Echelon-Ausschuss verabschiedet Empfehlungen

Keine Sanktionen gegen Großbritannien; unzufriedene Abgeordnete monieren "Heuchelei" und sehen Gefahr der vorsorglichen Legitimation eines europäischen Geheimdienstes

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Ein Jahr lang arbeitete der Echelon-Untersuchungsausschuss des europäischen Parlaments. Am 3. Juli verabschiedete er seinen Abschlussbericht. Drei Wochen hatten die Abgeordneten über den Bericht von Gerhard Schmid (SPD) diskutiert. Dessen Empfehlungen wurden zwar etwas verschärft, dennoch sahen mehrere Abgeordnete, die für ihr Engagement für Bürgerrechte bekannt sind, ihre Positionen nicht berücksichtigt und gaben Minderheitenvoten ab.

"Keine Zweifel"

Über die Existenz eines globalen Abhörsystems gäbe es "keine Zweifel" mehr. Sprach Schmid noch in der Frage der Wirtschaftsspionage von Wahrscheinlichkeiten, entschloss sich der Gesamtausschuss zu deutlicheren Formulierungen: Es könne "kein Zweifel" daran bestehen, dass der Zweck des Systems das Abhören der privaten und kommerziellen Kommunikation sei - obgleich die technischen Fähigkeiten des Systems nicht so umfassend seien, wie es teilweise in den Medien dargestellt wurde. Zudem sei es "überraschend", dass viele höher gestellte Personen der Europäischen Gemeinschaft vor dem Ausschuss behauptet hatten, dieses Phänomen nicht zu kennen.

Maurizio Turco, Präsident der Radikalen der Liste Emma Bonino, äußerte überdies in einem Minderheitenvotum Kritik, weil der Bericht nicht erwähne, dass auch Deutschland, die Niederlande und vermutlich auch Frankreich die technologischen Möglichkeiten besäßen, "über eine Suchmaschine systematisch und per Zufall abgehörte Kommunikation zu filtern." Auch diese Mitgliedsstaaten würden die Aktivitäten von Behörden, Unternehmen und Bürgern anderer Mitgliedstaaten ausspionieren.

Die rechtlichen Erwägungen der Abgeordneten sind deutlich: Falls Echelon zur Konkurrenzspionage benutzt werden sollte, würde ein daran beteiligter Staat gegen EU-Recht verstoßen. Dies hatte auch schon der Europäische Rat Ende März 2000 festgestellt. Würde das System hingegen nur für Aufklärungszwecke eingesetzt, wäre der Betrieb legal. Allerdings würde das Abhören der Kommunikation auf jeden Fall gegen das Recht auf Schutz der Privatsphäre verstoßen. (siehe Deutschland und Vereinigtes Königreich verstoßen mit NSA-Spionageverbindungen gegen Menschenrechte und Untersuchung des Echelons-Systems richtet den Blick auch auf Misstände in der EU)

Spionieren die USA nun europäische Firmen aus oder sammeln sie nur allgemeine wirtschaftliche Daten? Dies war die Gretchenfrage des Ausschusses, der darüber in den letzten Tagen und Wochen noch einmal stritt. Tatsächlich zeigte sich der Ausschuss in der Frage der "Konkurrenzspionage" außerordentlich skeptisch:

"US-Geheimdienste untersuchen nicht nur allgemeine ökonomische Sachverhalte, sondern hören auch detailliert die Kommunikation zwischen den Unternehmen ab, besonders wo Verträge vergeben werden; und sie rechtfertigen dies damit, sie würden versuchte Bestechung bekämpfen. Durch detaillierte Überwachung entsteht jedoch das Risiko, dass die Informationen eher zum Zwecke der Konkurrenzspionage, denn zur Bekämpfung von Korruption eingesetzt werden, auch wenn die USA und Großbritannien anderes behaupten. Zudem ist die Rolle des Advocacy Center der US-Handelsministeriums immer noch nicht ganz klar und anberaumte Gespräche mit dem Zentrum, um diese Angelegenheit zu klären, wurden abgesagt."

(Zur Frage der Konkurrenzspionage und der Rolle des Advocacy Centers siehe COMINT Impact on International Trade, Financial and geographical analysis of U.S. Advocacy Center "Success stories" sowie den einleitenden Artikel von Duncan Campbell)

Der Ausschuss verweist zudem auf ein OECD-Abkommen zur Bekämpfung von Bestechung aus dem Jahre 1997, das Bestechung auf internationaler Ebene kriminalisiert. Einzelne Fälle von Bestechung könnten deshalb nicht das Abhören der Kommunikation rechtfertigen. Nichtsdestotrotz sollten die Mitgliedstaaten sich dafür einsetzen, dass Bestechung geahndet wird. So könnte die Welthandelsorganisation (WTO) eine Regel verabschieden, wonach Verträge, die durch Bestechung zustande gekommen sind, für null und nichtig erklärt werden müssen.

