Eine Form der milden Funktionärsdiktatur
- Eine Form der milden Funktionärsdiktatur
- Das Parlament repräsentiert eine verschwindende Minderheit
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Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 5
Wenn schon die Mitglieder der politischen Parteien solch eine zentrale Rolle in der demokratischen Willensbildung spielen, stellt sich die Frage: Wer sind die Mitglieder. In dieser Folge seiner demokratiekritischen Artikelreihe analysiert der Allensbacher Politologe und Wissenschaftsjournalist Wolfgang J. Koschnick die Zusammensetzung der politischen Parteien und kommt zu einem vernichtenden Urteil: Die Parteien haben ein oligarchisches Feudalsystem errichtet. Der Parteienstaat hat die freiheitlich demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt. Er ist in Wahrheit eine Form der milden Funktionärsdiktatur und hat keinerlei Lösungskompetenz für die existenziellen Fragen des Gemeinwohls, weil er Eigensucht, Opportunismus und Korruption zu Prinzipien politischer Herrschaft erhoben hat.
Wenn die Politiker ein einigermaßen getreues Abbild der Mitglieder von politischen Parteien darstellen, fragt sich: Wer sind die Mitglieder der politischen Parteien? Darüber sind aus einer Vielzahl von Studien recht verlässliche Angaben möglich.
Sicher ist: Die soziale Struktur aller politischen Parteien unterscheidet sich deutlich von der Struktur der wahlberechtigten Bevölkerung. Parteimitglieder haben eine überdurchschnittlich hohe formale Bildung und arbeiten zu einem wesentlich höheren Anteil als der Bevölkerungsschnitt im öffentlichen Dienst. Deutlich unterrepräsentiert sind Personen im Alter von 18 bis 40 Jahren und Frauen. Während sich nur 8 Prozent der Wahlberechtigten der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht zurechnen, tun dies 30 Prozent der Mitglieder aller politischen Parteien.1
Nach der Berufsstruktur ihrer Mitglieder haben sich die Parteien im Laufe der Jahrzehnte zunehmend aneinander angeglichen: Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr, die CDU/CSU keine Partei von Unternehmern und Landwirten und die FDP nicht mehr die Partei des alten und auch nicht des neuen Mittelstands. Alle versuchen, auf möglichst breiter Basis die Mitte für sich zu gewinnen.
Im Laufe der 1950er, 1960er und 1970er Jahre haben sich die politischen Parteien radikal verändert. Beherrschte davor noch der Gegensatz zwischen Arbeiterparteien und bürgerlichen Parteien die politische Landschaft, so haben sich alle Parteien seither in der Struktur ihrer Mitglieder stark angeglichen. Ein Spiegel der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" (Helmut Schelsky). Die Parteien haben sich von ihren traditionellen sozialen Milieus losgelöst. Unter den Mitgliedern aller Parteien dominieren nun Beamte, Angestellte und Rentner.2
Eine Schieflage besteht auch in der Alterszusammensetzung. Fast die Hälfte aller Parteimitglieder ist zwischen 41 und 60 Jahre alt, in der Bevölkerung trifft das auf nur ein Drittel zu. Dramatisch ist die Unterrepräsentation von Frauen: 74 Prozent aller Parteimitglieder sind Männer, folglich sind nur 26 Prozent Frauen.
Besonders Angehörige des öffentlichen Dienstes sind in allen Parteien so stark überrepräsentiert, dass Beobachter seit langem "eine personale Verschränkung zwischen Mitgliederorganisation der Parteien und Staatsverwaltung"3 konstatieren. Unter der Dominanz von Staatsbediensteten und Rentnern verschwindet fast das Gewicht von Arbeitern und Angestellten aus der privaten Wirtschaft: In der Bevölkerung machen sie zwar 34 Prozent aus, in den Parteien jedoch nur 20 Prozent.
Allen politischen Parteien fehlt der Nachwuchs. Und der, der noch da ist, wendet sich frustriert ab. So konnte die CDU 2008 stolz verkünden, dass sie erstmals mehr Mitglieder hat als die SPD, die sich mehr als hundert Jahre stolz als die klassische Mitgliederpartei rühmte. Doch auch das ist nur vordergründig ein Erfolg. Er täuscht darüber hinweg, dass die beiden großen Parteien kaum noch halb so viele Menschen binden wie noch 30 Jahre zuvor.
