Eine Art Kreuzung aus Dampflokomotive und MTV

"Merkt euch das X!"- Die X-Box und das Microsoft-Image

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Ein bisschen klingt es schon nach ethnologischer Feldforschung, wenn Bill Gates und seine Microsoft-Mannen von der "gaming community", dem Völkchen der Videospieler, sprechen. Fremdes Terrain, keine Frage, und gefährliches noch dazu.

Da hat man einen Firmennamen, der an Bekanntheit nicht weit hinter Coca-Cola, Nike und McDonald's rangiert, hat Abermillionen (zwangs-)loyaler Kunden, ist praktisch Monopolist - und plötzlich findet man sich auf einem Markt wieder, wo das ganze Firmenimage sogar eher hinderlich sein könnte. Eigenwillige Leute sind sie, diese Spieler, Gamer, Daddler, mit stur eingefahrenen Vorlieben und der Angewohnheit, diese lautstark zu verteidigen. Aber eben auch Leute, die für ihr Hobby rund $20 Milliarden im Jahr springen lassen. Und dafür wagt man sich gern unter Kannibalen - wenn auch mit Vorsicht.

Wirklich handfeste Neuigkeiten gab es wenig, als Bill Gates im Rahmen seiner Eröffnungsansprache zur Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas am Morgen des Dreikönigstags die X-Box enthüllte. Jetzt weiß die Welt also, wie Microsofts erste Videospielkonsole aussehen wird, wenn sie gegen Ende des Jahres in die Läden kommt. Hat Demos von zwei Spielen gesehen, Ankündigungen für zwei weitere erhalten. Erfahren, dass die technischen Daten gegenüber vorhergehenden Aussagen leicht nach unten korrigiert wurden und das Gerät DVD-Filme nur mit Zusatz-Hardware abspielen wird.

Aber was heißt das? Die Sache mit der DVD zeigt zweierlei: Microsoft will sich möglichst fern halten vom fatalen Bild der "set-top box", dem Allround-Entertainment-Center auf dem Fernseher, und beweisen, dass die X-Box eine reinrassige Spielkonsole wird. Und man macht sich wohl Sorgen um den Endpreis: Für jedes Gerät, das DVDs abspielen kann, sind Lizenzgebühren an das DVD-Konsortium fällig. Zu vermuten: Microsoft will einen spürbaren Preisvorteil gegenüber Sonys PS 2 erreichen. Die neuen technischen Daten sagen nicht viel - angesichts des zeitlichen Abstands zur Entwicklung der PS 2 darf man wohl getrost glauben, wenn Gates behauptet, sein X-Kästlein würde das dreifache an (Grafik-)Leistung bringen. Der entscheidende Faktor im Krieg der Konsolen wird das dennoch nicht sein. ("Give me Playstation or Death!")

Was Gates' Rede und das Design der X-Box vor allem zeigen, ist, wie sehr Microsoft darauf bedacht ist, bei diesem Projekt nur ja keinen Fehler zu machen, wie bewusst man sich der Gefahr des Scheiterns auf dem neuen, glatten Parkett ist. Das hat ganz wenig von Sonys siegesgewisser Überheblichkeit, die der PS 2 noch zur Stolperfalle werden könnte. Gates weiß: Er und seine Firma gelten bei der Zielgruppe nicht gerade als "cool". Und darüber muss seine X-Schachtel hinwegkommen. Geschickt und bewusst schon der Zeitpunkt der Design-Enthüllung - des Moments im Lebenszyklus einer Konsole, in dem sie erstmals greifbare Wirklichkeit wird: Genau rechtzeitig nach dem Abflauen des PS 2-Hypes, als Sonys vermeintliche Wunderwaffe ihr erstes globales Weihnachtsgeschäft erfolgreich hinter sich hatte und die Welt sich dennoch wie gewohnt weiterdrehte. Genau rechtzeitig, um viele, die jetzt bei der PS 2 noch nicht zuschlagen konnten oder wollten, ein bisschen länger zum Warten zu bewegen. Unzweifelhaft eine Kampfansage - die aber bewusst noch genug Fragen offen ließ, um die X-Box mit wohl gestreuten Enthüllungen weiterhin immer wieder im Gespräch halten zu können.