Obwohl kein einziger Fall von Konkurrenzspionage bewiesen wurde, seien die Hinweise darauf doch sehr stark. Seriöse Quellen hätten den Brown-Bericht des US-Kongresses bestätigt, wonach fünf Prozent des Aufklärungsmaterials aus nicht-offenen Quellen für Wirtschaftsspionage benutzt werden. Dieselben Quellen schätzen, dass diese Aufklärungsarbeit die US-Industrie in die Lage versetze, bis zu 7 Milliarden US-Dollar über Verträge einzuspielen.

Für die Bundesregierung dürfte das ein Schlag ins Gesicht sein: Erst Mitte Juni hatte Regierungssprecher Lingenthal die neutrale Haltung der Bundesregierung noch einmal bekräftigt. Demnach habe nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der EU-Untersuchungsausschuss keine Erkenntnisse, wonach deutsche Unternehmen Opfer von Konkurrenzspionage durch Echelon seien.

Menschenrechte

Ein Abhörsystem, das per Zufallsprinzip und ständig jede Kommunikation abhört, würde das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verletzen und wäre nicht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtscharta. Dies wäre aber auch dann der Fall, falls das Abhören ohne ausreichende gesetzliche Grundlage stattfände oder falls die gesetzlichen Regeln nicht für jeden Bürger transparent wären. Da nun die meisten Regeln der US-Geheimdienste geheim gehalten werden, sei es "zumindest zweifelhaft", ob das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingehalten werde.

Die durch die Menschenrechtscharta auferlegten Regeln dürfen die Mitgliedstaaten nicht umgehen, indem sie anderen Ländern das Abhören einfach erlauben. Dies würde das Legalitätsprinzip aushöhlen. Dritte Länder müssten ebenfalls den durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgelegten Regeln gehorchen und eine Überwachung ihrer Aktivitäten zulassen. Zunächst sollen aber alle Mitgliedsstaaten erst einmal die Menschenrechtscharta als rechtlich bindend anerkennen.

Namentlich Deutschland und Großbritannien fordert der Ausschuss auf, weitere Überwachungsaktivitäten von ihrem Territorium durch US-Geheimdienste davon abhängig zu machen, ob sie in Übereinstimmung mit der europäischen Menschenrechtscharta stattfinden. In Deutschland zumindest dürfte sich diese Forderung bald erübrigen - im Herbst soll die Station in Bad Aibling ihren Betrieb einstellen.

Schutz der EU-Bürger

Der Schutz der EU-Bürger hängt natürlich von der Rechtslage in ihren Staaten ab - die sehr unterschiedlich aussehen kann. Dass zudem einige Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Frankreich, keine parlamentarische Kontrolle ihrer Geheimdienste kennen, sei "besorgniserregend". In diesen Fällen gäbe es keinen ausreichenden Rechtsschutz. Aber auch wenn es Kontrollorgane gebe, seien diese jedoch versucht sich mehr auf die eigenen Geheimdienste zu konzentrieren und weniger auf die ausländischen.

Der Ausschuss fordert den Generalsekretär des Europäischen Rates auf, einen Vorschlag zum Schutz der Privatsphäre vorzulegen, der auch die modernen Kommunikations- und Abhörmethoden berücksichtigt und sich an den europäischen Menschenrechten orientiert. Maurizio Turco kritisiert, dass man "vergessen" habe, Sanktionen gegen Großbritannien "wegen seines Doppelspiels mit seinen europäischen Partnern" zu verlangen.

Europäischer Geheimdienst

Gerade im Hinblick auf eine Zusammenarbeit der Geheimdienste unter dem Primat der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" der Union oder der Rechtshilfe im Justiz- und Innenbereich geht der Ausschuss recht offensiv vor: Zum einen sollen die Mitgliedstaaten ihre Quellen in einen Topf werfen, um ihre gemeinsame Politik zu "effektivieren". Dabei müssten die Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen, um die europäischen Bürger zu schützen. Dabei sollten sie sich an dem Staat orientieren, der das höchste Schutzniveau hat. Der Ausschuss schlägt vor, Bürger beispielsweise nach fünf Jahren über eine Abhöranordnung zu unterrichten. Dadurch würden die Geheimdienste dazu erzogen, nur angemessene Maßnahmen einzuleiten. Auch dürften ausländische EU-Bürger rechtlich nicht benachteiligt sein. Falls es zu einer Kooperation der Geheimdienste kommt, müsste aber auch das Europäische Parlament Überwachungs- und Kontrollfunktionen übernehmen.

