Ein schwarzes Loch verschlingt herkömmliche Theorien
Deutsche Astrophysiker haben die Größe eines Schwarzen Loches in der Milchstrasse berechnet und ihre Resultate lassen an den gängigen Theorien zweifeln
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature berichten Jochen Greiner und Mark J. McCaughrean vom Astrophysikalisches Institut in Potsdam sowie J.G. Cuby vom European Southern Observatory in Chile (ESO) von ihren spektakulären neuen Ergebnissen über den Mikroquasar GRS1915+105.
Das Objekt ist ein binäres System, das aus einem Riesenstern und einem schwarzen Loch besteht, die umeinander kreisen. Astronomen hatten GRS1915+105 nach dem populären Geysir Old Faithful im Yellowstone Nationalpark (Webcam) getauft, weil er alle 45-90 Minuten Wellen von Partikeln in der Form von Jets ausstieß. Old Faithful war der erste bekannte Mikroquasar in unserer Galaxis, er liegt 40'000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sterbild des Adlers.
Mikroquasare sind spezielle Formen schwarzer Löcher (Vgl. Gefräßige Bestien im Weltall). Quasare, also Quasi-Stellare-Radioquellen, sind Sternensysteme mit leuchtkräftigem Kern. Ihre Leuchtkraft wird durch die Existenz eines schwarzen Loches in ihrem Zentrum erklärt. Mikroquasare sind sozusagen ihre kleinen Geschwister, da sie ebenfalls Radiowellen und Röntgenstrahlung ausstoßen, wenn auch in weitaus geringerem Umfang. GRS1915+105, der als Prototyp gilt, konnte 1992 erstmals als helle Röntgenquelle nachgewiesen werden, 1994 zeigten Beobachtungen, dass er Jets ausstößt. Einmalig ist, dass er seither immer wieder nachweislich aktiv ist, denn andere beobachtete Mikroquasare stellten ihre Emissionen nach kurzer Zeit ein. Sichtbar ist der Himmelskörper nicht, weil er inmitten der Milchstrasse und damit von uns aus gesehen hinter riesigen Staubwolken liegt, die ihn vor optischen Teleskopen verbergen. Das ist der Grund, warum Old Faithful so rätselhaft ist, denn obwohl Hunderte von wissenschaftlichen Interpretationen der beobachteten Röntgen-, Infrarot- und Radioemissionen vorliegen, sind auf den sichtbaren und kurzwelligen Infrarot-Wellenlängen beruhende optische Daten die sicherste Grundlage, um die Orbitalperioden und die Masse zu bestimmen.
Greiner und Kollegen haben mit dem ANTU-Teleskop, einem Very Large Telescope mit 8,2 Metern Durchmesser, der European Southern Observatory in Chile (ESO Paranal mehrere Monate lang das Infrarotspektrum und die Jets von GRS1915+105 ermittelt. Mit diesen Daten bestimmten sie Masse, Geschwindigkeit und Umlaufbahn des Sterns und errechneten daraus die Masse des Schwarzen Loches, das kontinuierlich stellares Material aus dem kleinen Begleitstern saugt. Ihre Ergebnisse zeigen, dass der begleitende "Geber-Stern" des Systems etwa die Messe unserer Sonne hat, die Masse des Schwarzen Loches beträgt dagegen das 14fache unserer Sonne. Damit ist es das schwerste stellare schwarze Loch in unserer Galaxis. Aber nicht nur das: die Resultate der deutschen Astronomen stellen die herkömmlichen Ansätze zur Erklärung der Entstehung schwarzer Löcher infrage und Entfachen die Diskussion um ihre Eigenrotation neu. An sich dürfte die Masse des schwarzen Lochs in einem Doppelsternsystem nach heutigen Theorien bei weitem nicht so groß sein und auch die Masse und die Muster der emittierten Röntgenstrahlung passen nicht zu den üblichen theoretischen Modellen.
