Eine Sphinx namens Ranta und das Racak-Massaker
Finnische Sachverständige kritisiert Klage gegen Milosevic - nachdem sie sich im Gerichtssaal gegenteilig geäußert hatte
Die finnische Gerichtsmedizinerin Helena Ranta spielte eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung des Jugoslawienkrieges im Frühjahr 1999. Sie war es, die im Auftrag der Europäischen Union die Autopsie der Leichen des so genannten Racak-Massakers vornahm. In dem gleichnamigen Kosovo-Dorf waren am Morgen des 16. Januar 1999 über vierzig albanische Leichen gefunden worden.
"Natürlich war die Episode in Racak entscheidend für die Bombardierungen", erklärte William Walker, damaliger Chef der OSZE-Mission im Kosovo. Auch für den deutschen Außenminister Joschka Fischer war Racak ein "Wendepunkt". Die "Washington Post" fasste zusammen, Racak habe "die Balkan-Politik des Westens in einer Weise geändert, wie Einzelereignisse dies selten tun."
Die Regierung in Belgrad hatte die Massaker-Version von Anfang an dementiert und behauptet, bei den Toten habe es sich um Kämpfer der Terrororganisation UCK gehandelt, die im Gefecht gefallen und aus weiterem Umkreis zusammengetragen worden seien.
Frau Ranta hatte nach Abschluss der Leichenuntersuchung öffentlich dieser Darstellung widersprochen und als gesichert dargestellt, dass alle Opfer Zivilisten gewesen seien. In Racak habe sich ein "crime against humanity", ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ereignet - eine Formulierung aus den Nürnberger Prozessen gegen die Nazi-Völkermörder. Damit hatte sie der NATO-Version vom scheußlichen serbischen Verbrechen wissenschaftliche Weihen verliehen. Eine Woche nach Rantas Erklärung, am 24. März 1999, begann der Krieg gegen Jugoslawien.
Vor kurzem war in einem Artikel in "Berliner Zeitung" zu lesen, dass Frau Ranta mittlerweile zu einer anderen Einschätzung gekommen ist. Sie wisse, dass damals "UCK-Kämpfer in der Nähe von Racak begraben wurden", und habe "schon seinerzeit Informationen erhalten, die beweisen, dass dort auch mehrere serbische Soldaten erschossen wurden
Ranta kritisierte, dass die Anklageschrift des Hager Tribunals gegen den jugoslawischen Ex-Präsidenten Milosevic im Fall Racak weitgehend der von US-Botschafter Walker überlieferten Tatversion folgt.
Wenn Botschafter Walker sagt, dass es sich in Racak um ein Massaker gehandelt habe, hat diese Aussage keinerlei rechtliche Wirkung. Ich habe schon damals erklärt, dass die OSZE-Beobachter sämtliche Schritte, die man bei der Sicherung eines Tatorts normalerweise erwartet, vergessen haben: die Isolierung des Geländes etwa, den Ausschluss unautorisierter Personen sowie das Einsammeln aller Beweisstücke.
Ranta forderte, zusätzlich zu den OSZE-Fotos vom Tatort auch die Bilder von zwei weiteren Fotografen zu veröffentlichen, die einige Stunden vor Ankunft der OSZE-Beobachter gemacht wurden. Deren Fotos zeigten, "dass mindestens einer der Körper nachträglich bewegt wurde - dieser Leichnam ist auf den OSZE-Bildern nicht zu sehen".
Für sie sei klar gewesen, dass in den Tagen vor Kriegsbeginn "eine ganze Reihe von Regierungen Interesse an einer Version der Ereignisse von Racak hatten, die allein die serbische Seite verantwortlich machten".
Diese Klarstellungen sind erfreulich und brechen einen wichtigen Baustein aus der westlichen Begründung des Krieges gegen Jugoslawien wie aus der aktuellen Haager Klage gegen Milosevic heraus. Bereits im Frühjahr 2001 hatte sich die Finnin entsprechend geäußert. Gegenüber dem ARD-Nachrichtenmagazin "Monitor" sagte sie:
Ich bin mir bewusst, dass man sagen könnte, die ganze Szene in diesem kleinen Tal sei gestellt gewesen. Ich bin mir dessen bewusst. Denn dies ist tatsächlich eine Möglichkeit. Diesen Schluss legen unsere ersten Untersuchungsergebnisse genauso nah, wie auch unsere späteren forensischen Untersuchungen, die wir im November 1999 direkt vor Ort vorgenommen haben. Und diese Schlussfolgerungen haben wir auch direkt an den Gerichtshof nach Den Haag weitergegeben.
Monitor, 8.2.2001
Eine Sphinx namens Ranta
Das Problem ist nur: Erstens hat sich die Medizinerin im Nachhinein von den gegenüber den "Monitor"-Kollegen gemachten Äußerungen distanziert und behauptet, sie seien zusammen geschnitten worden. Laut "Spiegel" hatte sie deswegen sogar eine Klage gegen den Film angedroht. Dazu kam es jedoch nie.
