Ein neues Publikum wählen?
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- Befragte wirken ziemlich aufgeklärt - im Vergleich zu Experten aus Politik und Journalismus
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"Glaubwürdigkeit" von Journalismus in Pandemiezeiten laut Umfrage gesunken
Inwiefern kommt es zu Entfremdungstendenzen zwischen Journalismus und Publikum hierzulande und heutzutage? Und was könnte das mit womöglich wachsenden Lücken beim Erfüllen der journalistischen Artikulationsaufgabe zu tun haben? Eine Studie von TU Dortmund und Forsa bietet nicht unbedingt in ihrer offiziellen Zusammenfassung, aber in ihren Details interessante Aufschlüsse.
Die Redaktion vom Deutschlandfunk geht immerhin schon in der Überschrift ihrer Meldung davon aus, das "Vertrauen" in journalistische Medien (im Unterschied zur "Glaubwürdigkeit" von journalistischen Medien) sei während der beiden Corona-Jahre gesunken.
Andere Medien texten ähnlich und reden eher von "Vertrauenswürdigkeit" als von "Glaubwürdigkeit" mit Blick auf journalistische Medien.
Menschen scheinen angesichts widersprüchlicher und komplexer Erfahrungen sowie begrenzter eigener Ressourcen offenbar vertrauen zu müssen, um mit der Komplexität ihres Lebens und unserer Mitwelt so umgehen zu können, dass sie ihr Leben führen können – also zum Beispiel wichtige Entscheidungen möglichst richtig treffen mögen etc.
In weltlichen, also säkularen Gesellschaften, sollten sie allerdings buchstäblich nichts mehr glauben (müssen) – was und wem und woran sie glauben, sollte ihre Privatsache sein. Bemerkenswert, dass gerade im Kontext aktueller journalistischer Medien noch immer so oft und anscheinend wenig reflektiert von "Glaubwürdigkeit" die Rede ist.
Anstatt es als zivilisatorische Errungenschaft u.a. von Aufklärung, Arbeiter:innenbewegung, Feminismus, Umweltbewegung usw. zu begreifen, dass Menschen auch weiterhin (an) alles Mögliche glauben können, aber nichts und niemandem mehr glauben müssen. Auch nicht journalistischen Medien (siehe einige weitere Aspekte dazu auch: Attacke in Berlin: Maskenstreit oder Rassismus?").
Welchen Einfluss hat nun die Corona-Berichterstattung auf die immer noch gerne zitierte "Glaubwürdigkeit" des Journalismus? Das hatte ein Team des Instituts für Journalistik der TU Dortmund zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut Forsa untersucht.
Befragung zur Glaubwürdigkeit: "Ein alarmierender Wert"
In diesem Fall seien 1.002 repräsentativ ausgewählte Bürger:innen ab 18 Jahren im Rahmen einer Online-Befragung im Zeitraum vom 21. Januar bis 2. Februar 2022 interviewt worden.
Diese aktuelle, repräsentative Publikumsbefragung des Instituts für Journalistik, durchgeführt von Forsa, zeigt laut den Organisatoren: 41 Prozent der Befragten seien der Meinung, die sogenannte "Glaubwürdigkeit" des Journalismus habe durch die Corona-Berichterstattung abgenommen. Demgegenüber hätten nur 8 Prozent angegeben, diese Glaubwürdigkeit habe sich erhöht.
"Ein alarmierender Wert", wird in der Pressemitteilung der Organisatoren der Leiter der Studie "Journalismus und Demokratie", Prof. Dr. Michael Steinbrecher, von der TU Dortmund, zitiert, "zumal sich in der Befragung auch zeigt, dass mehr als ein Drittel der Menschen glaubt (sic!), der Journalismus sei meist abhängig vom Einfluss der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Wenn sich diese Positionen verfestigen, kann dies auf Dauer die Akzeptanz des Journalismus in seiner demokratischen Funktion beschädigen."
