Ein bisschen Wehrpflicht vielleicht später – oder doch schon bald?
Vorerst nur Fragebogen-Ausfüllpflicht. Das könnte sich ändern. Wenn ein Parteifreund von Minister Pistorius seinen Russland-Kurs durchsetzt, sogar schnell.
Ist die Wehrpflicht nun eigentlich "vom Tisch", wie es FDP-Fraktionschef Christian Dürr aufgefasst hat?
Wehrdienst oder Wehrpflicht: Eine Frage des Wordings?
"Ein bisschen Wehrpflicht ist wie ein bisschen schwanger. Das gibt’s nicht", kommentierte der Journalist und ehemalige Zeitsoldat Nikolaus Blome am Mittwoch die Pläne von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Das Wording fiel dem Minister selbst und einigen Medien scheinbar nicht ganz leicht.
Vorerst soll es jedenfalls nur für junge Männer eine Ausfüll- und Rücksendepflicht für Fragebögen zur Wehrerfassung geben, die an alle 18-Jährigen verschickt werden. Für junge Frauen ist die Beantwortung freiwillig. Sein Konzept für einen "Neuen Wehrdienst" hat Pistorius am Mittwoch in der Bundespressekonferenz vorgestellt.
Wehrpflicht war nie abgeschafft – die Flucht ins Ungenaue
Antworten auf häufig gestellte Fragen von potenziell Betroffenen finden sich auch auf der Homepage des Bundesverteidigungsministeriums.
Die Frage, ob damit nun "die Wehrpflicht wiedereingeführt" wird, beantwortet das Ministerium mit "Nein". Allerdings ist das bereits eine Ungenauigkeit, denn die Wehrpflicht für junge Männer wurde bisher gar nicht abgeschafft, sondern 2011 lediglich ausgesetzt – das heißt, auf den "Spannungs- und Verteidigungsfall" beschränkt, aber nicht aus dem Grundgesetz gestrichen.
Laut Artikel 12a GG können allerdings keine Frauen verpflichtet werden.
Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
Artikel 12a GG, Absatz 1
Freiwilligkeit nur vorläufig: Das schreibt das Ministerium
Das Ministerium setzt auf Auswahl und Freiwilligkeit – jedenfalls "zunächst".
Das Ziel ist die Erfassung von wehrdienstfähigem Personal, es erfolgt eine Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber nach Eignung und Motivation, zunächst auf Basis der Freiwilligkeit.
Bundesministerium der Verteidigung / FAQ: Der "Neue Wehrdienst" bei der Truppe
Allerdings habe die Debatte um das neue Wehrdienstmodell erst begonnen. Pistorius strebt eine einfachgesetzliche Regelung durch den Bundestag noch vor der Sommerpause 2025 an. Rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten sollen der Bundeswehr momentan fehlen.
Durch Werbung, etwa auf Spielemessen oder Veranstaltungen zum Tag der Bundeswehr, war dieser Bedarf bisher nicht zu decken; und Jugendoffiziere, die an Schulen auftreten, dürfen dort nicht direkt um Nachwuchs für die Truppe werben.
Was das Modell von einer "echten" Wehrpflicht unterscheide, sei "die Möglichkeit der gezielten Auswahl nach festgelegten Heranziehungskriterien", erklärt das Ministerium. "Es wird nur die Anzahl an Wehrdienstleistenden ausgewählt, die auch optimal ausgebildet werden kann."
Fehlen zum Wehrdienst-Zwang nur Kasernenplätze?
Die dafür notwendigen Strukturen sind es unter anderem, was Pistorius meint, wenn er sagt, Deutschland müsse bis 2029 kriegstüchtig werden. Denn seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 wurden Kapazitäten zur Unterbringung, Ausbildung und Ausrüstung von Wehrdienstleistenden abgebaut und müssen erst schrittweise wieder geschaffen werden.
