Untersuchung des Echelons-Systems richtet den Blick auch auf Misstände in der EU

Neue vorläufige Version des Berichts über Echelon wurde vom Ausschuss des Europäischen Parlaments veröffentlicht

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Der nichtständige Ausschuss über das Abhörsystem Echelon des Europäischen Parlaments hat einen neuen "vorläufigen" Entwurf des Abschlussberichts vom 18. Mai vorgelegt. Dieses Mal wurde er auf der eigenen Website veröffentlicht und gelangte nicht über Umwege an die Öffentlichkeit. Verändert wurden vornehmlich die Schlussfolgerungen und Empfehlungen. In der von Cryptome veröffentlichten Fassung sind die neuen Passagen gekennzeichnet.

Beibehalten wurde, dass das Echelon-System existiert, dass es nicht zum Abhören von militärischer, sondern dem von privater und wirtschaftlicher Kommunikation dient, aber auch, dass seine Kapazitäten überschätzt worden seien und es keinen wirklichen Beweis gebe, dass mit diesem Wirtschafts- bzw. Konkurrenzspionage betrieben worden ist. Vorsichtig geblieben ist man weiterhin gegenüber Frankreich, von dem gesagt wird, es sei "theoretisch" - "was die geografischen Voraussetzungen betrifft" - in der Lage, ein globales Abhörsystem zu errichten. Mit dieser Vorsicht macht sich der Ausschuss vermutlich keinen Gefallen, denn das sogenannte Frenchelon, also das französische Abhörsystem, ist mit einiger Sicherheit global und dient vermutlich denselben Zielen wie das Echelon-System. Überdies ist Deutschlands BND teilweise an den Stationen beteiligt. Hier nur zu sagen, man habe zu wenige Kenntnisse, heißt nur, einen Konflikt mit Frankreich vermeiden zu wollen.

Nach dem EU-Recht, so wird ebenfalls weiterhin festgehalten, ergibt sich nur eine Verletzung, wenn ein Mitgliedsland ein Echelon-ähnliches System zur Wirtschaftsspionage missbraucht. Überdies würde ein Belauschen der Kommunikation europäischer Bürger "ohne Gewährleistung der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips" das Grundrecht auf Privatsphäre (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) verletzen. Allerdings ist die "Europäische Charta der Grundrechte", in der neben der Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs ausdrücklich auch das Recht auf Achtung der Kommunikation und das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten aufgeführt werden, bislang nur für Rat, Kommission und Parlament bindend, die alle nicht in geheimdienstliche Aktivitäten verwickelt sind. Aber selbst wenn die Charta auch für die Mitgliedsstaaten gelten würde, könnte dadurch das Abhören nationaler Geheimdienste nicht verhindert werden, denn sie betrifft nur die Organe der EU und bei den Mitgliedsstaaten nur die Tätigkeiten, die zur Umsetzung von EU-Recht ausgeführt werden.

Rechtlich lässt sich gegen ein Abhören von Privat- oder Geschäftspersonen nur im Rahmen der Menschenrechtskonvention vorgehen, die zwar alle Menschen einschließt, also auch für Nicht-EU-Bürger gilt, aber viele Ausnahmen kennt: gelauscht werden darf in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen im Interesse der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit oder des wirtschaftlichen Wohlergehens des Landes, zur Abwehr von Unordnung oder Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten von Anderen. Da passt natürlich allerhand hinein, auch wenn das Abhören ausreichend demokratisch kontrolliert, die Rechtsprechung für die Bürger zugänglich und voraussehbar und für eine demokratische Gesellschaft notwendig sein muss. Hier scheint der Ausschuss den Hebel ansetzen zu wollen. Die Tätigkeit der US-Nachrichtendienste sei nämlich geheim, wodurch wahrscheinlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in Frage gestellt sei, sicher aber gegen Zugänglichkeit und Voraussehbarkeit verstoßen werde. Die Mitgliedsstaaten, so der neue Entwurf, können sich den Verpflichtungen der Menschenrechtskonvention nicht dadurch entziehen, "dass sie die Nachrichtendienste anderer Staaten auf ihrem Territorium tätig werden lassen, die weniger strengen Bestimmungen unterliegen".

