Eine Welt aus Saiten

Stringtheorie für Einsteiger - Teil 1

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Vielleicht durften (mussten?) Sie in Ihrer Kindheit ein Streich- oder Zupftinstrument erlernen. Erinnern Sie sich an das Gefühl, wenn Sie auf eine schwingende Saite gefasst haben? Sie haben dabei gespürt, dass jede Schwingung der stählernen Saite Energie enthält. Selbst als absoluter Laie merken Sie schnell, dass jede einzelne Saite einen bestimmten "Standard-Modus" besitzt. Wenn sie daran zupfen, gibt sie einen Ton von sich. Dessen Höhe hängt unter anderem vom Material der Saite und von der Länge ab, mit der sie schwingt.

Gitarren- oder Geigenspiel wäre bedeutend leichter (die entstehende Musik aber auch viel langweiliger), wenn das schon alles wäre. Denn im Grunde würde schon eine einzige Saite genügen, um dem Instrument jeden Ton in beliebiger Lautstärke zu entlocken. Dass trotzdem vier, sechs oder acht Saiten gespannt sind, dient der Bequemlichkeit des Musikers. Außerdem lassen sich nur so mehrere Töne gleichzeitig anstimmen.

Der Physiker schreibt einer Saite nicht einen bestimmten Ton zu, sondern einen Schwingungsmodus. Zu jedem Schwingungsmodus gehört ein bestimmtes Maß an Energie. Eine Saite (englisch "string") ist also ein Objekt, das verschiedene Energiemengen aufnehmen beziehungsweise speichern kann. Jedem dieser Beträge lässt sich über die Energie-Masse-Äquivalenz eine Masse zuordnen.

Was sind Strings?

Ein simples Objekt, aus dem sich alle Materie des Universums konstruieren lässt? Das erschien Ende der 1960-er Jahre einigen Physikern interessant genug, darauf eine Theorie aufzubauen. Denn ein String hat gegenüber den Elementarteilchen (Quarks und Elektronen) des Standardmodells einen gewichtigen Vorteil: Während die Elementarteilchen punktförmig angenommen werden (also sich in 0 Dimensionen ausdehnen), ist ein String eindimensional. Es sollte doch wesentlich leichter sein, einen ja wohl eindeutig mehrdimensionalen Raum aus Bestandteilen mit je einer Dimension aufzuspannen als mit nulldimensionalen Punkten.

Schon die Anschauung zeigt, dass sich aus Linien jede geometrische Figur konstruieren lässt. Man braucht hingegen unendlich viele Punkte, um auch nur eine einen Zentimeter lange Strecke zu zeichnen (wenn Sie dazu einen realen Stift verwenden, schummeln Sie, denn dessen Punkte sind gar nicht punktförmig, sondern kleine Kreise - wie ein Blick durch die Lupe zeigt).

Dass noch nie jemand einen String gesehen hat, liegt an der Winzigkeit dieser Objekte. Ihre typische Länge liegt im Bereich der Planck-Länge bei rund 1,6 * 10-35 Metern. Kein von Menschenhand gebautes Instrument wird je in der Lage sein, Objekte dieser Größenordnung zu zeigen. Das ist aber nicht problematisch, solange die Theorie nur die beobachtbare Wirklichkeit perfekt vorhersagt.

Ein String allein genügt allerdings nicht, damit Materie entstehen kann - so wie die bloße Existenz einer Gitarrensaite nicht reicht, Musik erklingen zu lassen. Entscheidend sind die Vibrationen der Strings. Jedes dieser winzigen Objekte kann auf mehrere verschiedene Arten schwingen. Je stärker die Schwingung ist, desto mehr Energie steckt darin - und desto größer ist das Teilchen, das sich dadurch manifestiert. Das ist jedenfalls die Kurzversion dieser Erklärung.

Tatsächlich wissen wir ja vom Gitarrespiel, dass auch Länge und Spannung der Saite eine Rolle spielen. Eine straff gespannte Saite gibt einen anderen Ton ab, als wenn sie nur locker befestigt ist. Auch Strings besitzen eine Spannung, die mit dem Quadrat der Länge sinkt. Diese Spannung ist vergleichsweise riesig - das erwies sich als eines der ersten Probleme, vor das sich die Theoretiker gestellt sahen. Sie führt im Normalfall zu Energien, die etwa 1019 Größenordnungen über der eines Protons liegen. Strings mit so hohen Energien wurden bisher nicht entdeckt. Eventuell gab es sie in der Frühzeit des Universums.

