Ein bisschen was geht immer?
Britische Behörden signalisierten in informellen Gesprächen mit Handelsketten grünes Licht für den Verkauf von illegalem Gentech-Reis LL601
Manchmal gewinnt man als Festlandeuropäer den Eindruck, dass britische Behörden etwas anders ticken. Zu einem Zeitpunkt, als die EU-Behörden noch unmissverständlich sagten, dass aufgrund der Datenlage keinerlei Aussagen zu möglichen gesundheitlichen Risiken des in Europa aufgetauchten illegalen Gentech-Reises LL601 getroffen werden könnten, gab die britische Food Standards Agency grünes Licht für den Weiterverkauf der weder in den USA noch in der EU umfassend geprüften beziehungsweise zugelassenen GV-Reis-Linie. Auf diesen schlampigen Umgang mit EU-Rechtsvorschriften und vor allem mit dem Gebot der Wahlfreiheit des Verbrauchers hat die britische Tageszeitung „The Independent“ hingewiesen. Indes agieren viele Handelketten wesentlich umsichtiger und räumen ihre Regale vorsorglich aus.
Wer den Artikel liest, glaubt sich eher in eine Bananenrepublik versetzt als in ein Land, das seine lange Tradition der Demokratie hochhält. „GM: The cover-up. – Revealed: Government food watchdog gave green light to supermarktes to sell illegal gentetically modified rice”, so der Titel des aufschlussreichen Beitrags. Danach hat die britische „Food Standards Agency“ (FSA) Händlern und Supermärkten signalisiert, bei Beständen an US-Langkornreis, der mit der nicht zugelassenen Sorte LL601 verunreinigt sein könnte, quasi ein Auge zuzudrücken. Weder würde man Tests kontrollieren und verunreinigten Produkten nachspüren noch Rückholaktionen lancieren. Und das obwohl gleichzeitig öffentlich bekundet worden war, dass der GV-Reis in Europa nicht zugelassen sei und deshalb die Händler Sorge zu tragen hätten, dass er auch nicht verkauft werden würde.
Die britische Zeitung beruft sich auf Dokumentationen eines Gespräches zwischen der FSA und Vertretern des Handels am 5. September. Quasi beim Kamingespräch gab Claire Baynton von der FSA zu verstehen, dass die Suppe wohl nicht so heiß gegessen würde, berichtet der Independent. Und: Die britischen Behörden würden davon ausgehen, der Reis sei sicher. Das Treffen fand allerdings zu einem Zeitpunkt statt, zu dem selbst die eher gentech-freundlichen EU-Verantwortlichen klipp und klar sagten, dass keinerlei Aussagen über mögliche Gesundheitsrisiken bei LL601 getroffen werden könnten. Erst vergangenen Freitag gab es dann eine offizielle Stellungnahme und Einschätzung durch die European Food Safety Authority (EFSA). Danach gibt es noch immer zu wenige Unterlagen, um die Risiken nach europäischen Sicherheitsstandards eindeutig beurteilen zu können. Das ist die Kernaussage der EFSA, die auch die entsprechende Presseaussendung einleitet:
The GMO Panel has evaluated the available scientific data on LLRICE601. According to the Statement of the Panel issued today there is insufficient data to provide a full risk assessment in accordance with EFSA’s GM guidance.
Lediglich eine erste Einschätzung lasse den vorsichtigen Schluss zu, dass wahrscheinlich keine akute Gefährdung bestehe. Im Klartext: Aller Voraussicht nach wird kaum jemand unmittelbar nach dem Genuss einer Schale US-Langkornreis, die Spuren von LL601 enthält, tot umfallen. Die britische FSA zitiert auf ihrer Homepage geflissentlich nur diese „entlastende“ Passage und verzichtet darauf, die Quintessenz der Einschätzung durch die EFSA auch nur zu erwähnen. Die EFSA schreibt:
Based on the available data, EFSA’s GMO Panel considers that the consumption of imported long grain rice containing trace levels of LLRICE601 is not likely to pose an imminent safety concern to humans or animals.