Deutschland und England werden noch einmal aufgefordert, das Abhören durch US-Geheimdienste nur zu erlauben, wenn dies unter Einhaltung der Menschenrechtskonvention geschieht. Präziser als im vorherigen Entwurf wird ausgeführt, dass Lauschaktivitäten dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgen, ihre Rechtsgrundlage zugänglich und ihre Wirkung für den Einzelnen einsehbar sein müssen. Überdies müsse eine effiziente Kontrolle gewährleistet sein. Man kann allerdings schon davon ausgehen, dass die US-Regierung die eigenen Geheimdienste nicht einer solchen Kontrolle unterwerfen werden.

Rechtzeitig hat ja jetzt die USA angekündigt, den NSA-Horchposten in Bad Aibling zu schließen. Der Stützpunkt scheint zum Abhören auch nicht mehr notwendig zu sein, so dass die USA sich dadurch in einem Fall unangreifbar macht, wobei der Vorwurf der Duldung im Fall von Großbritannien und dem Horchposten Menwith Hillaber weiterhin bestehen bleibt. Allerdings betont der Bericht des Ausschusses, dass die EU, selbst wenn sie einen eigenen Geheimdienst unter der Kontrolle des Parlaments aufbauen würde, zumindest noch lange auf die Kooperation mit den USA angewiesen sei, um wichtige Informationen zu erhalten. Die "engen Beziehungen" zwischen Großbritannien und den USA im Bereich der militärischen Aufklärung würden jedoch nach Ansicht des Ausschusses auch im Hinblick auf eine größere europäische Kooperation zu einer Krise führen können, da sich Großbritannien womöglich entscheiden müsste, "ob sein Schicksal eher europäisch oder transatlantisch ist".

Umgearbeitet wurden in der neuen Fassung weitgehend die Empfehlungen. So wird der Generalsekretär des Europarats aufgefordert, einen Bericht vorzulegen, ob die Erweiterung des Art. 8 der Menschenrechtskonvention auf die modernen Kommunikations- und Abhörmethoden sinnvoll wäre. Die Mitgliedsstaaten sollen die gesetzlichen Regelungen des Brief- und Fernmeldegeheimnisses überprüfen, eine gemeinsame Regelung für den Schutz der Privatsphäre schaffen und garantieren, dass die Geheimdienste in Übereinstimmung mit der Menschenrechtskonvention arbeiten. Auch der Generalsekretär der UNO soll aufgefordert werden, das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte an die technischen Neuerungen anzupassen, was den Schutz der Privatsphäre betrifft, während die USA das Zusatzprotokoll zu diesem Abkommen unterzeichnen sollen, um Klagen gegen die USA vor dem Menschenrechtsausschuss zu ermöglichen. Appelliert wird an die NGOs, vor allem an ACLU und die EPIC, Druck auf die US-Regierung auszuüben.

Die EU-Mitgliedsstaaten sollen sich an dem Land mit dem höchsten Schutz der Privatsphäre orientieren und erklären, untereinander keine Wirtschaftsspionage zu betreiben. Nur appelliert wird an die Mitgliedsstaaten ohne eigene parlamentarische Kontrollorgane der Nachrichtendienste, diese einzuführen. "Systematisch" sollen die EU-Institutionen und nationalen Behörden ihre Emails verschlüsseln. Gefördert werden soll "benutzerfreundliche Kryptosoftware, deren Quelltext offengelegt ist". Nur so könne gesichert sein, dass in die Software keine Hintertüren eingebaut sind.

Die Untersuchung des Echelon-Systems hat erfreulicherweise den Blick nicht nur auf den USA gerichtet, sondern auch auf die Missstände in der EU. Dass in Griechenland, Irland, Luxemburg und Spanien, vor allem aber in Frankreich eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht geschieht, ist schlicht ein Skandal. Deutlich wird in dem Bericht der Konflikt zwischen den Überwachungswünschen oder -notwendigkeiten und dem Schutz der Privatsphäre, der freilich nicht nur die Geheimdienste betrifft, sondern auch die Strafverfolgung. Auch hier wird der Schutz der Privatsphäre bekanntlich immer stärker untergraben.