Ein dunkles "Geheimnis" an Europas Außengrenze

Mytilene auf Lesbos. Bild: W. Aswestopoulos

Lesbos - Flüchtlingsinsel wider Willen - Teil 1

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Lesbos ist eine der Inseln, auf denen auch heute noch nahezu täglich neue Flüchtlinge und Immigranten aus der Türkei nach Europa per Schlauchboot übersetzen. Lesbos hat zwei Lager für Flüchtlinge, deren Unterschiede nicht extremer sein könnten. Das Lager Karatepe, welches das beste Lager in gesamt Griechenland ist, und das Lager Moria, gegen das die "Schande von Idomeni" wie ein Erholungscamp wirkt. Es gibt aus der Zeit vor 2015 noch eine kleinere Flüchtlingsherberge, ein ehemaliges Sanatorium, welches weiter abgelegen von der Inselhauptstadt liegt.

Immigrationsminister Mouzalas wäscht seine Hände in Unschuld

Immigrationsminister Giannis Mouzalas schiebt sämtliche Verantwortung von sich. Wiederholt sucht er die Schuld bei anderen. An dem faktischen Gefangenendasein von Flüchtlingen und Immigranten auf den griechischen Inseln ist seiner Meinung nach die Europäische Union schuld, die einen entsprechenden Passus im Flüchtlingspakt mit der Türkei unterschrieben hat. Die schleppende Bearbeitung der Asylanträge der Ankommenden liegt an mangelnden Geldmitteln und Personalknappheit des griechischen Staats, wird von Seiten des Ministeriums angeführt.

Die schlechte Unterbringung der Flüchtlinge und Immigranten auf den Inseln hängt, wenn dem Ministerium Glauben geschenkt werden kann, mit dem Widerstand der Ortsansässigen zusammen. Kurzum, Mouzalas räumte dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel gegenüber ein, er könne auch in diesem Winter nicht ausschließen, dass Menschen in den Lagern auf den Inseln aufgrund der dort herrschenden untragbaren Zustände und bei den im Winter zu erwartenden Wetterverhältnisse sterben.

Der Minister fügte zudem an, Todesfälle seien umso wahrscheinlicher, wenn weiterhin Flüchtlinge und Immigranten aus der Türkei nach Griechenland kommen würden. Diese zynische Feststellung hat hinsichtlich Mouzalas Verbleib im Amt bislang keine Konsequenzen. Offenbar fällt niemandem in der Regierung auf, dass Mouzalas Äußerungen denen von Premierminister Alexis Tsipras diametral entgegenstehen. Tsipras hatte gesagt, er sei stolz darauf, wie Griechenland die Flüchtlinge und Immigranten behandeln würde.

Folgenlos bleibt auch, dass es hinsichtlich der Veröffentlichung der Zahl der Neuankömmlinge seitens des Ministeriums kaum mehr kongruente Informationen gibt. Dort, wo es über eine Mailingliste täglich neue statistische Zahlen gab, werden nunmehr Bulletins versandt, wenn - wie es in Griechenland heißt - "sich jemand daran erinnert". Ähnlich sieht es mit der Informationslage vor Ort in und um die Lager aus. Theoretisch sind journalistische Reportagen dort möglich. Sie müssen nur beim Mediendienst des Immigrationsministeriums beantragt werden. Praktisch landen die entsprechenden Anträge in irgendeinem virtuellen Papierkorb. Denn der Mediendienst, der ansonsten rege für eigene Publikationen Fotos griechischer Fotoreporter per Email anfordert, antwortet nie auf die Anträge, wie eine Umfrage unter professionellen Bildberichterstattern ergab.

