Ein neues Publikum wählen?

Seite 2: Befragte wirken ziemlich aufgeklärt - im Vergleich zu Experten aus Politik und Journalismus

Mal den diesen Glaubens- und Glaubwürdigkeitsaspekt beiseite genommen, sind die Studien-Rohdaten an dieser Stelle besonders bemerkenswert, weil sie darauf hindeuten, dass die befragten Bürger:innen mit Blick auf Demokratie und Demokratisierung ziemlich aufgeklärt wirken. Gerade im Vergleich mit befragten Expert:innen aus Politik und Journalismus:

Der These "Die journalistischen Medien in Deutschland sind meist abhängig von Einfluss durch "Mächtige" aus (der, d.A.) Wirtschaft." stimmen nur 11 Prozent der Journalist:innen und 31 Prozent der Politiker:innen zu, aber immerhin 40 Prozent der Bevölkerung. Das ist doppelt bedeutsam: Fast die Hälfte der Menschen hierzulande sieht eine solche Abhängigkeit, aber nur jede/-r neunte Journalist:in.

Ganz ähnlich, wenn auch nicht ganz so stark ausgeprägt, scheint die Sicht der Bürger:innen hinsichtlich der Verhältnisse von Journalismus und Politik. Der Aussage "Die journalistischen Medien in Deutschland sind meist abhängig von Einfluss durch "Mächtige" aus (der, d.A.) Politik" stimmen wiederum nur elf Prozent der befragten Journalist:innen zu, auch nur 22 Prozent der interviewten Politikerin:innen (kein Wunder), aber wiederum 35 Prozent der Bevölkerung.

Diese Ergebnisse könnten als "Goldstaub" für Journalismus und Journalistik interpretiert werden, im Sinne von: Wie kommt es möglicherweise zu gewissen Entfremdungserscheinungen ("Glaubwürdigkeitsverlusten"), und inwiefern ließe sich in welche Richtungen etwas dagegen tun? Zum Beispiel mit deutlich mehr Distanz und (Selbst-)Kritik gegenüber den hiesigen Eliten vor allem in Wirtschaft und Politik?

Dass wiederum das Publikum durchaus nicht unmündig ist, zeigen auch die Reaktionen auf die These:

Den deutschen Medien wird von Staat und Regierung vorgegeben, worüber sie berichten sollen.

Dass nur (oder eben: immerhin) zwei Prozent der befragten Journalist:innen dem zustimmen, liegt wohl im Rahmen des Erwartbaren. Aber auch in der gesamten Bevölkerung sind es nicht mehr als 17 Prozent Zustimmung, was auf eine beachtliche Medienkompetenz der allermeisten Nutzenden deutet (ebenso wie die nur 19 Prozent der Bürger:innen, die annehmen, in "den Medien" werde direkt gelogen, also "absichtlich die Unwahrheit" verbreitet).

Zusammenfassend ließe sich sagen: Wenn Journalist:innen eine ihre wichtigsten Aufgaben für Demokratisierung und gelingende gesellschaftliche Kommunikation, nämlich die Artikulationsaufgabe, (besser) erfüllten, also möglichst viele oder idealerweise alle wichtigen gesellschaftlichen Tendenzen ernst nähmen und vermittelten (was natürlich nicht heißen kann, all diesen Auffassungen zuzustimmen), ließe sich gewissen Verlusten an "Glaubwürdigkeit" oder eben Vertrauen eventuell entgegenwirken.

Gegebenenfalls sogar neues Vertrauen gewinnen. Was vielleicht wiederum manchen "Alternativmedien" besser gelingen mag als etlichen etablierten Medien.

Bertolt Brecht hatte mit Blick auf den Aufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 in seinem Gedicht Die Lösung ironisch geschrieben, wenn das Volk das Vertrauen der Regierung verspielt habe, wäre es vielleicht am einfachsten, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes.

Ohne hier irgendetwas gleichzusetzen – wir Journalist:innen hierzulande dürften uns kaum ein "anderes" Publikum wünschen und wählen können.