Ein klares europäisches Bekenntnis
Eine Erwiderung auf Andreas Hagens "Wahlenthaltung für die europäische Idee"
Selten war eine Wahl so unterschiedlich wie die Europawahl am vergangenen Sonntag. Und nie gab es so klare Wahlen mit europäischem Auftrag. Die Zukunft heißt Europa - unter anderem das hat das Wahlergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament deutlich gezeigt (Wahlenthaltung für europäische Idee).
Hätte man sie am Sonntag gefragt, ein großer Teil der Wähler in Deutschland und dem Rest der EU hätte auf diese Fragen keine Antwort gewusst: Wer sitzt für sie im Europäischen Parlament? Welche Kompetenzen liegen in Straßburg und Brüssel? Welcher europäischen Fraktion gehört die Partei Ihrer Wahl an? Und welche europapolitischen Standpunkte vertritt sie?
Dennoch hat die Wahl am Sonntag einige deutliche Trends aufgezeigt. Unter anderem ein klares Bekenntnis, insbesondere jüngerer Wähler, zu Europa und europäischer Politik. Der Mangel ist dabei nicht den Parlamentariern in Straßburg anzulasten.
Das Konstrukt Europa ist in seinen Grundfesten erschüttert - sagen diejenigen, die auf das Ergebnis der United Kingdom Independence Party schauen. Die Wahl wurde nur für nationale Themen missbraucht, Europa war nicht weiter von Interesse. Das sagen diejenigen, die verloren haben. Dabei gibt es deutliche Trends, die nicht unterschätzt werden dürfen.
Die Abstrafung der Regierungen (Italien, England, Belgien, Frankreich und die Bundesrepublik) sind ein deutliches Indiz für eine "Denkzettel-Wahl". Doch wer sich je mit politikwissenschaftlichen Wahlvorhersagen beschäftigt hat, der wundert sich an dieser Stelle nicht. Gilt es doch als normal, dass die Zustimmung zu Regierungen und ihrer Politik kurz nach der Wahl ihren Höhepunkt erreicht, danach abfällt, um zum Ende der Legislaturperiode wieder anzuziehen. Zwei Jahre nach der Bundestagswahl wäre also für Bundeskanzler Schröder alles im Lot.
Alles? Nicht ganz, denn genauer betrachtet vollzieht sich gerade etwas in diesem Maße nicht Erwartetes: Die schlechte Politik wird der SPD angelastet, der kleinere Koalitionspartner hingegen immer beliebter. Bei den Europawahlen konnten die Grünen in der Bundesrepublik ihre Stimmzahl mehr als verdoppeln und sind dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge nach CDU (36,5 Prozent) und SPD (21,5 Prozent) noch vor der CSU (8 Prozent) die drittstärkste politische Kraft in Deutschland geworden. Was bei der letzten Bundestagswahl noch nicht der Fall war.
Schaut man sich die Ergebnisse regional an, so fällt auf, dass in fast allen universitären Ballungszentren Grüne und FDP, geringer auch die PDS, die stärksten Zugewinne hatten. In Berlin, Freiburg, Bonn, München und weiteren Universitätsstädten wurden die Grünen die zweitstärkste politische Kraft hinter der CDU. Grüne und FDP waren jedoch die beiden Parteien, die tatsächlich Europa zum Wahlthema gemacht haben. Die Grünen mit europäischer Themenpolitik und bekannten Kandidaten wie Rebecca Harms, Daniel Cohn-Bendit und Cem Özdemir, die FDP mit einer noch vor wenigen Monaten vollkommen unbekannten jungen, dynamisch wirkenden, in Brüssel arbeitenden Unternehmensberaterin namens Silvana Koch-Mehrin. Beides hatte nichts mit dem von der Union thematisierten möglichen EU-Beitritt der Türkei zu tun. Und auch nichts mit auf großer Deutschlandflagge plakatierten SPD-Sprüchen wie "Friedensmacht Deutschland".
Weitere Gewinner waren die Partei der Nichtwähler und die Partei der "Sonstigen". Genauere Wahlanalysen werden zeigen, aus welcher Klientel sich diese zusammensetzten - zu erwarten steht ein hoher Prozentsatz zuhausegebliebener traditioneller SPD-Anhänger. Auch die Union muss sich fragen, ob sie mit einem bekannteren Spitzenkandidaten als dem Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP) Hans-Gert Pöttering mehr Stimmen gesammelt hätte. Es gibt noch viel zu tun auf dem Weg in ein demokratisches Europa. Dies trifft gerade auf die großen Volksparteien zu, sieht doch der EU-Verfassungsentwurf eine Stärkung der Rechte des Straßburger Abgeordnetenhauses vor. In der Bundesrepublik wurde am 13. Juni europäisch gewählt - denn die Parteien, die einen eigenständigen Europawahlkampf geführt haben, wurden belohnt.