Ein Sci-Fi-Spielfilm für 8500 Euro
Interview mit Marcel Barion - der angehende Medienkulturwissenschaftler sucht Funder für das SF-Spielfilmprojekt "Das Letzte Land"
Ein Tatort kostet über eine Million Euro. Dagegen nimmt sich die Summe von 8500 Euro geradezu bescheiden aus: Für die will eine Gruppe junger Filmemacher aus NRW einen abendfüllenden Science-Fiction-Film drehen. Doch erst mal muss sie die Summe über die Crowdfunding-Plattform Startnext einsammeln. Ein Gespräch mit Regisseur Marcel Barion (28) über Sci-Fi und Film.
War das Crowdfunding schwierig?
Marcel Barion: Das Einrichten ist eigentlich nicht schwierig, das Vorbereiten auch nicht. Ich würde eher sagen: es war aufwändig. Und das ist es immer noch. Denn man muss ja ständig am Ball sein, News bringen, auf Facebook aktuell bleiben, E-Mails schreiben und beantworten, die Presse mobilisieren, sich auch direkt um Sponsoren kümmern. Alles mögliche eben. Und die Finanzierungsphase läuft ja erst seit knapp eineinhalb Wochen.
Ist es wahr, dass allein die FSK-Prüfung 1200 Euro schluckt?
Marcel Barion: Ja. Das liegt daran, dass es ein Spielfilm und ein Langfilm sein wird. Theoretisch könnte es passieren, dass wir einen Vertrieb finden, der das für uns übernehmen würde. Aber das steht natürlich in den Sternen.
Wie viele Leute arbeiten an dem Film - sofern das Crowdfunding erfolgreich ist?
Marcel Barion: Nicht viele. Und alle unentgeltlich natürlich. Im Moment arbeiten eigentlich nur drei Leute so richtig daran. Aber ein paar andere helfen hier und da mit. Und manche werden erst später aktiv, und zwar wenn ganz bestimmte Arbeiten gemacht werden müssen. Z.B. haben wir einen Elektro-Zauberer, der alles mögliche löten und basteln kann. Der kommt erst ins Spiel, wenn die Architektur des Schiffs steht.
Aber grundsätzlich sind das immer nur eine Handvoll Leute. Der Schiffsbau geht z.B. so gut wie komplett auf die Kappe eines Einzelnen (Massimo Müller). Ich selbst werde Regie und Kamera führen, den Schnitt und die Nachbearbeitung leiten. Auch die Musik wird voraussichtlich selbst gemacht werden. Für den Teaser-Clip gilt das auch alles schon so.
Was dürfen wir von "Das letzte Land" erwarten?
Marcel Barion: Ein rätselhaftes Roadmovie im Weltraum, ein unheimliches und bilderreiches Kammerspiel in einem kleinen, alten Raumschiff. Ein Film mit einer dichten Atmosphäre, malerischen Bildern und einem charaktervollen Raumschiff. Subtiles Schauspiel und eine Geschichte von mythologischer Tiefe. Der Film soll unheimlich werden aber auch sympathisch. Er soll elegisch werden, aber nicht kitschig.
Für die Herstellung der Trickbilder wollen wir keine Computergrafiken verwenden, nur optische und physische Effekte. Das Raumschiffinnere wird mit viel Liebe und großem Detailreichtum gebaut, die Schauspieler sollen gut auf ihre Rollen vorbereitet werden, Story und Drehbuch entstehen mit einigem Bewusstsein um Dramaturgie und Erzähltheorie.
Der Film soll nicht nur Genre-Fans gefallen, sondern auch denen, die weniger Bezug zur Science-Fiction haben. Damit ließe sich vielleicht auch etwas dazu beitragen, die allgemeine Reputation von Science-Fiction zu verbessern.
Man muss ja ohnehin jeden bewundern, der in diesem Land Science-Fiction macht. Wie kamst du dazu?
