Eine Zensur findet schlicht statt

Verbreitung von Gewalt und Pornographie im Comic?

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Am 5. April endete vor dem Landgericht Meiningen das über sechs Jahre dauernde "Meininger Zensur-Verfahren" (so die Beschuldigten). Die dritte Prozessrunde des bundesweit einmaligen Verfahrens gegen drei Geschäftsführer der Edition Kunst der Comics und des Alpha Comic Verlag hatte im März begonnen. Am Ende akzeptierte der Verlag einen Vergleich und die Geldbuße von 15.000,- DM. "Wir sind nicht vorbestraft, gleichwohl stehen wir vor den Trümmern unserer Arbeit. Mit Gerechtigkeit hat das alles wenig bis gar nichts zu tun", so die Verleger.

Nachdem man "bereits an die Grenzen der psychischen und physischen Kraft" angelangt war, so die Ex-Angeklagten auf ihrer eigens eingerichteten Homepage, habe man den "juristischen Kuhhandel" akzeptiert. Ihnen sei "ökonomisch in einem Maße geschadet" worden, dass ihr Unternehmen "kaum noch handlungsfähig" sei. Die Thüringer Allgemeine titelte: "Ende eines Feldzuges." Und dieser schien sogar im Verlags-Forum angelangt, denn wegen Postings von "braun eingefärbten christlichen Fundamentalisten, Moralayatollahs und sonstigen Lachturmfans" wurde es gesperrt.

Was war geschehen? Der Kleinverlag in Sonneberg war "Ende der 90er Jahre in die Schlagzeilen geraten, da die Polizei nicht nur eine rigide Haussuchung durchführte, sondern eine Anzeige des aktivistischen Vereins 'M.U.T.' (Menschen Umwelt Tiere) zu einer bundesweiten Razzia in Hunderten von Buchhandlungen führte," so Dr. phil. Roland Seim, Fachmann in Sachen Zensur vs. Populärkultur. Seim hat mit seinen umfangreichen Büchern einige Standardwerke zur Zensurgeschichte publiziert.

Aufgrund der Bemühungen des "M.U.T"-Chef Michael Brenner (Neckargemünd) hatte 1995 Oberstaatsanwalt Hönninger 40 Polizisten aus Meiningen nach Sonneberg beordert. Diese durchsuchten – "als gelte es, ein Terroristennest auszuheben", so die Verleger – Verlagsräume nebst angeschlossener Verlagsauslieferung Packwahn. Für den gelernten Erzieher Brenner fand Achim Schnurrer, Geschäftsführer des Verlages, seitdem kein gutes Wort mehr: Brenner sei "ein rechtsradikaler, religiöser Fanatiker."

Beschlagnahmt wurden bei der Aktion etwa 150 verschiedene Comicbücher, der Vorwurf lautete auf Verbreitung von pornographischen und Gewalt verherrlichenden Inhalten sowie Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz. Den Träger des Pulitzerpreis, Art Spiegelman, verdächtigte man sogar, Nazipropaganda zu betreiben. Das vorgefundene und bemängelte "Maus"-Plakat zeigt den Titel seines auf Deutsch bei Rowohlt erschienenen Buches. Spiegelmann schildert darin das Schicksal seines Vaters in Auschwitz. Das Plakat wurde 1990 vom Kulturamt Erlangen heraus gegeben. Aber das war noch nicht alles ...

Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Meiningen und des zuständigen Amtsgericht folgte im April '96 in 1200 Buchhandlungen die größte Beschlagnahmeaktion in Nachkriegsdeutschland. Eines der gesuchten Comics war Ralf Königs "Kondom des Grauens". Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zeigte sich empört über die "in keinem Verhältnis zum Anlass stehende Verunsicherung und soziale Diskriminierungen der betroffenen Buchhändler". Die Aktion wirke "dilettantisch, unsachgemäß und gesellschaftspolitisch gefährlich." Das Vorgehen zeige "deutlich Parallelen zu ähnlichen Aktionen der McCarthy-Ära der USA". Die "willkürlich" als Pornos eingestuften Titel, "sind auch nach Einschätzung der Bundesprüfstelle für Jugend gefährdende Schriften nicht Jugend gefährdend, allerdings gesellschaftskritisch und satirisch."

Nach dreijähriger Ermittlung richtete sich die Anklageschrift noch gegen elf Comictitel, das "Das Kondom des Grauens" gehörte nicht dazu. Die Verleger kritisierten, der Kläger verstehe nicht, dass es sich bei Heften wie "Schwermetall" und "U-Comix" um Erwachsenencomics handelt. Inkriminierte Titel, von denen einige international ausgezeichnet sind, würden von ihnen nach geltenden gesetzlichen Vorschriften ausgeliefert. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 2.500,- DM wegen dem als pornografisch eingestuften Comic "Alkovengeheimnisse" akzeptierten sie als "Quasi-Freispruch". Und schienen sich in dieser Auffassung einig mit der Oberstaatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wünschte. Die von ihr beantragte Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) endete damit, dass die Strafsache wegen Verfahrensmängel an das Landgericht Meiningen zur Neuverhandlung zurückgewiesen wurde.