Die Zahl sinkt weiter und wird weiter sinken. Sie ist ein Ausdruck der wachsenden Entfremdung zwischen der Bevölkerung und ihren politischen Vertretern. Und schließlich hatte die CDU nicht deshalb mehr Mitglieder als die SPD, weil sie so attraktiv geworden war. Der höhere Mitgliederstand ergab sich auf Grund der in der SPD grassierenden Schwindsucht. Auf ihrer rasanten Talfahrt raste die SPD mal eben an der traditionell mitgliederschwachen CDU vorbei. Und die CDU rühmte sich nicht etwa der eigenen Attraktivität, sondern der Schwäche der Konkurrenz…
Zustände wie im Taubenschlag
An diesem "historischen Tag" - so der damalige Generalsekretär Roland Pofalla -, dem 30. Juni 2008, hatte die CDU insgesamt 530.755 Mitglieder und damit 761 Mitglieder mehr als die SPD. Doch obwohl im ersten Halbjahr 2008 immerhin 9.600 Menschen neu in die CDU eingetreten waren, hatten auch dann die Christdemokraten etwa 6.000 Mitglieder weniger als noch zu Jahresbeginn.
Da wird viel ein- und noch mehr ausgetreten. Die Fluktuation ist in allen politischen Parteien extrem hoch. Viele der neuen Mitglieder treten entsetzt wieder aus, nachdem sie erst einmal erlebt haben, wie es in Ortsvereinen hergeht. Offensichtlich sind die Ortsvereine für viele neue Mitglieder Stätten des Grauens. Sie ergreifen noch schneller die Flucht, als sie die Mitgliedschaft erworben haben.
Der Exodus aus den Parteien hält jedenfalls ungebrochen an. Und da sich an den Bedingungen, die ihn herbeigeführt haben, nichts ändert, wird er sich noch viele Jahre fortsetzen. Die Mitgliederzahlen der Parteien tendieren auf jeden Fall mit hoher Geschwindigkeit gegen Null.
Mitte der 1970er Jahre hatte allein die SPD noch 1,022 Millionen Mitglieder. CDU und CSU kamen zusammen auf noch einmal so viele. Seitdem geht es mit den Volksparteien rapide bergab. Die Mitgliederzahl der SPD schrumpfte seither rasant und dümpelte Ende 2013 irgendwo bei unter 474.820. Es geht weiter bergab.
Das Heer der reitenden Karteileichen
Wenn man bedenkt, dass selbst von den wenigen Mitgliedern eine nicht verlässlich bezifferbare Zahl reine Karteileichen sind, erlaubt das nur die Feststellung: Das politische Establishment der SPD hat den Status einer Mitgliederpartei und damit den besonderen Nimbus der einstigen Arbeiterpartei gnadenlos versemmelt.
Anders als die bürgerlichen Parteien, in denen sich eher das gehobene Bürgertum locker zusammenschloss, war die alte SPD eine straff organisierte Arbeiterpartei, deren Mitglieder die Partei zum größten Teil auch finanzierten. Heute ist sie nur eine von mehreren bürgerlichen Allerweltsparteien.
Wie dramatisch die innere Auszehrung der Parteien ist, wird deutlich an der Situation der SPD: Selbst nach dem 2. Weltkrieg und den Jahren des Dritten Reichs hatte die Partei 1949 noch 750.000 Mitglieder. Die Zahl wuchs bis 1976 auf über eine Million und sank von da an in rasanter Talfahrt. Allein von 1991 bis 2011 verlor die SPD rund 450.000 Mitglieder. Das läuft auf über 20.000 Personen pro Jahr hinaus. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Die CDU zählte im August 2013 gerade mal 469.575 Mitglieder und damit wieder weniger als die SPD. Parteiinterne Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Mitgliederzahl im Osten zum Jahr 2019, diejenige im Westen bis 2024 halbieren wird. Wer von den beiden Volksparteien gerade mehr oder auch weniger Mitglieder hat, ist relativ gleichgültig; denn beide schrumpfen im Eiltempo.
Die CSU, die Schwesterpartei der CDU in Bayern, bewegt sich 2013 bei 150.000 Mitgliedern. Tendenz wie bei allen anderen auch abwärts, und das seit Jahren. Die FDP hat heute unter 59.000 Mitglieder - auch seit Jahren sinkend. Die Linke kam Ende 2012 auf 63.761 Mitglieder. Tendenz sinkend. Das Bündnis 90/Die Grünen hatte Ende 2013 ungefähr 60.000 Mitglieder. Tendenz: mal mehr, mal weniger. Die sind offensichtlich im Nebelreich der unablässig sinkenden Mitgliederzahlen noch nicht ganz angekommen. Bei denen gibt es noch Schwankungen. Mal sehen, wie lange noch…