Ein europäisches Echelon?
Nach den Terroranschlägen vom 11.9. ist Echelon oder US-Wirtschaftsspionage kein Thema mehr, ein Mitglied des Echelon-Ausschusses des Europäischen Parlaments beharrt auf dem Schutz der Grundrechte und sieht auch in der Verschlüsselung keine Lösung
Der Nichständige Ausschuss über das Echelon-System des Europäischen Parlaments hatte seinen Abschlussbericht im Juli vorgelegt. Und das Europäische Parlament hat am 5. September mit großer Mehrheit den Bericht verabschiedet - gerade noch rechtzeitig möchte man sagen. Damals sah die Welt, was die Beziehung der Europäer zu den USA und die Perspektive auf Geheimdienste und Überwachung angeht, in der Tat noch etwas anders aus (Echelon-Ausschuss verabschiedet Empfehlungen).
Nach den Anschlägen vom 11.9. haben viele Staaten, wenn sie nicht sowieso bereits entsprechende Regelungen hatten, Antiterrorpakete geschnürt, deren Bestandteil auch der Ausbau der Überwachungsbefugnisse durch die Geheimdienste ist. Obgleich die Geheimdienste im Hinblick auf die Prävention der Terrorschläge versagt haben, wurden sie vielfach nun als entscheidende Waffe gegen den Terrorismus betrachtet, die man ausbauen müsse. Im gleichen Zug wurden die Rechte der Bürger eingeschränkt, da Sicherheit offenbar nur durch Verzicht auf Privatsphäre und Freiheiten zu erkaufen ist.
Nach den Terroranschlägen wurde bekanntlich sofort die "uneingeschränkte Solidarität" ausgerufen, was mit der Aufrüstung der inneren Sicherheit natürlich auch bedeutete, mögliche Kritik einzustellen, was das Abhören von europäischen Bürgern und die Wirtschaftsspionage seitens der USA angeht. Echelon war damit höchstens noch ein Thema insofern, als das Versagen des Lauschsystems bedauert wurde und man eher auf eine Perfektionierung setzte.
Auch bei manchen Ausschussmitgliedern hatte sich eine solche Veränderung vollzogen. Der italienische Parlamentsabgeordnete Maurizio Turco, Präsident der Radikalen in der Liste Emma Bonino, die sich wiederum in der Technischen Fraktion Unabhängiger Abgeordneter (TUA) befindet, hat jetzt im Parliament Magazine Nr. 131 vom 14. Januar den zuvor erschienenen Bericht des holländischen Kollegen Jan Wiersma (PvdA) von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) zum Ausgang genommen, seine in einem Minderheitsvotum im Echelon-Abschlussbericht geäußerte Kritik noch einmal zu verdeutlichen.
Wiesma sagte, dass die Anschläge vom 11.9. die Notwendigkeit einer weltweiten Überwachung der Telekommunikation herausgestellt hätten. Zuvor habe man sich eher auf die Gefahren durch Echelon und andere Überwachungssysteme konzentriert. Jetzt aber gehe es eher um deren Verbesserung, da solche Systeme ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den Terrorismus seien. Turco bestreitet dies und verweist ein wenig hämisch, aber berechtigt zunächst auf die Ineffizienz der Echelon-ähnlichen Überwachungssysteme, die automatisch die abgefangene Kommunikation mit einer Suchmaschine durchsuchen, im Hinblick auf den internationalen Terrorismus und Drogenhandel. Wichtiger aber ist ihm, dass die Anschläge keineswegs das Recht der Menschen auf Schutz der Privatsphäre aufheben, das schließlich als Grundrecht in der Europäischen Menschenrechtscharta verankert ist. Tatsächlich müssen, wie auch der Echelon-Bericht hervorgehoben hat, Überwachungsmaßnahmen, die in einem weit definierten Interesse der nationalen Sicherheit legitim ausgeführt werden können, demokratisch kontrolliert, notwendig, angemessen, verhältnismäßig und zeitlich begrenzt sein. Die Rechtsgrundlage muss den Bürgern zugänglich sein. Eine allgemeine Überwachung, die dauerhaft und ungezielt wie bei einem Echelon-artigen System ist, wäre nach der Charta verboten (Diskussion über die Speicherung von Verbindungsdaten).