Null-Toleranz bei ungeprüften GV-Sorten
Das ist sicher keine abschließende Unbedenklichkeitserklärung, zumal ja offensichtlich noch wesentliche Daten fehlen. Und vor allem ist das noch lange kein Freibrief für den Vertrieb von nicht zugelassenen Gentech-Sorten. Die EU-Gesetzeslage ist hier eindeutig. Bei illegalen, ungetesteten GV-Produkten herrscht Null-Toleranz. Eine Verbreitung ist definitiv unzulässig. Zudem müssen Gentech-Produkte für den Verbraucher eindeutig gekennzeichnet sein, um das Prinzip der Wahlfreiheit zu gewährleisten. Eine Behörde, die das ignoriert, entspricht nicht üblichen europäischen Standards, auf die sich der Verbraucher doch verlassen möchte.
Der Kommentar des Independent fiel erwartungsgemäß geharnischt aus. „Time to guard the shelves.“ Das Vorgehen der FSA würde wieder einmal die Frage aufwerfen, wer kontrolliert die Kontrolleure? Sie hätte in dem Fall LL601 völlig versagt. Es gehe nämlich nicht primär um die Frage, ob der Reis sicher ist oder nicht. Er ist illegal und deshalb müssen Behörden auch effiziente Schritte setzen, damit der Verbraucher möglichst davor verschont bleibt.
Die EU hat vor kurzem die EU-Mitgliedsstaaten dringend aufgefordert, amtliche Tests auf LL601 beziehungsweise andere GV-Verunreinigungen bei Reis durchzuführen. Schließlich sei kein gentechnisch veränderter Reis in der EU zugelassen. In Deutschland wurden inzwischen in Baden-Württemberg Verunreinigungen mit LL601 erstmals amtlich bestätigt. Die Spuren sind gering und entsprechen in etwa den bisher bekannt gewordenen Funden in den USA, wonach Verunreinigungen durch LL601 bei sechs von 10.000 Körnern festgestellt wurden. Bisher wurden in Europa nur Verunreinigungen unter einem Prozent bekannt. Unabhängig vom Grad der Verunreinigung müssen aber betroffene Produkte nach geltendem Gesetz aus den Regalen genommen werden.
Handelsketten zeigen sich alarmiert, aber durchwegs bereit, in den sauren Apfel zu beißen. Viele agieren sogar umsichtiger als so manche Behörde. Nachdem beispielsweise die britische Sektion der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth in der Supermarktkette Morrisons verdächtigen US-Langkornreis aufgespürt hatte, wurden diese Produkte sofort vorsorglich aus den Regalen genommen. Die Schweizer Handelsketten Migros und Coop stoppten ebenfalls den Verkauf von Langkornreis aus den USA. In Deutschland fand Greenpeace verdächtiges Material bei Aldi Nord. Auch dieser Discounter reagierte prompt. Diversen Medienberichten zufolge versprach Aldi Nord sogar, die betroffene Marke von Verbrauchern wieder zurücknehmen zu wollen und den Kaufpreis zu erstatten.
Die EU schreibt neuerdings Zwangstests (Kurzer Prozess) bei Importen von Langkornreis aus den USA vor. Erst diese neue Ware wird dem europäischen Verbraucher wieder größt mögliche Sicherheit bringen. Bei den jetzigen Beständen sollte er sich bei den Händlern genau erkundigen, wenn er auf Nummer sicher gehen will. Die zuständigen Behörden in den EU-Mitgliedsländern sind aber auf jeden Fall gefordert, ausreichende Maßnahmen zu setzen, um den Verunreinigungsfall in Grenzen zu halten. Dazu gehören ausreichende Tests und sicher keine informellen Toleranzabkommen mit Händlern wie in Großbritannien.
Ein konsequentes Vorgehen sind die Behörden den Verbrauchern - die in ganz Europa mehrheitlich grüne Gentechnik ablehnen - schuldig, um das Vertrauen in die Institutionen zu sichern. Und nur striktes Handeln kann letztlich auch ein Mindestmaß an der viel beschworenen Wahlfreiheit bei GVOs gewährleisten. Es ist ein deutliches Signal an die Wissenschaft und Produzenten in Anwenderländern, Schlampereien bei gentechnisch veränderten Pflanzen tunlichst zu vermeiden. Die Verunreinigung von Produkten mit nicht zugelassenen GV-Sorten ist kein Kavaliersdelikt.