Ein dunkles "Geheimnis" an Europas Außengrenze

Seite 2: Verlierer und Gewinner im Tourismusgeschäft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ebenso wie bei den Mehrkosten, die den Inselgemeinden aufgrund der Krise entstanden sind, ist es auch beim Thema Tourismus nicht einfach, die finanziellen Folgen zu erfassen. Den ausbleibenden Gästen der Strandhotels stehen erhöhte Belegungszahlen für Hotels in der touristisch unattraktiven Inselhauptstadt Mytilene gegenüber. Hier leben, auch über die Wintermonate, hunderte Angestellte der Nichtregierungsorganisationen, die sich der Flüchtlingshilfe verschrieben haben.

Die NGO-Mitarbeiter genießen auf der Insel jedoch keinen guten Ruf. Sie verlangen zum Beispiel von Taxifahrern einen fünfzigprozentigen Rabatt sowie Respekt für ihre Person, weil sie "den Menschen helfen".

Die Taxifahrer klagen über ausbleibende Kreuzfahrtschiffe und eine erhebliche Verminderung der Charterflüge auf die Insel. Zu den Gewinnern zählen dagegen die Autovermietungen, die nun ganzjährig ihre Flotte an die NGO-Mitarbeiter vermieten können. Es reicht, am berüchtigten Lager Moria vorbeizufahren, um zu erkennen, wie groß die Mietwagenflotte der NGOs ist. Nicht alle Fahrzeuge stammen von einheimischen Vermietern. Es finden sich Autos aus Athen und auch zahlreiche Mietfahrzeuge, welche über international operierende Mietwagenketten vermittelt wurden.

An der Krise gesundgestoßen haben sich im wahrsten Sinn des Wortes Cafés im Hafen. Hier hatte ein Café vor 2015 Schulden in Höhe von 200.000 Euro und stand am Rand des Bankrotts. In der Krise entwickelte es sich zunächst zur Anlaufstelle für Flüchtlinge und Migranten und später zum Treffpunkt von Reportern und Hilfsorganisationen. Dem massiven Umsatzanstieg folgte die Entschuldung. Ein Bewohner der Insel erklärte, dass es 2015 und 2016 für die Einheimischen nahezu unmöglich geworden war, einen Kaffee am Hafen zu trinken: "Alles war rund um die Uhr voll".

So gibt es auch beim Tourismus der Insel Lesbos Verlierer und Gewinner der Krise. Unbestreitbar ist jedoch, dass es einen dramatischen Strukturwandel gab und zahlreiche Insulaner ihre Lebens- und Geschäftsplanungen umstellen mussten.

Nicht in die Kategorie Tourismus, aber immer noch maßgeblich zur Inselwirtschaft gehören die Agrarbetriebe von Lesbos. Einige der Olivenbauern konnten durchaus von den Flüchtlingen und Immigranten profitieren. Sie setzen sie als unterbezahlte Erntehelfer ein und knöpfen ihnen für einen Schlafplatz 100 Euro pro Kopf und Monat ab. So gibt es auch für ungenutzte und touristisch vollkommen unattraktive Räume auf Bauernhöfen einen - steuerfreien - Zugewinn. Leidtragende sind die einheimischen Saisonarbeiter, die sich mit der Olivenernte ein Zubrot verdienten.

In Teil 2 wird die Situation in den beiden Flüchtlingslagern Karatepe und Moria geschildert.