Eine Stadt baut sich nicht mit leichter Hand

Seite 2: Stadtentwicklung braucht mehr als Prestigebauten und Stararchitekten

Erstens: Eine gelingende Stadtentwicklung braucht mehr als Prestigebauten, iconic buildings und Stararchitekten. Sie darf die basalen Wohnbedürfnisse nicht ausblenden. Und sie muss sich auch mit den Nischen, Straßenecken, kleinen Parks und Plätze auseinandersetzen, die die eigentlichen Aufenthaltsorte im Alltag der Stadtbewohner sind.

Eine wichtige Figur des Romans ist der Architektur-Professor Reger, der für Franziska das Ideal eines Baumeisters verkörpert. Reger protegiert seine Studentin und unterstützt ihre berufliche Entwicklung, indem er sie an der Projektierung zum Wiederaufbau des Gewandhauses in Leipzig mitarbeiten lässt.

Aber hinter der väterlichen Sicherheit, die er Franziska bietet, verbirgt sich auch eine Inbesitznahme ihrer Person, der Versuch, sie "nach seinem Bilde" zu formen. Franziskas Entscheidung, nach Neustadt zu gehen und Erfahrungen mit dem Städtebau zu sammeln, ist auch eine Abnabelung: einerseits von diesem dominierenden Lehrer-Vater; andererseits aber auch von dessen Prestige-Projekten in der Innenstadt. Stattdessen wendet sie sich dem "Graubrot" des Berufes zu, den Bauaufgaben des alltäglich Notwendigen.

Mühevolle Detailarbeit

Zweitens: Architektur und Stadtentwicklung sind komplexe Themen. Sich damit zu beschäftigen, ist mühevolle Detailarbeit, und die individuellen Einwirkungsmöglichkeiten im Prozess sind oftmals begrenzt. Brigitte Reimann zeigt ihre Hauptfigur in der ganzen Widersprüchlichkeit des Arbeitsprozesses.

Das macht die Romanhandlung ja hinreichend deutlich. Sie spiegelt die Komplexität aber auch in und mit Erzählformen. So wechselt der Roman zwischen auktorialer Perspektive und Ich-Erzählung. Mitunter vollzieht sich der Übergang mitten im Satz.

Die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen

Eine weitere strukturelle Besonderheit stärkt den Charakter des Subjektiven, fast Intimen: Franziska adressiert ihren Lebensbericht an den "idealen Geliebten", wobei diese Wunsch-Projektion später mit der realen Figur verschmilzt.

Brigitte Reimann erzählt nicht im zeitlichen Kontinuum; Vor- und Rückgriffe wechseln mit Passagen, in denen der Zeitfluss stoppt und poetischer Reflexion Raum gegeben wird. So ähnlich verhält es sich ja auch mit der Stadt und ihrer Gestaltung.

Am Ende ihres "Probejahres" in Neustadt beschließt Franziska, dort zu bleiben und weiter zu suchen und zu kämpfen:

"Es muß (!), es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden."

Ja, diese Hoffnung sollten wir keinesfalls aufgeben. Aber wir müssen alle daran mitwirken, dass die Synthese gelingt.

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