Im ersten Jahr des neuen Wehrdienstmodells könnten nach Schätzung des Ministeriums rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten zusätzlich aufgenommen und ausgebildet werden. Wie viele es in Zukunft sein können, soll "jährlich geprüft" werden.
FDP setzt auf Begeisterung für die Truppe
FDP-Fraktionschef Dürr erklärte dazu, er freue sich, dass Pistorius' Vorschläge denen seiner Partei näherkämen. "Wenn echte Verteidigungsfähigkeit unser Ziel ist, müssen wir junge Menschen dafür begeistern, den wichtigen Dienst an unserer Sicherheit zu leisten, anstatt sie gegen ihren Willen zu verpflichten", sagte Dürr gegenüber dem Nachrichtenportal t-online.
Grundsätzlich bleibt aber auch das möglich – und wird wahrscheinlicher, wenn es nach Pistorius’ Parteifreund Sigmar Gabriel geht.
Ex-Minister will härteren Kurs gegen Russland
Der ehemalige deutsche Außenminister und Chef des Vereins Atlantik-Brücke e. V. gab kurz vor der Präsentation von Pistorius-Plänen dem Stern ein Interview, in dem er einen härteren Kurs gegen Russland forderte und eine direkte Beteiligung der Bundeswehr am Ukraine-Krieg ins Spiel brachte.
"Niemand wünscht sich, die Bundeswehr in einen Krieg führen zu müssen", sagte Gabriel dem Magazin. "Aber wenn die Gefahr wächst, dass die Ukraine verliert, dann zerstört das auch unser bisheriges Leben in Frieden und Sicherheit in Europa", gab er sich überzeugt.
Russlands Präsident Wladimir Putin führe dort aus seiner Sicht "einen Krieg gegen den Westen, den er für dekadent hält, dessen Werte er ablehnt und als Gefahr für seine Macht sieht", so Gabriel. "Deshalb müssen wir Russland weit härter entgegentreten, als wir das bislang tun."
Rang Deutschland im Kalten Krieg die Sowjetunion nieder?
Allerdings werfen weitere Sätze von Gabriel Fragen auf: "Ich hätte nicht gedacht, das einmal sagen zu müssen: Aber wir werden Russland noch einmal so niederringen müssen, wie wir das im Kalten Krieg mit der Sowjetunion gemacht haben", sagte er dem Magazin zufolge.
Im Kalten Krieg hatte kein aktiver deutscher Soldat einen Fuß auf sowjetisches Gebiet gesetzt – die Rede war vom atomaren "Gleichgewicht des Schreckens" zwischen der Sowjetunion und den Nato-Staaten. Der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow erhielt 1990 den Friedensnobelpreis, nachdem er mit der "Perestroika" einen Staatsumbau und in Abrüstungsverhandlungen mit den USA das Ende des Kalten Krieges eingeleitet hatte.
In Bezug auf die heutige Situation sagte Gabriel, Putin müsse erkennen, "wie ernst wir es meinen", so der Ex-Außenminister. "Es braucht das klare Signal an Putin: Stopp diesen Krieg – oder wir tragen ihn zu dir."
Scholz-Versprechen: Keine Bodentruppen in die Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz, der wie Gabriel und Pistorius Mitglied der SPD ist, hat eine direkte deutsche Kriegsbeteiligung bisher abgelehnt und im Februar dieses Jahres zumindest sein Versprechen erneuert, "dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden gibt, die von europäischen Staaten oder Nato-Staaten dorthin geschickt werden".
Die Forderung, "Der Krieg muss nach Russland getragen werden" hatte im Februar der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter im Gespräch mit der Deutschen Welle ausgesprochen.
Inzwischen hat die Bundesregierung unter Scholz der ukrainischen Regierung erlaubt, aus Deutschland gelieferte Waffen auch gegen Ziele in Russland einzusetzen. Ein Einsatz deutscher Soldaten gilt auf ukrainischem Boden nach wie vor als Tabu – aber es wäre nicht das erste Mal, dass Scholz nach beharrlichem Druck seine Meinung ändert.