Schon in seinem Minderheitenvotum zum Abschlussbericht hatte Turco moniert, dass auch Deutschland, die Niederlande und Frankreich die technologischen Möglichkeiten besäßen, "über eine Suchmaschine systematisch und per Zufall abgehörte Kommunikation zu filtern". Zu wenig sei aber auf die innereuropäische Praxis des Abhörens eingegangen worden. Kritisiert wurde zwar, dass in Griechenland, Irland, Luxemburg, Spanien und Frankreich eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht ausreichend vorhanden ist, aber es nicht explizit erwähnt worden sei, dass zumindest Deutschland und Holland ebenfalls Überwachungssysteme hätten, die wie Echelon aufgrund von Suchmaschinen die abgehörte Kommunikation durchforsten.
Tatsächlich hatte nur der Berichterstatter des Ausschusses, der deutsche sozialdemokratische Abgeordnete Gerhard Schmid, in seinen Vorbemerkungen darauf hingewiesen, dass der BND Telekommunikationen über Satelliten vom oder ins Ausland mittels Suchbegriffe auswertet (siehe auch: Mit dem Staubsauger durch den Telekommunikationsverkehr). Turco fordert dazu auf, einmal die rechtliche Kompatibilität des BND-Systems mit der Europäischen Menschenrechtscharta zu überprüfen, da die Kommunikation vor der Durchsuchung und Filterung zufällig abgefangen werden müsse. Nach deutschem Recht ist den Geheimdiensten mit dem zweiten Antiterrorpaket Schilys die Möglichkeit eröffnet worden, von Telekommunikationsunternehmen und Anbietern von Telediensten im Internet Verbindungs- und Nutzungsdaten zu verlangen, abgehört werden dürfen von Geheimdiensten jedoch nur Ausländer.
Das schützt zwar die deutschen Bürger, bedeute aber, dass alle anderen Europäer vom deutschen Geheimdienst uneingeschränkt abgehört werden dürfen. Turco betont, dass dies nicht nur Deutschland betreffe, sondern dass wohl alle Geheimdienste der Mitgliedsländer Kommunikation von Ausländern und manchmal auch von "Institutionen, Bürgern oder Unternehmen" der anderen Mitgliedsländer "oft ohne Genehmigung und aufgrund der nationalen Sicherheit" abhören. Nach der Europäischen Menchenrechtscharta wäre dies aber auch nicht statthaft.
Der Ausschuss hatte im Echelon-Abschlussbericht allgemein gefordert, dass Bürger und Unternehmen sich durch Verschlüsselung vor dem Abhören schützen sollen und dass Kryptographie auf europäischer Ebene gefördert werden solle. Turco führt an, dass ein solches Vorgehen nur zu einem Wettrüsten zwischen Verschlüsselungstechniken und Entschlüsselungstechniken und anderen Verfahren des Umgehens der Verschlüsselung führen werde. Lösungen des Konflikts zwischen Sicherheit, Überwachung und Schutz der Privatsphäre müssten daher politisch gesucht werden, wobei die demokratische Kontrolle der Überwachung ganz entscheidend sei. Überdies müssten für alle EU-Bürger gleiche Rechte gelten und das Abhören durch staatliche Instanzen dem höchsten Maßstab der Menschenrechtscharta im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre gehorchen.
Gegenwärtig dürfte Turco mit seinen Forderungen aber nur auf wenig Resonanz stoßen. Schon im Echelon-Bericht klang an, dass die EU doch auch gegenüber der Übermacht der amerikanischen Geheimdienste einen eigenen europäischen Geheimdienst aufbauen müsse. Eine engere Verzahnung beim Austausch von Informationen steht mit Europol und Enfopol an, noch aber scheint jedes Mitgliedsland die Freiheit bewahren zu wollen, beliebig auch im "EU-Ausland" spionieren zu können, während die Überwachungsmöglichkeiten der eigenen Bürger erweitert werden. Für Turco sollte jedenfalls der Kampf gegen den Terrorismus nicht auch noch als Vorwand zu einem "europäischen Echelon" dienen.