Marcel Barion: Ich habe mit sechs Jahren das erste Mal "Krieg der Sterne" gesehen. Mein Vater hatte ziemlich große Boxen, eine dicke Quadrophonie um mich herum. Das hat Eindruck gemacht. Ich habe früh angefangen, Filme zu machen: Erst im Microsoft 3D-Filmstudio, dann VHS, später DV - da griff z.B. Godzilla mal meinen Heimatort an und mein Bruder wurde zertrampelt …
In den USA entwerfen SF-Autoren NASA-Projekte, bei uns fasst man das Label "SF" mit der Pinzette an …
Marcel Barion: Das war nicht immer so und hängt sicher mit unserer Kulturgeschichte zusammen. Man erinnere sich, dass Fritz Langs "Metropolis" von 1927 oder "Frau im Mond" von 1929 ganz normale, große deutsche Produktionen waren. Und Lang war technisch ganz vorne dabei: Parallel zur Produktion der "Frau im Mond" wurde z.B. die Raketentechnik maßgeblich weiterentwickelt - unter anderem von Hermann Oberth, der auch Langs wissenschaftlicher Berater war. Eine der ersten Flüssigkeitsraketen wurde vom Werbeetat der UFA bezahlt... um für den Film zu werben, wurde eine echte Rakete entwickelt und gebaut, eine Großmutter der ersten Apollo-Rakete. Und dass man einen Countdown einleitet, wie man ihn dann 69 überall hörte, das hatte sich damals Fritz Lang ausgedacht.
Als dann die Nazis kamen, wurde das deutsche Filmschaffen komplett kontrolliert und zu Propaganda- bzw. Verblödungszwecken eingesetzt. Ein Großteil der Künstler, die da nicht mitmachen wollten, ging nach Amerika, auch Filmemacher wie Lang. Nach dem Krieg beschwor der übriggebliebene Deutsche Film ein schönes, buntes, kitschiges Deutschland herauf, mit Berg- und Heimatfilmen und all sowas. In den 60ern wurde das dann einigen Filmemachern buchstäblich zu bunt, sie begründeten den Neuen Deutschen Film.
Der sollte wieder politisch und kritisch und autonom sein und etwas mit der direkten Realität zu tun haben. Doch dadurch wurde Deutschland auf eine ganz bestimmte Weise "ernst": Man neigte dazu, Genre von Anspruchsvoll zu trennen, unterschied gerne zwischen niedriger und höherer Kunst nach dem Kriterium des direkt sichtbaren Realitätsbezugs - und das war und ist natürlich ein ziemlich kurzsichtiges Kriterium. Auch indirekt, im Kleide von etwas anderem, situiert in einer offensichtlich künstlichen Welt, kann man über unsere Welt sprechen und schreiben und Filme machen. Sogar so jemand wie Platon hat das gemacht. Der erfand im "Timaios" und im "Kritias" Atlantis, um zu zeigen, wie es seiner Meinung nach am besten in einem Staat laufen sollte.
Wird "Das Letzte Land" ein ernster Film? Gibt es Monster, Laserstrahlen, einen Imperator?
Marcel Barion: Vielleicht kann man sagen, dass unser Film beides vereinen soll. Er soll "intellektuelle Tiefe" haben und stellenweise so rätselhaft sein, dass der Zuschauer anfängt, sich Gedanken zu machen. Er soll sich auf jeden Fall ernst nehmen, will kein Trash sein. Aber dennoch handfest. In unserem Raumschiff soll es teils alltägliche Probleme geben, Auseinandersetzungen zwischen den beiden Figuren, Probleme mit der Technik. Aber es sollen auch ganz grundlegende, menschliche Themen angesprochen werden. Und es soll vor allem eine Reise sein in ganz komische, geheimnisvolle, seltsame Ecken des Alls. Ich will da aber nicht zu viel verraten …
Kann Science-Fiction überhaupt intellektuell sein?
Marcel Barion: Wie man einem Werk begegnet, hängt ja auch mit Empathie, Energie, Begeisterungsvermögen, Bildung, Respekt und vielleicht sogar Moral zusammen. Das eine Werk ist toll, weil es einfach virtuos ist, wie "2001 - Odyssee im Weltraum". Das andere, weil es absolut dicht und charakterstark ist, wie "Krieg der Sterne". Ein Drittes, weil es irgendwie hübsch und fidel ist, wie "Barbarella". Ein Viertes, weil es so erhaben kompliziert ist, wie "Solaris". Und ein Fünftes, weil es einfach so schön altehrwürdig ist, wie "This Island Earth".
All das bringt aber natürlich nicht so viel, wenn es nicht erkannt wird. "Intellektuell" könnte bedeuten, dass man derlei angemessen erkennen kann. Es hängt also vom Zuschauer ab, wie er einem Film begegnet - also auch einem Science-Fiction-Film.
