beitritt eine Reaktion von russischer Seite bedeuten. Schoigu sprich von der Stationierung eines neuen Armeekorps in Karelien, der Grenzregion zu Finnland. Aufgestockt werde der Leningrader Militärbezirk, wie bis heute das Umland von Sankt Petersburg im Armeejargon heißt.

Der Nato-Beitritt Finnlands wird von der russischen Politik als zusätzliche Bedrohung der eigenen Sicherheit wahrgenommen. Wie umfangreich die militärische Antwort Russlands sein wird, wird auch davon abhängen, inwieweit Nato-Infrastruktur auf finnischem Gebiet tatsächlich installiert wird. Man muss davon ausgehen, dass der Umfang der dortigen Aufrüstung von der russischen Seite intensiv aufgeklärt wird.

Aufmerksamkeit widmen die russischen Strategieexperten nun verstärkt der Tatsache, dass Finnland über ein großes Arsenal an Artillerie verfügt und auch Offensivwaffen an den russischen Kriegsgegner in der Ukraine liefert. Zuletzt waren die Truppen in Russlands Nordwesten eher geschwächt worden, da viele der dort bisher stationierten Einheiten an der Ukraine-Invasion teilnehmen.

"Verschmelzung von EU und Nato"

Den finnischen Beitritt sieht Russlands Außenministerium als Symptom der "Verschmelzung von EU und Nato" und als "dramatische Veränderung der Situation im nordeuropäischen Raum", die zuvor "eine der stabilsten der Welt gewesen sei", zitiert Kommersant die eigenen Offiziellen.

Bemerkenswert sei die Geschwindigkeit des Nato-Beitritts in weniger als einem Jahr, womit ja immerhin eine seit dem Zweiten Weltkrieg andauernde Epoche einer "Quasi-Neutralität" beendet worden sei. Tatsächlich gibt es nach dem finnischen und folgenden schwedischen Beitritt nur noch vier kleinere EU-Staaten, die der Nato nicht angehören: Österreich, Irland, Zypern und Malta.

"Werteradikalisierung" statt Konfrontationsvermeidung

Der Politologe Fjodor Lukjanow sieht eine herausgehobene Bedeutung des finnischen Beitritts vor allem in der Tatsache, dass das Land bisher wie Schweden die eigene Neutralität als Prinzip der Außenpolitik in den letzten Jahren betrachtete. Auch Wirtschaftsbeziehungen zu Russland seien in den letzten Jahrzehnten ein Hintergrund dieser Linie gewesen. Er findet bemerkenswert, dass es in Finnland fast keine Diskussion darüber gab, ob die Neutralität nicht ein "zuverlässigerer Weg zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit sei".

Er glaubt an einen Paradigmenwechsel in Westeuropa, der auch in Finnland stattfinde. Die enge Zugehörigkeit zur ideologischen Gruppe des Westens bekomme beim Thema Sicherheit einen höheren Stellenwert als die Vermeidung einer Konfrontation. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer "Werteradikalisierung" der westlichen Politik. Empfindliche Sicherungen verlören an Relevanz. Man betrachte Russland als Vertreter einer "untergegangenen Seite" des Kalten Krieges, was auch ein Umdenken in Russland erfordere.