Das Design selbst zeigt zumindest zweierlei (soweit man wagen darf, das nach bloßen Fotos zu beurteilen): Die Controller - deutlich an die von Segas Dreamcast angelehnt - beweisen, dass Microsoft seinem Prinzip von "Don't innovate, imitate!" treu bleibt. Die Konsole selbst schreit nach "Ich will cool sein!" (weshalb wohl auch der schmächtige Bill Gates auf der Bühne Gesellschaft bekam vom WWF-Wrestler The Rock) und "Merkt Euch das X!". Der Versuch, das Markenzeichen - möglichst unabhängig vom Microsoft-Image - zu etablieren, ist mehr als offensichtlich. Ebenso der Wille zum Modischen, das leider die Gefahr birgt, sehr schnell zum Altmodischen zu werden. Fern scheint die X-Kiste vom schlanken, klassisch-kühlen Understatement der PS 2, fern von der verspielt-innovativen, japanischen Poppigkeit, die Nintendos Gamecube auszeichnet. Vielmehr schweres Kraftwerk mit 90er-Jahre-Touch, eine Art Kreuzung aus Dampflokomotive und MTV.

Die einzige wirklich exklusive Eigenheit des Innenlebens gegenüber anderen Konsolen: Eine 8 GB-Festplatte. Bei der sich noch zeigen muss, ob man sich mit ihr nicht die Nachteile des PC-Gamings ins Wohnzimmer holt - Patches, Updates und die Gefahr, dass die Konsole eben keinem normierten Standard mit garantierter Performance entspricht. Was passiert, wenn auf dem Ding weniger Platz frei ist, als ein Spiel verlangt?

Dennoch: Die bisherigen Stimmen aus dem Kreis der Software-Entwickler sind durchweg positiv. Kein Wunder: Die eng PC-verwandte Architektur ist wohlvertraut, die Tools entsprechend ausgereift. Und vor allem: Microsoft scheint die Spiele-Programmierer zu hofieren, so gut es nur geht; Rückhalt, Unterstützung, Auskunftsbereitschaft werden immer wieder als exemplarisch bezeichnet. Das heißt: Microsoft ist sich wohl bewusst, dass nicht nur bei den Endverbrauchern in Sachen X-Box ein neues Image zu schaffen ist. Viel Zeit und Geld wird investiert, um diejenigen günstig zu stimmen, die letztlich über das Wohl und Wehe einer Konsole entscheiden. Und offensichtlich mit Erfolg: Kaum ein großer PS 2-Titel, der nicht auch in aufgebohrter Version für die X-Box erscheinen soll - von SSX über "Tony Hawk's Pro Skater 2" und Silent Hill bis zum heißersehnten "Metal Gear Solid: Sons Of Liberty" Selbst Sonys Versuch eines Mario- oder Sonic-gleichen Maskottchens, "Crash Bandicoot", konnte den Japanern abspenstig gemacht werden. Vor allem aber hat sich Microsoft (zweifelsohne mit überzeugenden Argumenten aus der daran so reichen Firmenkasse) einiges an äußerst vielversprechenden Exklusiv-Titeln gesichert, darunter "Oddworld:Munch's Odyssee", "New Legends", "Malice" und "Halo" von den Game-Göttern Bungie. Die Chancen stehen deshalb gar nicht schlecht, dass der X-Kasten mit dem an den Start gehen wird, was der PS 2 noch immer fehlt:

Einem Spiel, dem die Aura des Revolutionären anhaftet, einem echten Hingucker, einem wirklichen "Haben muss!"-Titel, einem System-Seller. Und dass Microsoft, unter dem Druck der Versagensangst und im Wissen, es diesmal mit Kunden zu tun zu haben, die sich nicht alles vorsetzen lassen, ein ausgereiftes Produkt auf den Markt bringt - vielleicht erstmals in der Firmengeschichte. Was aber lange noch nicht heißen soll, dass eines Tages Bill Gates cool werden könnte...