Diese Energiebereiche liegen auch außerhalb dessen, was sich in absehbarer Zeit mit Teilchenbeschleunigern erreichen lassen wird. Deshalb ist ein direkter Nachweis von einzelnen Strings kaum zu erwarten. Es gibt allerdings auch Schwingungsmodi mit niedrigerer Energie. Je nach Ansatz ergeben sich daraus interessante Teilchen: Gravitonen, Photonen oder auch Tachyonen. Aber dazu später.

Arten von Strings

Wir werden später sehen, dass der Begriff "die Stringtheorie" unpassend ist. Vielmehr gibt es jede Menge Stringtheorien. Und nicht jede Art von String wird in jeder dieser Theorien benötigt. Die einfachsten Strings sind der Gitarrensaite noch am ähnlichsten, weil sie einen Anfang und ein Ende besitzen. Nur sind Anfang und Ende nirgends eingespannt, sondern schweben frei in der Raumzeit. Man nennt sie deshalb auch offene Strings.

Dementsprechend muss es auch geschlossene Strings geben, deren Ende zugleich ihr Anfang ist. Auch sie haben eine Länge, die ihrem Umfang entspricht. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal stellt bei Strings das Vorhandensein einer Orientierung dar. Einige Exemplare besitzen eine eingeprägte Richtung, die sie von ansonsten identischen Strings mit entgegengesetzter Richtung abhebt. Anderen fehlt dieses Merkmal komplett.

Wechselwirkungen von Strings

Strings sind keine unveränderbaren, immergleichen Gebilde. Führt man ihnen Energie zu, verändern sie sich. Ein String kann auf zwei Arten Energie aufnehmen: indem er seinen Schwingungsmodus verändert (Sie zupfen an der Saite, sodass sich die Lautstärke des Tons erhöht) oder indem er seine Länge ändert (Sie regulieren die Saitenlänge des Instruments). Eine Längenänderung muss dabei immer so erfolgen, dass die Spannung des Strings konstant bleibt.

Das genügt aber nicht. Um den Aufbau der Welt beschreiben zu können, müssen Strings auch interagieren können. Dazu haben sie unterschiedliche Möglichkeiten, je nachdem, ob sie offen oder geschlossen sind.

Wenn sich offene Strings an einem Endpunkt berühren, können sie sich vereinen. Es entsteht ein neuer String. Auch das Gegenteil ist möglich, das Aufbrechen eines Strings in zwei kleinere. Treffen beide Enden eines offenen Strings aufeinander, entsteht daraus ein geschlossener String. Geschlossene Strings können sich in zwei kleinere geschlossene Strings teilen. Es kann aber auch ein offener String einen geschlossenen String gebären - das muss man sich dann wie die Abschnürung einer Schlinge im Verlauf des offenen Strings vorstellen. In den Stringtheorien, die nur geschlossene Strings vorsehen, können sich diese nicht in offene Strings aufteilen.

Was heißt das praktisch? Jede Interaktion von Strings entspricht dem Entstehen neuer Teilchen. Wenn wir im Teilchenmodell etwa ein Elektron und sein Antiteilchen, das Positron, aufeinandertreffen lassen, entstehen daraus zwei Photonen und die beiden Ursprungsteilchen verschwinden. Im Stringmodell würden sich zwei Strings zu einem dritten vereinen, der sich danach wieder in zwei andere Strings aufteilt.

Die duale Resonanztheorie

Wie es in der Wissenschaftsgeschichte oft passiert, ist die Stringtheorie zu einem Zweck entstanden, der inzwischen längst anders gelöst ist. Der Physiker Gabriele Veneziano, 1968 am Genfer CERN tätig, versuchte, die am Beschleuniger gewonnenen Daten zur starken Kernkraft in eine Formel zu pressen. Die starke Kernkraft oder starke Wechselwirkung hält die Quarks in Neutronen, Protonen oder allgemein den Hadronen so fest zusammen, dass die beobachteten Elementarteilchen entstehen.

