Ein kleines Stück Holzkohle
Haben sich die frühen Christen ihre Bestattungsriten bei den Juden abgeschaut?
Die Beerdigungspraxis in den römischen Katakomben stammen wahrscheinlich nicht dem christlichen Kontext, sondern sie haben ihren Ursprung in jüdischen Bräuchen. Zu diesem Schluss kommen Archäologen der Universität Utrecht, die die jüdischen Katakomben unter der Villa Torlonia im Norden Roms neu datiert haben. Im aktuellen Nature präsentieren sie ihre Untersuchung.
Die römischen Katakomben sind ein riesiger Komplex aus unterirdischen Gemeinschaftsgräbern, ein Labyrinth aus vielfach verzweigten, kilometerlangen Gängen, von denen zwei jüdische Begräbnisanlagen und 60 frühchristliche Katakomben erhalten sind. Bislang nahm man an, dass diese unterirdischen Friedhöfe im selben Zeitraum entstanden sind: in der Zeit zwischen dem frühen 3. und dem frühen 5. Jahrhundert (n. Chr.).
Der Archäologe Leonard V. Rutgers vom Institut für Theologie der Universität Utrecht und sein Arbeitsteam haben sich die jüdischen Begräbnisstätten unter der Villa Torlonia nun genauer angesehen. Die Katakomben, die erst 1918 entdeckt wurden, bestehen aus zwei Teilen, die anfangs eigenständige Grabanlagen darstellten und erst später verbunden wurden. Sie sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Zur Datierung der Katakomben stützte sich die Forschung bislang überwiegend auf traditionelle Verfahren wie z. B. die Interpretation der stilistischen Merkmale von Fresken und Inschriften. Methoden, die, so Rutgers gegenüber Telepolis, „nicht hundertprozentig verlässlich sind. Insbesondere im Hinblick auf die jüdischen Katakomben, weil die dortigen Gegebenheiten, d. h. die Ikonographie der Wandmalereien bzw. die erhaltenen Inschriften dies nicht zulassen."
Die Utrechter Wissenschaftler zogen für ihre Datierung Holzkohle aus dem Baumaterial der Grabnischen (Loculi) heran. Traditionell wurde jeder Loculus mit einer schmalen Wand aus Schotter und Ziegel zugemauert, die man dann mit einer dünnen Schicht Kalk bedeckte. Aus dieser Schicht konnten die Forscher Holzkohle isolieren, die während des Kalkbrennens entsteht. Eine Temperatur von mindestens 900°Grad Celsius ist nötig, damit Kalkstein zu Kalk wird. Um diese zu erzielen, mussten die antiken Kalkbäcker, davon sind die Archäologen überzeugt, junge Äste verwenden. Und aus diesem Grunde halten sie es auch für ausgeschlossen, dass die Proben durch reifes oder schon totes Holz verunreinigt wurden.
Rutgers und sein Team wählten 15 Proben aus den fünf miteinander verbundenen Abschnitten der Katakomben aus und analysierten deren Alter mittels der Radiokarbonmethode. Das Ergebnis enthüllt nach ihren Angaben die gesamte Geschichte des Baus der oberen und unteren Katakomben. Die Holzkohlestücke decken einen Zeitraum von 50 vor Chr. bis 400 nach Chr. ab. Einige Proben konnten sogar Gehölzen zugeordnet werden, von denen man sicher weiß, dass sie während des Baus der Katakomben in der Umgebung Roms wuchsen.
Die Resultate bestätigen auch die bislang zu Grunde gelegte Chronologie der einzelnen Bauabschnitte. Lediglich eine Probe passte nicht in den zeitlichen Rahmen: Ein Stück Holzkohle, das aus einem unterirdischen Gang stammte, die in ein schon vorher existierendes System von unterirdischen Wassertunneln gegraben wurde. Für Rutgers und sein Team ist sein Alter das ausschlaggebende Indiz dafür, dass die Katakomben 100 Jahre älter sind als angenommen.
Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die Katakomben der Villa Torlonia ab dem 2. Jahrhundert benutzt wurden. Also ein Jahrhundert bevor mit dem Bau der ersten christlichen Katakomben begonnen wurde. Da wir davon ausgehen können, dass sich das Christentum aus dem Judentum entwickelt hat, und Juden und Christen bis weit in die späte Antike enge Beziehungen pflegten, könnte es sein, dass die christlichen Bestattungspraktiken von denen der Juden beeinflusst wurden und nicht umgekehrt. Dies würde auch die Ähnlichkeit der ältesten christlichen unterirdischen Friedhöfe mit den jüdischen Katakomben unter der Villa Torlonia erklären. Außerdem darf man nicht vergessen, dass der für die Entwicklung der Katakomben verantwortliche Diakon Callixtus aus dem Jüdischen Viertel stammte.
Leonard V. Rutger
Den endgültigen Beweis der These soll eine Radiokarbonanalyse der christlichen Katakomben bringen.