Allerdings gibt es sicherlich SF-Filme, die mehr Stoff, Metaphern, Ebenen, Entdeckungen bieten als andere. Auch kann man einen klaren Unterschied machen zwischen Filmen, die nicht nur auf ihrer Inhaltsebene, sondern auch auf ihrer Stilebene originell sind. Schließlich gibt es SF-Filme, die nicht nur auf ihre Story und ihre Bilder an sich verweisen, sondern auf Ideen, Vorstellungen, Philosophien, Utopien. Wie etwa Filme, die als Parabeln für unsere Gesellschaft funktionieren können, oder die sozusagen verfilmte Technikphilosophie sind. So ergäben sich bestimmt Kriterien, nach denen man reichere SF-Filme von weniger reichen unterscheiden könnte. Und diese reicheren könnte man dann vielleicht intellektuell nennen. Unter diesen Maßgaben könnte man dann sagen: Klar kann Science-Fiction intellektuell sein! ;)
"Das Letzte Land" ist ein Film in der Zukunft, im Weltall. Warum widmet sich die SF so selten Themen wie etwa den Auswirkungen der digitalen Revolution, wo ja zwischen finsterster Überwachungs-Dystopie und sonniger Transparente-Klick-Demokratie-für-alle-Utopie derzeit noch alles drin ist?
Marcel Barion: Vielleicht, weil SF eigentlich Mythologie ist und sich daher eher für die noch älteren, grundlegenderen Fragen interessiert. Die digitale Revolution ist ja durchaus vergleichbar mit der neolithischen, als man u.a. den Ackerbau erfand, und sie muss natürlich auch durch den Film reflektiert werden. Aber Ansätze davon gibt es ja auch schon, selbst einem Biopic wie "The Social Network".
Auch einen SF-Film wie "Minority Report" könnte man so verstehen, dass er die "Open-Bewegung" weiterdenkt, also mit Open-Source, Open-Access; dort gibt es sowas wie die "Open-Future" jedes Bürgers. Es heißt da nicht mehr: Keiner darf eine Straftat begehen. Sondern: Keiner darf eine Straftat begehen werden ... Damit könnte man sich vielleicht noch arrangieren - solange eine Regierung etwas Angemessenes unter Straftat versteht. Stellt man sich die Technik aus "Minority Report" jedoch in einer Diktatur vor, wäre das natürlich verheerend.
Ich würde also sagen, dass es schon SF-Filme gibt, die diese Dinge - zumindest indirekt - behandeln. Man denke auch an Dystopien wie "Fahrenheit 451", "THX 1138" oder "1984". Die befassen sich im Grunde auch schon mit ganz verwandten Dingen, obwohl sie noch vor der digitalen Revolution entstanden sind. Vielleicht braucht es einfach noch etwas Zeit für eine direkte Bezugnahme. Und vielleicht braucht es auch noch ein wenig mehr digitale Geschichte, bis vermehrt über deren Zukunft nachgedacht wird.
Würdest Du Dir wünschen, dass plötzlich Roland Emmerich reinschneit, oder ein Vertreter von öffentlich-rechtlichen TV-Sendern - natürlich jeweils mit gezücktem Scheckbuch?
Marcel Barion: Es hätte ein paar Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind. Aber mir gefällt, dass wir viel improvisieren müssen. Die teils abenteuerlichen Bedingungen und die ganzen kleinen Probleme, die wir haben, formen den Film mit. Er würde völlig anders aussehen, wenn wir 200 Millionen hätten. Und vielleicht wäre er dann noch nicht einmal besser, sondern blöder. Man könnte wirklich die These aufstellen, dass zu viel Geld nicht gut für einen Film ist. Also: Ein bisschen Geld - so wie unsere angepeilten 8.500 Euro - kann natürlich ziemlich hilfreich sein, aber "zu viel Geld" ... das verwöhnt und man wird vielleicht nachlässig und vergisst vielleicht sogar, was man ursprünglich mal wollte.
Wann dürfen wir auf den fertigen Film hoffen?
Marcel Barion: Erst mal müssen wir die Finanzierung auf Startnext schaffen. Dann würden wir versuchen, den Film recht intensiv und schnell fertigzustellen. Bis August müssen das Set und die Ausstattung fertig sein, denn dann würde gedreht. Danach würden wir alle Trickaufnahmen machen, eben die ganze Postproduction. Vielleicht könnte er irgendwann im Sommer 2015 fertig sein... Wir wollen die "Crowd" natürlich nicht allzu lange warten lassen.
Teaser-Trailer "Das letzte Land"