Vor allem aber: Bei ihrer Aussage im Haager Prozess gegen Slobodan Milosevic verzichtete sie vollkommen auf die erfreulichen Klarstellungen. Im Kreuzverhör am 12. März 2003 befragte der Angeklagte die Finnin, wie sie sich vor dem Krieg so sicher gewesen sein konnte, dass alle Opfer unschuldige Zivilisten gewesen seien. Dann präsentierte er der Zeugin ein Foto.
Es zeigt das Grab eines UCK-Kämpfers, der in Racak getötet worden war und das die UCK sichtbar mit ihrem Abzeichen ... und seinem Namen und dem Todestag, dem 15. Januar, versehen hat. Das ist also einer jener angeblichen Zivilisten
Milosevic
Daraufhin antwortete Ranta: "Ich habe das nicht gesehen ..."
Im gesamten mehrstündigen Kreuzverhör verteidigte sie ihre These von den zivilen Opfern in Racak, obwohl sie gleichzeitig einräumte, sie habe einen wichtigen Test nicht vorgenommen: Die Untersuchung auf Schmauchspuren an den Händen der Toten, mit dem sich hätte nachweisen lassen, ob sie vor ihrem Ableben selbst geschossen hatten.
Mehr noch: Bei der entscheidenden Pressekonferenz eine Woche vor dem Krieg hatte sie den serbischen und weißrussischen Gerichtsmedizinern vorgeworfen, sie hätten aufgrund eines veralteten Schmauchspurentests fälschlich Schießpulver an den Händen der meisten Leichen diagnostiziert. Mit dem hochmodernen finnischen Test hätten sich diese Partikel nicht nachweisen lassen. Mittlerweile hat sie aber klargestellt, dass dieser hochmoderne Test ausgerechnet nicht dort angewendet worden ist, wo er zur Identifikation der Opfer als Zivilisten hätte beitragen können: an den Händen der Toten.
Die Rolle der EU
Warum hatte sie dann aber vor dem Krieg den Eindruck erweckt, die Opfer seien zweifelsfrei Zivilisten, und gerade die finnischen Untersuchungen hätten das erwiesen? Waren ihre Aussagen zu den Schmauchspurentest damals nur missverständlich formuliert gewesen? Dazu passt nicht, dass Ranta diese Formulierung nicht im mündlichem Vortrag, sondern im schriftlichen Abschlußbericht der Leichenautopsie verwendet hat, und dass dieser Bericht sehr sorgfältig erarbeitet worden war. So sollte dessen Veröffentlichung zunächst bereits am 5. März 1999 erfolgen, war dann aber mehrfach verschoben worden.
Zu den Verzögerungen teilte die finnische Pathologin damals mit, "dass das deutsche Außenamt die Verantwortung dafür übernommen hat Und über die Phase unmittelbar vor der Pressekonferenz am 17. März 1999 sagte sie an anderer Stelle ein:
Es gab natürlich Druck von verschiedenen Seiten ... Grundsätzlich habe ich in der Racak-Zeit meine Instruktionen vom deutschen Außenministerium bekommen. Botschafter Christian Pauls hat mich kurz vor der Pressekonferenz (vom 17.3.1999, Anm. J.E.) instruiert ...
Interview in Jungle World, 18.8.1999)
So Rantas Worte kurz nach Kriegsende 1999. Ihre jüngsten spektakulären Äußerungen gegenüber der "Berliner Zeitung" ignorieren dagegen die entscheidende Rolle der deutschen Außenpolitik bei der Nicht-Aufklärung des Racak-Massakers und blenden weiterhin ihre eigene blamable Rolle damals aus. Statt dessen wird der Schwarze Peter vor allem den USA und deren Balkan-Emissär Walker weitergereicht.
Immer, wenn es darauf ankam, hat die finnische Sachverständige der Kriegspolitik gute Dienste erwiesen. Sowohl im Vorfeld des 24. März 1999 als auch im Haager Prozess ließ sie sich als Zeugin für die einseitige Schuldzuweisung an die Serben instrumentalisieren. Hartnäckige Journalisten wie die - Respekt, Respekt! - Kollegen der "Berliner Zeitung" konnten ihr zwar immer wieder Gegenteiliges entlocken, aber leider distanzierte sich Ranta immer dann von solchen Aussagen, wenn diese - wie im Frühjahr 2001 - für Aufsehen außerhalb eines kleinen Fachpublikums sorgten. Offensichtlich steht die Expertin unter erheblichem Druck und reagiert darauf, indem sie immer wieder zurückrudert und laviert und es sich auf jeden Fall nicht mit ihren Förderern im Auswärtigen Amt und der EU verderben will.
Man darf gespannt sein, wie sie sich verhalten würde, würden ihre jüngsten Sätze von Kriegskritikern anlässlich des fünften Jahrestags des Angriffs auf Jugoslawien im Bundestag zitiert werden. Aber vermutlich ist das ohnedies nicht zu erwarten: Die kritischen Abgeordneten sind verstummt, und eine parlamentarische Debatte zum Jahrestag wird schlicht nicht stattfinden.
Von Jürgen Elsässer erscheint im März "Kriegslügen. Vom Jugoslawienkrieg zum Milosevic-Prozeß" (Verlag Kai Homilius)