Die Befragten übten laut Pressemitteilung, auch unabhängig von der Corona-Berichterstattung, grundlegend Kritik am Journalismus: So stimmten 43 Prozent der pauschalen Aussage zu, der Journalismus sei in den vergangenen Jahren schlechter geworden. 62 Prozent befanden, im Journalismus werde zu sehr auf Übertreibung und Skandalisierung gesetzt, und 28 Prozent stimmten zu, der Journalismus habe den Kontakt zu Menschen wie ihnen verloren.
Doch so groß die Kritik an der journalistischen Berichterstattung aktuell auch sei, heißt es in der offiziellen Zusammenfassung: Noch werde der Journalismus in seiner Bedeutung von der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht infrage gestellt. "87 Prozent der Befragten sehen den Journalismus als wichtig für das Funktionieren einer Demokratie an."
Nun gut, auch dies könnte sowohl empirisch als auch normativ interpretiert werden, also entweder im Sinne von "So ist es" oder eben im Sinne von "So sollte es sein!".
Interessanter als dieses Resümee jedenfalls scheint ein näheres Hinsehen auf die gesamten Fragen und Antworten der aktuellen Studie, die dem Autor in einer ausführlichen Fassung vom 22.3. 2022 seitens der TU Dortmund vorliegen.
Der genauere Blick
Insgesamt hätte es sicher nahegelegen, innerhalb der Fragen zu differenzieren zwischen doch gut unterscheidbaren journalistischen Medien, zumindest im Sinne von "etablierten Medien" (auch "Leitmedien" genannt) und "anderen Medien" ("Alternativmedien"), jeweils zum besseren Verständnis für die Befragten gerne auch mit einigen Beispielen illustriert. Stattdessen heißt es in Frage 6:
Im Folgenden finden Sie einige Aussagen zu Kritik und Vertrauen (sic!) am (??? d.A.) Journalismus. Bitte geben Sie jeweils an, inwieweit Sie unter Berücksichtigung des kompletten journalistischen Spektrums in Deutschland den folgenden Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen.
Das ist bemerkenswert, denn 1.) wer kann schon "das komplette journalistische Spektrum in Deutschland" kennen, und 2.) zählen dazu Akteure wie z.B. "Rezo" oder die "Anstalt" oder "Ken Jebsen"? Aber vor allem 3.) werden da nicht Phänomene und Phänomenbereiche zusammengefasst, die gerade mit Blick auf Krisen wie die Banken- und Finanzkrise 2008/2009, die Krise im Zusammenhang mit der Bewegung von vielen Flüchtenden nach EU-Europa 2015/2016 sowie aktuell natürlich die Corona-Krise und die Kriegs-Krise von etablierten Medien und Alternativmedien doch ziemlich unterschiedlich vermittelt wurden und werden?
Schauen wir nach dieser Grundsatz-Kritik auf einige (dennoch) spannende Befunde der Studie:
Bei der Frage nach dem etwaigen Einfluss Mächtiger aus Wirtschaft und Politik auf den Journalismus ging es, das muss hier kritisch angemerkt werden, gerade nicht darum, was die Befragten "glauben" würden, sondern, inwiefern sie den entsprechenden Aussagen zustimmen.
Interessant, dass daraus in der Zusammenfassung der oben zitierte "Glaubenssatz" wurde: Mehr als ein Drittel der Befragten "glaube" an einen beträchtlichen Einfluss dieser beiden Bereiche auf den Journalismus. Natürlich konnotiert hier: "glauben" ist nicht wissen, glauben tun die Leute ja alles Mögliche (nur vielleicht leider nicht mehr so bedingungslos wie ggf. früher uns Journalist:innen).
Halten wir fest: Nicht etwaige Defizite im Journalismus sind laut Pressemitteilung zur Studie das Problem, sondern, dass sich dieser (Irr-?)Glauben der Befragten verfestige. Das scheint mir (leider) weit entfernt davon, das Publikum auf Augenhöhe zu betrachten und ernst zu nehmen.