Lesbos - von der Regierung mehrfach im Stich gelassen

Grund genug für Telepolis, sich vor Ort auf Lesbos umzusehen. Lesbos hat gleich mehrere Krisen zu bewältigen. Im Juni 2017 hat ein verheerendes Erdbeben ein Todesopfer und mehrere Verletzte gefordert. Zahlreiche Häuser, darunter auch Verwaltungsgebäude der Stadtgemeinde der Inselhauptstadt Mytilene, wurden zerstört. Die Insel wurde daraufhin bis zum 12.12.2017 zum Katastrophengebiet erklärt.

Das weitere Vorgehen der Regierung hängt zwar nicht direkt mit der Flüchtlingskrise zusammen, ist jedoch symptomatisch für die Glaubwürdigkeit der Administration von Ministerpräsident Alexis Tsipras und hat hinsichtlich des Vertrauens der Bevölkerung in Zusicherungen der Regierung ernste Folgen. Die Regierung sicherte den Eigentümern der vollständig zerstörten oder zum Abriss bestimmten Gebäude die Streichung der mit einem Gebäudebesitz zusammenhängenden Steuer ENFIA zu. Bis zum Ende des Katastrophenzustands wurden zudem sämtliche Steuerschulden gestundet.

Zum Wochenende wurde jedoch bekannt gegeben, dass das Finanzministerium die Liste der amtlich erfassten zerstörten Gebäude nicht in die Datenbank der unabhängigen Behörde für Staatseinnahmen eingepflegt hat. Die Unterlassung hat für die Betroffenen ernsthafte Folgen. Sie müssen, möchten sich nicht als Steuerpreller gelten, innerhalb von wenigen Tagen drei ausstehende - da nach geltender Aktenlage nur gestundeter - Raten der ENFIA-Steuer an den Staat abführen.

Dass diese Steuer für nicht mehr existente oder nicht mehr nutzbare Gebäude eigentlich überhaupt nicht erhoben werden kann, streitet das Finanzministerium nicht ab. Die zu viel gezahlten Steuern würden später mit einer anderen Steuerschuld verrechnet, heißt es. Für die Betroffenen bedeutet ein Zahlungsverzug unter anderen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, vom Staat Geld für Rechnungen oder sonstige Schulden des Staates ihnen gegenüber zu erhalten. Freiberufler werden ihrer Geschäftsfähigkeit beraubt, Schuldnern droht die automatische Pfändung von Konten.

Es ist nicht der einzige finanzielle Rückschlag für die Wirtschaft der Insel. Die Pest der kleinen Wiederkäuer hat die Viehwirtschaft der Insel getroffen. Die Herden stehen unter Quarantäne, es kommt zu Notschlachtungen. Die Erzeugerpreise für Schafs- und Ziegenfleisch fielen um fünfzig Prozent.

Ab dem 1.1.2018 wird zudem die Umsatzsteuerbelastung der Insel drastisch erhöht. Die Ägäisinseln hatten seit Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts als Kompensation für die hohen Transportkosten für Waren einen verminderten Umsatzsteuersatz. Auf diese Weise wurden die Preise auf den Inseln auf gleichem Niveau mit dem übrigen Festland gehalten. Die Kreditgeber Griechenlands verlangten und erhielten seitens der Regierung die Streichung dieser Regelung.

Darüber hinaus gibt es von Seiten der Stadtverwaltung der Inselhauptstadt Mytilene die Feststellung, dass der griechische Staat der Gemeinde zur Bewältigung der Flüchtlingskrise seit 2015 insgesamt 750.000 Euro überwiesen hat. Es gibt keine Zusatzgelder für Angestellte, die wegen oder für die Flüchtlinge und Immigranten eingesetzt werden müssen. Allein die Abfallbehandlungskosten, die mit der Krise aufgrund der erhöhten Inselbevölkerung, aber auch der Lebensumstände der in den Lagern Lebenden stiegen, liegen auf dem Niveau mehrerer Millionen Euro, teilte das Abfallwirtschaftsamt auf Anfrage mit. Die entsprechenden Gebühren werden auf die Allgemeinheit der Inselbewohner umgelegt.