Was dabei übrig bleibt, die so genannte Restwechselwirkung, ist immer noch so stark, dass die sich eigentlich gegenseitig elektrisch abstoßenden, weil positiv geladenen Protonen in den Atomkernen trotzdem zusammenbleiben.

Wenn Physiker Messergebnisse über ein bisher nicht verstandenes Phänomen erklären wollen (das Konzept "Quark" kannte man auch noch nicht), versuchen sie es in der Regel mit allen möglichen mathematischen Ansätzen, selbst wenn sie keinen Schimmer davon haben, wie Theorie und Praxis zusammenpassen sollten. Falls sich dann zeigt, dass der verwendete Ansatz, die Formel, tatsächlich Messergebnisse vorhersagen kann, muss es ja einen Grund dafür geben - und der Moment kommt, wo sich dann eine Theorie formulieren lässt.

Veneziano war nun mit einer Formel erfolgreich, die sich als das Ergebnis der Resonanz zweier Schwingungen interpretieren lässt. Dieses "Duale-Resonanz-Modell" schien zunächst sehr gut zu den Messergebnissen zu passen - bis die Experimentalphysiker des CERN neue, genauere Daten lieferten. Zunächst versuchte man noch, die Formel durch das Hinzufügen weiterer Terme zu retten, aber irgendwann mussten Veneziano & Co. einsehen, dass das nicht in die richtige Richtung führt. Für die Erklärung der starken Wechselwirkung sorgte später dann die Quantenchromodynamik mit Hilfe der Einführung von Elementarteilchen mit Farbladung, den Quarks.

Trotzdem hatte das von Veneziano verwendete Modell anderen Physikern imponiert. Unabhängig voneinander machten 1969 gleich drei Kollegen eine spannende Entdeckung: Leonard Susskind, Holger Nielsen und Yoichiro Nambu zeigten, dass die Formeln eine spezielle Art von Elementarteilchen beschrieben, die am besten mit eindimensionalen Saiten vergleichbar waren.

Bosonische Stringtheorie

Das Ergebnis war 1970 eine allererste Version der Stringtheorie. Zwar zeigte sich schnell, dass sich damit nur Teilchen mit ganzzahligem Eigen-Drehimpuls (Spin) behandeln ließen. Diese Teilchen heißen Bosonen, dazu gehören unter anderem die Lichtteilchen (Photonen, Spin = 1) und das berühmte Higgs-Boson (Spin = 0), das für die Existenz der Masse zuständig sein soll. Das Universum ist keine reine Bosonen-Welt, also ist diese Version der Stringtheorie im Grunde unbrauchbar.

Trotzdem haben die Physiker die Theorie nicht gleich aufgegeben. Bosonen haben nämlich unter anderem eine überaus wichtige Funktion: Sie sind die Vermittler aller vier Naturkräfte. Das Photon etwa ist die physikalische Grundlage für die elektromagnetische Wechselwirkung. Die starke Kernkraft wird über Gluonen zwischen den Wechselwirkungspartnern, den Quarks, übertragen. Für die schwache Wechselwirkung (Grundlage der Kernfusion in der Sonne) sind W- und Z-Bosonen zuständig. Als Naturkraft fehlt da nur noch die Gravitation - und ausgerechnet für diese hatte man den Vermittler noch nicht gefunden.

Zwar ging man davon aus, dass es analog zu den analog zu den anderen drei Kräften ein "Graviton" geben müsse. Man hatte anhand theoretischer Überlegungen sogar schon Ruhemasse (gleich Null wie beim Photon) und Spin (gleich 2). Deshalb waren die Physiker begeistert, als sich 1974 herausstellte, dass manche Schwingungszustände geschlossener Strings zu Teilchen ohne Ruhemasse und mit einem Spin von 2 äquivalent sind. Dass sich das Graviton also als logische Folge einer gar nicht zu diesem Zweck aufgestellten Theorie ergibt, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Physiker damit auf einem guten Weg zur Vereinigung aller vier Naturkräfte sind.

Teil 2: Auf der Suche nach dem Superpartner

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