Eine Weltmacht, nicht ganz von dieser Welt

Nicht unbedingt ein Wunder, aber doch immer wieder erstaunlich: Amerika ist fasziniert von Sex und Crime - aus dem Alten Testament

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Aus einer aktuellen Meinungserhebung des TV-Senders ABCNews ergibt sich, dass Christen in den USA entgegen Aufklärung und Wissenschaft mehrheitlich an Bibel-Gleichnisse im Wortlaut glauben und Religion für Politik-Ersatz halten.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, wie schon der alte Glasperlenspieler Hermann Hesse wusste. Als Christ weiß man nun aus der Bibel, genauer gesagt der Genesis, dem Ersten Buch Mose, dass Gott am Anfang Himmel und Erde schuf. Einfach so. Es war wüst und leer und finster - nichts, wo man sich gerne aufhält. Und so zauberte Gott sich einfach mal durch Zuruf das Licht herbei, und es ging auch an (sprachgesteuerte Software?). Dafür ging allerdings schon einmal ein Tag drauf (ist Gott Bill Gates?). Für die fachmännische Trennung von Himmel und Erde brauchte Er dann noch einen Arbeitstag, für die Entstehung von Kontinenten und der Botanik einen dritten und so weiter, bis am Ende des sechsten Tages incl. Männlein und Weiblein die Laube einigermaßen fertig war.

Die Bibel weiß weiterhin zu berichten, dass Er sich am Siebten Tage dann ein wenig ausruhen musste. Das gefiel Ihm anscheinend so gut, dass Er seitdem weitgehend machen und gewähren läßt, was den modernen Menschen sowie Fauna und Flora bis in das heutige Fegefeuer aus Ozonloch, Küblbohlen, Dick Cheneys unkaputtbarem Herzschrittmacher, AIDS oder STollpe Collect gebracht hat. Schon zauberhaft, so eine Schöpfung. Aber wer hat Gott bei seinem Handwerk zugeschaut, um davon so genau berichten zu können, wenn Er doch im Anfang ganz allein auf weiter Flur war?? Da kommen einem dem zarten Alter entwachsenen Menschen vielleicht doch langsam gewisse Zweifel an derart gewagten Tatsachenberichten...

Ein Volk hegt jedoch ganz gewiss keine Zweifel, es steht felsenfest zur heiligen Schrift, denn es wohnt ja auch on top of the world, im Neuen Jerusalem, den Vereinigten Staaten von Amerika. Wie eine Meinungsumfrage des Fernsehsenders ABCNews im Februar belegt, glauben 61 Prozent von insgesamt 1011 repräsentativ befragten Amerikanern, dass die Schöpfung wortwörtlich so geschehen ist, wie es in der Genesis überliefert ist. 64 Prozent glauben an die rettende Passage, die Moses für die zu Fuß aus Ägypten fliehenden Juden durchs Rote Meer herbeigezaubert hat. Nicht ganz so unumstritten ist die Geschichte von Noahs Arche, aber immerhin noch 60 Prozent der Befragten zweifeln nicht an dem rustikalen Rettungsschiff für die von der Sintflut bedrohten Pärchen aller Spezies.

Christen sind aber nicht gleich Christen. Die evangelischen, besonders bibeltreuen Protestanten in den USA glauben nach der ABC-Umfrage zu 87 Prozent an die buchstäbliche Genesis und die Arche und sogar zu 91 Prozent an das Rote-Meer-Wunder. Die Katholiken fallen dagegen deutlich ab, kein Wunder, sie sind überwiegend ja auch nicht die echten originalen Anglosachsen-Amis, sondern Iren oder - Gott steh uns bei - gar zugereiste Latinos. Die Katholen schmökern vielleicht auch weniger in der Bibel, weil sie schließlich einem großen weltlichen Boss folgen, der sagt, was Sache ist. Jedenfalls glauben sie zu gerade einmal schlappen 51 Prozent an die Schöpfungsgeschichte, zu 50 Prozent an das Moses-Wunder und zu 44 Prozent an Noahs Arche.

