Eine Geschichte über Milosevic, Zensur und ICANN
Vom Untergang Diktators und eines Mythos: Milosevic hatte den archimedischen Punkt gefunden, um das Internet zu zensieren - das DNS
Zwar ist Milosevic besiegt, doch er hatte den archimedischen Punkt des Netzes gefunden: Das Domain-Name-System. Auf seine Order hin wurden, gleich nach der Wahl, populäre Websites der Opposition gesperrt und manipuliert - die "DNS-Entries" waren in den Name-Servern von ".yu" manipuliert worden. Ein Fallbeispiel dafür, wie das Internet kontrolliert werden kann, und wer es schützen sollte.
24 Stunden sind eine lange Zeit, wenn man auf das Ergebnis einer Wahl wartet, die eine Diktatur beenden und Demokratie bringen soll. In demokratischen Staaten ist das Warten vor dem Fernsehschirm am Wahlsonntag Ritual - was aber, wenn man dem Fernsehen nicht trauen kann? In Serbien schaute man deshalb nicht auf die analoge Mattscheibe, sondern holte sich unzensierte Nachrichten aus dem Internet. Doch vierundzwanzig Stunden lang, beginnend in der Wahlnacht, hatte das Milosevic-Regime Websites der Opposition blockiert und manipuliert. Statt "live webcasts" von Demonstrationen der Opposition zeigte das korrupte Regime leere Strassen, und anstatt den herbeigesehnten Wahlergebnissen, Pornoblider.
Die Websites der Demokratischen Partei und der Demokratischen Oppositions Koalition Serbiens waren in der Wahlnacht "gehijacked" und umgeleitet worden. Das "Web-Takeover" dauerte fast vierundzwanzig Stunden. Für die Organisatoren der Opposition vergingen so kritische Stunden - ohne zuverlässige Informationen über den Verlauf der Wahl. Die demokratische Opposition hatte geplant, die Resultate der Wahl stündlich bekannt zu geben, das Netz als Informationsmultiplikator zu nutzen und Sympathisanten via Email zu mobilisieren. Populäre Seiten wie www.freeserbia.org oder www.izbori2000.net (Wahlen2000) wurden geblockt und manipuliert.
Zwar wurden viele der Oppositionsseiten auf Computern in den USA gespeichert, doch ist für die Netzkommunikation ein Zentralregister auf Landesebene notwendig, das Teil der technischen Lebensgrundlage des Netzes ist - das Internetnamenssystem. Dort werden die landesspezifischen "Internetadressen" verwaltet - in diesem Fall ".yu".
Milosevich hat dazu gelernt und nicht nur die Massenmedien kontrolliert
Slobodan Markovic, Gründer einer Oppositionsmailingliste, dazu: "Das Regime hatte den Verwalter von ".org.yu" unter Druck gesetzt. Er hat daraufhin die Adressinformationen in den "Name-Servern" so verändert, dass unbedarfte Besucher der Sites, zu Computern des "Academic Information Center" umgeleitet wurden, welches von der Sozialistischen Jugend kontrolliert wurde".
Die Order kam direkt vom Belgrader Ministerium für Wissenschaft und Information. Zum ersten Mal hatte Milosevic so subtil das Netz manipulieren lassen. Ansonsten hatte er lieber Computer beschlagnahmen oder Journalisten festnehmen lassen.
Nach Auskunft von Slobodan Markovic hatte sich, der nationale Verwalter von ".yu" immer aus der schmutzigen Tagespolitik heraus gehalten. Wie üblich innerhalb der Internet-Community. Dort wird nach der Maxime "Selbstregierung des Internets, ohne Einmischung des Staates" verwaltet und koordiniert. Oberstes Ziel ist die Stabilität des Netzes.
Am 25. September kam dann das Team von .yu zusammen und beschloss, sich nicht dem Druck des Regimes zu beugen. In einem Akt des zivilen digitalen Ungehorsams versetzte es die Änderungen in den Name-Servern zurück in den Originalzustand.
Dass Diktatoren und Autokraten wie Milosevic versuchen, Medien zu kontrollieren und zu manipulieren, überrascht natürlich nicht, doch läutet der "webhijack" eine neue Dimension der Zensur ein und stellt zugleich einen populären Mythos paradigmatisch in Frage: Systematisch hat Milosevic, hier könnte man viele andere Namen stellvertretend nennen, die oppositionelle Presse in Serbien mundtot machen lassen. Das Internet blieb der serbischen Bevölkerung als einzige noch funktionierende Informationsquelle, die Unabhängigkeit wahren konnte. Was aber wenn das Netz manipuliert wird? Zwar heißt es, das Internet sei egalitär und freiheitsfördernd, entziehe sich der Zensur und beraube korrupten Regimes, Diktatoren und Medienkonglomeraten ihres Informationsmonopols. Grosso modo war man sich deshalb einig: Das Internet ist gut für die Demokratie. Oder vice versa: Das Internet ist der Feind der Diktatur.
Zum Symbol der demokratischen Macht des Netzes war deshalb der Radiosender B92 aus Belgrad geworden. Legendär sind seine digitalen journalistischen Coups. Er ließ keine Chance aus, dem "Monster von Belgrad" ein virtuelles Schnippchen zu schlagen: "Live-Webcasts" zeigten - unzensiert - gegen das Regime skandierende Demonstranten, oder über Internetleitungen herausgeschmuggelte Fernsehbilder wurden via Satelliten, an der Nase des Regimes vorbei, zurück in die Haushalte Serbiens gesendet. Vorbei an den "information-gatekeepern" des Regimes, die analoge Einbahn-Medien zu Propaganda-Instrumenten des Diktators machen. Ohne Zweifel hat die Online-Arena in Serbien Akteuren der Opposition die aktive Teilnahme und Positionierung im politischen Diskurs ermöglicht, obwohl die Öffentlichkeit der Massenmedien für sie nicht zugänglich war.
Das Netz ist kontrollierbar
Doch leider lernen auch Diktatoren dazu. Während die technische und intellektuelle Internet-Avantgarde immer über einen technologischen Wissensvorsprung verfügte, der ihr ermöglichte, sich Zensurversuchen von korrupten Regimes über das Netz zu entziehen, zeigt die subtile Manipulation in Serbien: Das Netz ist kontrollierbar. Milosevic hat den archimedischen Punkt gefunden. Über das Namenssystem im Netz kann es kontrolliert werden. Die Frage bleibt: Können wir das Netz davor schützen? Wird ICANN als Weltaufsichtsbehörde des Internetnamenssystems eingreifen?
Momentan wählen die europäischen Internetnutzer einen Direktor, der sie bei der ICANN repräsentieren soll. Wäre es seine Aufgabe, Zensurversuche des Netzes wenigstens publik zu machen? Hat er ein direktes Mandat der Internetnutzer, das ihn verpflichten würde, in solchen Fällen einzugreifen?