"Ein ganzes System des Schwindels und Betrugs"
Karl Marx' (wahrgewordene) Prophezeiung über den heutigen Finanzkapitalismus
Der dritte Band von Karl Marx' Kapital sagt voraus, was sich im Rahmen der neuen Weltordnung nach 1989 bewahrheitet hat, also die Erzeugung einer neuen Finanzaristokratie, die aus Wucherern und Parasiten besteht, deren Existenz auf Bankbetrug und legalisiertem Diebstahl basiert. Folgendes schreibt Marx zur Umwandlung des Kapitals in Finanzen:
Er reproducirt eine neue Finanzaristokratie, neues Parasitenpack in der Gestalt der Unternehmungsprojectors und Directors (blos nomineller managers); ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf den Aktienhandel, ihre Ausgabe etc.
Marx deutet an, wie der Übergang von der Industriegesellschaft zur Finanzgesellschaft von einer Verschiebung vom unternehmerischen und produktiven zum parasitären und räuberischen Reichtum gekennzeichnet ist, der für den Finanzkapitalismus (wie auch Luciano Gallino ihn nennt) so typisch ist.
Nach ihrer Verdrängung durch die Französische Revolution und die industrielle Bourgeoisie, ersteht die Feudalaristokratie in der präzedenzlosen Form der Finanzaristokratie wieder auf, die Marx evoziert hatte und jetzt im Rahmen des absoluten und finanziellen Kapitalismus nach 1989 an der Macht ist.
Darauf hat Claudio Tuozzolo in seinem Essay "Republik: Arbeit, Wachstumszügelung oder Finanzsystem? Marx und der Kapitalismus der Finanzerträge" ("Repubblica: lavoro, decrescita o finanza? Marx e il capitalismo della rendita finanziaria")(2013), auf das ich mich hier beziehe, überzeugend hingewiesen.
Nicht mehr die Arbeit, sondern die Rendite werden wieder zum Drehpunkt der neo-feudalen Produktionsweise des flexiblen Kapitalismus. Marx äußerte sich so in Bezug auf die Finanzaristokratie: "Da der Profit hier rein die Form des Zinses annimmt … wird dieser Totalprofit nur noch bezogen in der Form des Zinses, d.h. als bloße Vergütung des Kapitaleigentums."
Der Unterschied zwischen dem Industriekapitalismus und dem Finanzkapitalismus wurde erst jetzt zur Wirklichkeit, war aber bereits von Marx deutlich hervorgehoben worden, der gezeigt hatte, wie mit dem Finanzkapitalismus sowohl die Mittelschicht, als auch das Unternehmertum ihr Ende finden werden.
Wenn im Unternehmenskapitalismus das Kapital "Privateigentum vereinzelter Produzenten" ist, so verursacht das Aufkommen der Finanzwirtschaft die Trennung von Eigentum und Produzenten. Das zieht die paradoxe Konsequenz nach sich, dass, wie Marx es bereits wusste, innerhalb der kapitalistischen Produktion selbst die "Aufhebung der kapitalistischen Privatindustrie" erfolgt.
Der kapitalistische Produzent wird nun durch den Finanzspekulanten ersetzt: Während ersterer persönlich das Risiko einging und das Kapital ansammelte, so riskiert der zweite ein Eigentum, das nicht ihm gehört, und erwartet auch noch, dass "andere für ihn sparen".
Als Gipfel der Verabsolutierungs- und Autonomisierungsdynamik der Wirtschaft, die ein selbstbezogener Prozess ist, beruht der Finanzkapitalismus der absoluten Phase - so schreibt Marx - nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern, sondern auf dem Antagonismus zwischen dem Kapital und den "wirklich in der Produktion tätigen Individuen, vom Dirigenten bis herab zum letzten Taglöhner".
Diese werden von der Finanzwirtschaft als Instrumente benutzt, als Funktionäre des unendlichen Wachstums des Wert: Sie überwachen sich gegenseitig und bestrafen alle, die ihre Funktion als Agent der Wertsteigerung nicht bestmöglich ausüben. Das Kapital verschlingt seine eigenen Vertreter.
Übersetzung Jenny Perelli
Diego Fusaro, 1983 in Turin geboren, lehrt Philosophie an der Mailänder Universität. Als unabhängiger Freidenker, intellektueller Dissident, der politisch weder rechts noch links anzusetzen ist, verblüfft er seit geraumer Zeit ganz Italien mit seiner eigenwilligen, neoidealistischen Auslegung des Marxschen Gedanken. In seinen Büchern beschreibt er die Widersprüche des Systems und des Lebens des postmodernen Menschen. Fusaro betreibt die Website filosofico.net.