Viel härter, also geradezu ein Ehren-Evangelist, ist da schon Fundi-Katholik "Mad Max" Mel Gibson. Sein am Aschermittwoch in den USA (in Europa am Gründonnerstag) anlaufender, umstrittener Jesus-Film The Passion of the Christ, erregt wegen antisemitisch interpretierbarer Inhalte bereits jetzt die Gemüter. Oldschool-Christianity sozusagen. Der alte abstruse Kollektiv-Vorwurf an die Juden, Christus umgebracht zu haben, scheint durch. Musste Er denn nicht sterben, um die Menschheit zu erlösen? Gibson erklärt in einem aktuellen ABC-Fernsehinterview nunmehr diplomatisch: "Wir alle haben Christus getötet". Dass der Vatikan dem Skandalfilm angeblich recht wohlwollend gegenübersteht, ist nicht sicher bekannt. Zumindest die US-Christen zeigen sich nicht sehr judenfeindlich.

Aber auch hier stehen die Evangelisten an der Spitze: 12 Prozent gaben nach der ABC-Umfrage den heutigen Juden die Schuld am Kreuzestod Jesu, 11 Prozent der gemäßigteren Protestanten und nur sechs Prozent der Gläubigen katholischer Konfession. So ist denn die Bibel tatsächlich Richtschnur amerikanischen Handelns? In einer am 30.12.2003 veröffentlichten Gallup-Umfrage bekannten 61 Prozent der Befragten, dass Religion alle oder zumindest die meisten heutigen Probleme lösen könne, obwohl 64 Prozent fürchten, dass der Glaube an Einfluss auf die Nation verliert. Da seien doch die Kreuzritter George Bush und John Ashcroft vor. Die Bush-Administration kämpft weiterhin verbissen an diversen Fronten gegen die Trennung von Staat und Kirche (vgl. Die Nation soll unter Gott einig bleiben) und betet gerne vor Kabinettssitzungen. Ungern dürfte Bush junior gesehen haben, falls er es denn gesehen hat, wie ein anderer großer Amerikaner die Bibel sieht. Ein Dialog aus der Simpsons-Folge Zwei böse Nachbarn, in der Bushs Eltern auftreten: Homer Simpson: "... und da hab ich mich gefragt: Was würde Gott in meiner Situation tun?" Bart: "Heuschrecken - die treiben ihn zum Wahnsinn". Homer: "Das hab' ich aus der Bibel - ein tolles Buch für Streiche."

Nun ja...Die alttestamentarische Bibel empfiehlt beispielsweise im Umgang mit Irrgläubigen: "Ihre Altäre sollt ihr [...] niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen" (2. Mose 34, 12 ff) und "sie fallen unter dem Schwert, ihre kleinen Kinder werden zerschmettert, die schwangeren Frauen werden aufgeschlitzt" (Hosea 14, 1). Klingt irgendwie nach Feldzug im Orient und überraschendem Museum-Räumungsverkauf. Und die Bespitzelung / Denunziation sogar von Angehörigen gemäß Homeland Security lässt sich rechtfertigen aus:

Wenn dein Bruder,[..], oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau, mit der du schläfst, oder dein Freund [..] dich heimlich verführen will, und sagt: Gehen wir, und dienen wir anderen Göttern [..] dann sollst du nicht nachgeben und nicht auf ihn hören. Du sollst kein Mitleid mit ihm aufsteigen lassen, keine Nachsicht für ihn kennen und die Sache nicht vertuschen. Sondern du sollst ihn anzeigen. Wenn er hingerichtet wird, sollst du als erster seine Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk. Du sollst ihn steinigen, und er soll sterben; denn er hat versucht, dich vom Herrn, deinem Gott, abzubringen, der dich aus Ägypten geführt hat.

(5. Mose 13, 7-12)

Laut einer Online-Meinungsumfrage des Harris-Instituts vom letzten Jahr unter 2200 Bürgern glauben u.a. 93 Prozent der US-Christen an Wunder und 93 Prozent an die jungfräuliche Geburt Jesu. Dies erklärt vielleicht, warum Bush die Präsidentenwahl in Florida gewinnen durfte.