Zunächst sollten, so die Empfehlung des Ausschusses, die Mitgliedsstaaten jedoch eine Plattform einrichten, auf der sich die Vertreter der nationalen Kontrollorgane treffen und austauschen können. Sie soll dafür sorgen, dass die Geheimdienste sich an die europäische Menschenrechtscharta halten und dass die Gesetze in den Mitgliedstaaten gegebenenfalls angepasst werden. Dafür sollen sie einen Code of Conduct entwickeln, der sich an dem höchsten bestehenden Schutzniveau orientieren soll.

Doppeltes Spiel?

Genau diese Vorschläge bezeichneten die grünen Abgeordneten Ilka Schröder, Alima Boumediene-Thiery und Patrica McKenna als "heuchlerisch". Es gebe weltweit kein Beispiel für eine funktionierende Kontrolle von Geheimdiensten und ihren undemokratischen Praktiken: "Es liegt in der Natur der Geheimdienste, dass sie nicht kontrollierbar sind." Deshalb müssten sie abgeschafft werden. Der Ausschuss-Bericht hingegen trage dazu bei, einen europäischen Geheimdienst zu legitimieren. Zu den Enfopol-Abhörplänen der EU schweige der Bericht jedoch.

Zuletzt wurden Dokumente der Ratsarbeitsgruppe Enfopol bekannt, wonach aus den im Datenschutzrecht vorgesehenen Maximalspeicherfristen für Telekommunikationsverkehrsdaten Mindestspeicherfristen zum Zwecke der Strafverfolgung gemacht werden sollen. Dies stellt jedoch die Absicht des Datenschutzes auf den Kopf. (siehe Enfopol gedeiht und Widerstand gegen die neuen Enfopol-Überwachungspläne)

Maurizio Turco kritisiert in diesem Zusammenhang, dass Regulierungsmechanismen wie Schengen, Europol und auch das Zollabkommen exportiert werden und außerhalb jeder demokratischen und rechtlichen Kontrolle arbeiten. Damit müsse Schluss gemacht werden, indem solche Behörden sich nicht nur den Regeln der europäischen Menschenrechtscharta unterwerfen, sondern auch einer rechtlichen und parlamentarischen Kontrolle.

Verhandeln mit den USA

Der Ausschuss verlangt, dass die Europäische Union mit den USA ein Abkommen oder einen Code of Conduct aushandeln, wonach beide Parteien bestimmte Regeln hinsichtlich der Privatsphäre und der Vertraulichkeit von Geschäftskommunikation einhalten.

Die USA sollten zudem aufgefordert werden, das zusätzliche Protokoll des Internationalen Abkommens über zivile und politische Rechte zu unterzeichnen. Bürger könnten dann bei Verstößen das durch das Abkommen eingerichtete Menschenrechtskomitee anrufen. Ähnliche Abkommen sollten die Mitgliedstaaten auch mit anderen Drittstaaten anpeilen.

Selbstschutz ist der beste Schutz

Auf den Rechtsschutz scheint der Ausschuss sich allerdings nicht verlassen zu wollen. Selbstschutzmaßnahmen wie Email-Verschlüsselung sollen nicht nur die Bürger, sondern auch europäische Einrichtungen ergreifen. Dazu gehört unter anderem auch die Kommission: Sie soll ihr Verschlüsselungssystem schnell auf den neuesten Stand bringen. Alle Angestellten sollten mit den neuen Verschlüsselungstechnologien vertraut gemacht werden.

Der Ausschuss fordert zudem die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten auf, eine effektive und aktive IT-Sicherheitspolitik zu betreiben. Dies betrifft natürlich auch die Entwicklung effektiver Sicherheitsprodukte: Europäische Kryptotechnologie solle gefördert werden und vor allem Projekte unterstützt werden, die nutzerfreundliche Open-Source-Verschlüsselungssoftware entwickeln. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten Softwareprojekte fördern, die ihren Quelltext offen legen, da dies der einzige Weg sei, versteckte Hintertüren zu verhindern. Softwareprodukte, die ihren Quelltext nicht offen legen, sollten in einem europäischen Sicherheitsstandard in die am wenigsten verlässliche Kategorie herabgestuft werden.