Widerstand gegen die neuen Enfopol-Überwachungspläne
Vertreter von Providern, Lobbyvereine und Datenschützer kritisieren die geplante Ausweitung der Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten
Die Ziele der europäischen Polizeistäbe sind technisch unausgegoren, erzeugen einen überzogenen Überwachungsdruck und stellen einen Angriff auf demokratische Werte dar, urteilen Experten. Den nationalen Regierungen geht die Verbrecherjagd dagegen über alles.
Der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft eco will gegen die Überlegungen der Arbeitsgruppe für polizeiliche Zusammenarbeit auf europäischer Ebene (Enfopol) zur Ausweitung der Speicherfristen sämtlicher Telekommunikationsdaten (Europäische Strafverfolger fordern die totale Telekommunikations-Überwachung) von vornherein "anrennen". Das kündigte eco-Geschäftsführer Harald Summa gegenüber Telepolis an. Jede Minute fließen allein durch Deutschlands Internetleitungen rund 2,3 Gigabyte Daten. Um diese Kommunikationsmengen aufzuzeichnen, "müssen wir Lagerhäuser aufmachen", fürchtet der Providervertreter.
Anders als bei der geplanten Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) der Bundesregierung, deren Neufassung die Provider laut Summa regelrecht verschlafen haben (Doppeltes Spiel), will eco dieses Mal die Strafverfolger und die Politiker schon im Vorfeld gesetzgeberischer Aktivitäten auf die "Unmöglichkeit" der Vorhaben aufmerksam machen. Die Ausarbeiter der neuen Enfopol-Papiere haben seiner Meinung nach "geträumt".
Die technische Ebene ist gerade bei kleinen Providern nicht einmal das größte Problem, so Lutz Donnerhacke, einer der Gründer des Jenaer Internet Service Providers (ISP) IKS. Über "verteilte Backups" sei da einiges machbar – auch wenn es noch "keine aussagekräftigen Erfahrungen mit Langzeitspeichermedien gibt". Über welches Protokoll die "Bedarfsträger" an die Datenberge der Provider allerdings herankommen wollen, ist Donnerhacke ein Rätsel.
Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung
Für besonders gefährlich hält der Mitbegründer des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft (Fitug) allerdings den sich in den Enfopol-Plänen manifestierenden Trend, "Big Brother" in immer mehr Lebensbereich zu installieren. "Als nächstes verlangen die Strafverfolger", prognostiziert Donnerhacke, "dass in jedem Zimmer in jedem Haushalt Videokameras installiert werden". Jeder Bürger müsse dann selbst nachweisen, dass er an einem Verbrechen nicht beteiligt gewesen sein könnte, da er ja gleichzeitig im Blickfeld von Kamera XY gewesen wäre.
Hinter den diskutierten Backup-Pflichten sieht Donnerhacke daher den Versuch der Polizei, die Beweislage umzukehren. Das führe allerdings in eine "absurde Situation", die außerhalb jeder Rechtstaatlichkeit stünde. Was die Eurocops planen, ist für den Kryptoexperten daher ein klarer "Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung".
Die auf der Ebene des Europäischen Rats angesiedelte Enfopol-Arbeitsgruppe will nach Informationen der Organisation Statewatch alle Telekommunikationsanbieter dazu verpflichten, jedes Telefongespräch, jedes Fax und jede Email "für mindestens sieben Jahre" lang zu archivieren. Aus einem weiteren, Telepolis vorliegenden Enfopol-Papier geht hervor, dass der Kampf um die Verbindungsdaten sowie gegen die anonyme Netzbenutzung die wichtigsten Prioritäten der Strafverfolger sind (Europäische Strafverfolger fordern die totale Telekommunikations-Überwachung).
Die Eurocops wollen mit ihren neuen Vorstößen verhindern, dass innerhalb der EU neue Datenschutzgesetze verabschiedetet werden, die ihnen die Arbeit erschweren könnten. Der Chef der in Den Haag sitzenden Polizeibehörde Europol, Jürgen Storbeck, warnte ganz in diesem Sinne am Dienstag erneut davor, dass die "E-Kriminalität" einen uneinholbaren Vorsprung gegenüber den Strafverfolgern erringe. Es drohe die Gefahr einer "strafrechtslosen Zeit". In Rage gebracht hat die Eurocops daher vor allem eine Entschließung zur Regelung der Datenverarbeitung im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der Union, die der Rat innerhalb der Arbeitsgruppe "Informationssysteme und Datenschutz" Anfang März diskutiert hatte (Brüssel an Strafverfolger: Es gibt ein Recht auf Privatsphäre).
Darin geht es um Grundsätze wie "Vertraulichkeit der Verarbeitung", Löschfristen sowie das "Auskunftsrecht und das Recht auf Berichtigung" von Daten. Obwohl die Formulierungen des Papiers äußerst vage blieben, alarmierten sie die Strafverfolger dennoch und ermutigten sie zu ihrer "Gegenoffensive". Die geht nun soweit, dass selbst bestehende Datenschutzvorkehrungen abgebaut werden sollen.
Unzumutbarer Überwachungsdruck
Demgegenüber hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob bereits in seinem jüngsten Tätigkeitsbericht davor gewarnt, dass die vorsorgliche Speicherung aller personenbezogenen Daten aus allen Nutzungen des Internet offensichtlich unverhältnismäßig wäre und für jeden Einzelnen einen unzumutbaren Überwachungsdruck erzeugen würde. Angesichts der Überlegungen der europäischen Polizeistäbe warnte seine Sprecherin, Helga Schumacher, aber auch vor überzogener Paranoia. Denn letztlich entscheidend sei, was davon mittelfristig in nationales Recht umgesetzt würde.
Als erste nationale Regierungsstelle hat sich inzwischen das Londoner Wirtschaftsministerium zu Enfopol geäußert. Einer Sprecherin zufolge unterstützt die britische Regierung eine Ausweitung der Befugnisse der Polizei. Überprüft würde ja nur die Email-Kommunikation Verdächtiger, versuchte sie die Nutzer zu beruhigen. Niemand habe die Zeit und das Geld, jede Email zu prüfen.
Bisher konnte die eng mit dem FBI und der NSA (National Security Agency) zusammenarbeitende Enfopol-Arbeitsgruppe ihre Wunschvorstellungen zur lückenlosen Überwachung der Telekommunikation weitgehend den Ministerialbeamten der nationalen Regierungen schmackhaft machen und – oft an den Parlamenten vorbei – in Gesetzen und Verordnungen unterbringen. Ihre Handschrift zeigt auch die TKÜV, die in Deutschland zwar noch diskutiert wird, vom Gesetzgeber aber jederzeit einfach erlassen werden kann.
Ob das Bundesinnen- oder das Bundesjustizministerium großen Widerstand gegen die jetzt aufgedeckten Ziele der Eurocops entwickeln werden, ist fraglich. Zumindest hat gerade das Justizministerium bei den "Fragen der unangemessenen Ausweitung der landesübergreifenden Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden" im Rahmen der Cybercrime-Konvention des Europarats den Datenschutz bisher hinten angestellt, wie der Netzexperte der SPD, Jörg Tauss, kritisiert (Ein großer Schritt in Richtung europäischer Überwachungsstaat).