Die Jets, die Old Faithful in Eruptionen ausstößt, sind spektakulär. Schwarze Löcher sind von einer Scheibe aus dichtem Staubteilchen und Gas umgeben, den so genannten Akkretionsscheiben. Sie saugen sich sozusagen ihr Futter aus dem umgebenden Weltraum, bzw. von den Begleitsternen und halten es durch ihre Gravitationskraft. Es entsteht ein spiralisierender Strudel, in dessen Mitte die Materie ins Nichts gezogen wird. Ein schönes Bild dafür ist der Wasserstrudel, der einem Abflussloch zuströmt. Das Gas erhitzt sich auf bis zu eine Million Grad und emittiert dann elektromagnetische Strahlung, vor allem intensives Röntgenlicht. Ein Teil der Materie wird aber wieder "hinausgerülpst", ein Strahl von Partikeln wird mit ungeheurer Geschwindigkeit ins All geschossen: der Jet. Jets stehen immer senkrecht zur Akkretionsscheibe. Die Jets können im Radiowellen-Bereich beobachtet werden und sie scheinen sich mit Überlichtgeschwindigkeit durch das All zu bewegen. Diese Illusion, eine perspektivische Täuschung, wird durch die spezielle Relativität verursacht. Tatsächlich bewegen sich die Jets mit etwa 90% der Lichtgeschwindigkeit.
Mikroquasare sind durch ihre extrem starken Gravitationsfelder nahe des Ereignishorizonts des Schwarzen Loches hervorragende Studienobjekte für die Überprüfung von Einsteins Relativitätstheorie. Nach Stephen Hawking ist der Ereignishorizont, "der Rand des Schwarzen Lochs, die Grenze der Region, aus der nichts mehr in die Unendlichkeit entweichen kann." Einstein erweiterte die klassischen Vorstellungen der Gravitationstheorie um eine weitere Dimension, die Zeit. Die Gravitationsfelder erzeugen die Raumkrümmung in der Raumzeit-Geometrie und verändern die Flugbahnen von sich darin bewegenden Objekten. Um die Jets auf annähernde Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen bedarf es einer Rotation des schwarzen Lochs mit der höchsten Rate, die die Relativitätstheorie erlaubt. Das wurde jedenfalls bisher angenommen. Mikroquasare haben vermutlich eine Spindynamik, die höher ist als bei anderen Objekten, die Jets eruptieren. Sie sind gigantische Teilchenbeschleuniger im Universum.
Mit dem Spin des Schwarzen Loches wird ein Effekt verbunden, der quasiperiodische Oszillationen (QPO) heißt und sich auch in den Emissionen von GRS1915+105 zeigt. Der Effekt zeigt sich in der Röntgenstrahlung und entsteht durch das Verspeisen von Material durch das Schwarze Loch, denn wenn es die Partikel einsammelt, heizt es sie auf und emittiert dadurch Röntgenstrahlung. Die Intensität der Strahlung schwankt und zwar nicht streng periodisch, sondern nur "quasi-periodisch". Ein QPO-Muster wurde von den Astronomen speziell mit den Spin-Frequenzen in Mikroquasaren verbunden. Die meisten Theorien gingen bisher davon aus, dass bei einem maximal rotierenden schwarzen Loch in Mikroquasaren die QPO-Frequenz umgekehrt proportional zur Masse ist. Bei einem Doppelsternsystem (GROJ1655-40) wurde das auch nachgewiesen. Basierend auf diesen Daten dürfte die Masse des Schwarzen Lochs in Old Faithful nur das 5-7fache unserer Sonne betragen, de facto ist es aber das Doppelte. GRS1915+105 wiederspricht also den Annahmen der quasiperiodische Oszillationen. Zudem ist es unklar, wie sich ein so massives Schwarzes Loch in einem Doppelsternsystem bilden konnte, weil der "Geber-Stern" eigentlich nicht derartig viel Masse behalten haben kann, um ein so riesiges Gebilde zu speisen.
In seinem begleitenden News&Views-Artikel in der gleichen Ausgabe von Nature zieht Charles Bailyn von der Yale University, New Haven in Connecticut das Fazit:
Das Resultat, das 14fache der Masse unserer Sonne, entspricht nicht dem, was Astronomen auf der Basis der QPO-Frequenz angenommen hatten. Wie Greiner und Kollegen zeigen, ist dieser Masse-Wert, der das zweifache der Masse von GROJ1655-40 beträgt, nicht mit den gängigen Modellen der QPO-Produktion in Mikroquasaren vereinbar. Es kann sein, dass wir künftig nicht mehr annehmen können, dass Mikroquasare die Jets ausstoßen nahe der maximalen Rate rotieren - das würde bedeuten, dass wir viele Jet-Entstehungs-Theorien überdenken müssten. Oder es könnte sein, dass die QPO-Frequenz nicht mit der Spin-Rate des Schwarzen Loches in Relation steht, oder in einer bisher nicht vermuteten Art und Weise. Dagegen ist so gut wie sicher, dass diese plötzliche Neuentwicklung in der Erforschung von Effekten der Relativität bei Mikroquasaren in den nächsten Jahren Hunderte neue wissenschaftliche Artikel hervorbringen wird.