Das Landgericht, so der BGH, habe die von der Staatsanwaltschaft geforderte Verurteilung wegen des Vorwurfs "Verbreitung kinderpornographischer Schriften" ("Alkovengeheimnisse") nicht ausreichend geprüft. Auch bestünden "durchgreifende rechtliche Bedenken", ob sich den Angeklagten "ein (möglicher) strafbarer Inhalt der Druckwerke und damit die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns auch ungeachtet der teilweise vorliegenden anwaltlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen hätte aufdrängen müssen." Unbedenklichkeitsbescheinigungen holen die Verleger für brisante Titel bei ihren Anwälten ein. Sie sollen Rechtssicherheit für Verlag, Vertrieb und Handel schaffen und festlegen, ob Titel allgemein erhältlich oder nur für Erwachsene im "Giftschrank" respektive unter der Ladentheke angeboten werden – oder von einem Verkauf ganz abgesehen werden sollte.

Wie schon in der ersten Prozessrunde berief der Oberstaatsanwalt als Gutachter im neu aufgerollten Verfahren Prof. Dr. Werner Glogauer. Der 74-Jährige ist für die taz ein "Indizierungsfanatiker", der Focus sah in dem "Medienpädagogen" in einem anderen Fall einen objektiven Fachmann. Jörn Oesterreich schrieb zu Glogauers Ansichten: "Die Seelen der Kinder werden durch die Medien vergiftet. Wird ihnen dieses Gift entzogen, so sind ihre Seelen wieder unschuldig. Deshalb rät Glogauer allen Eltern‚ 'den Konsum von Mediengewalt durch ihre Kinder einzuschränken (und) am besten völlig zu verhindern.'" Laut Thomas Kögel wertet Glogauer schon Kinderhörspiel-Kassetten als mediale Einstiegsdroge. Achim Schnurrer 1999: "Glogauer war lange Jahre wissenschaftlicher Beirat des 'Vereins für psychologische Menschenkenntnis', VPM. Sektenbeauftragte der Bundesländer schätzen diesen Verein für ebenso gefährlich wie Scientology ein."

Im März hat Schnurrer für Glogauer nur noch Galgenhumor übrig. Während der Gutachter des Verlags, Prof. Dr. Werner Faulstich (53), und Glogauer am 20. März vor Gericht erscheinen, kommt es zum "bisher größten Unterhaltungswert". Glogauer "berichtete über abscheuliche Kriminalfälle, die – seiner Meinung nach – nur geschehen konnten, weil die Täter durch 'die Medien' entsprechend zu ihren Untaten angeleitet worden wären. Erst auf mehrfaches Nachfragen seitens der Staatsanwaltschaft begann Professor Glogauer in die Aufzählung der bösen Medien auch 'die Comics' mit aufzunehmen." Dann "wollte er auf den Band 'Nagarya' von Riverstone eingehen. Hier wurde er aber vom Gericht unterbrochen, da dieser Band längst aus der Verhandlung rausgefallen ist."

Glogauer beanstandet in seinem Gutachten schon die Gewalthäufung in Heftchen wie Donald Duck, Asterix sowie Tom und Jerry. Das "Beschaffungs- und Nutzungsverhalten der Kinder und Jugendlichen" lässt für ihn den Schluss zu, "dass viele auch mit indizierten Comics in Berührung kommen." Faulstich widerspricht dem, da diese Comics "relativ teuer" und "selbst für Erwachsene nur unter Schwierigkeiten erhältlich" sind. Er hält "eine reale Kinder- und Jugendgefährdung" für "praktisch ausgeschlossen." Vielmehr kritisiert der 53-Jährige Glogauers Gutachten als "unwissenschaftlich, fachinkompetent, tendenziös, suggestiv, weltfremd, moralistisch. Es verfehlt somit seinen Problem- und Gegenstandsbereich," so der Professor für Medienwissenschaft im Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg und Leiter des Instituts für Angewandte Medienforschung (IfAM).

In ihrer letzten Presseerklärung schreiben die Verleger: "Nach sechsjährigem Machtmissbrauch durch die Staatsanwaltschaft kann nun davon ausgegangen werden, dass der Fall endlich erledigt ist. Es ist kein Freispruch, aber auch keine Verurteilung." Vernunft sei letztlich wohl "sogar bis in die Büros der Meininger Staatsanwaltschaft vorgedrungen." Die nunmehr Ex-Angeklagten mussten sich verpflichten, auf jegliche Schadensersatzforderungen gegen das Land Thüringen zu verzichten.

Im Internet sieht Glogauer übrigens auch eine Bedrohung. "Inzwischen werden in großer Zahl Bilder mit pornographischem Inhalt per Datenautobahn auf die heimischen Computer geholt. Kinder und Jugendliche neigen dazu, auf Datenautobahnen, z.B. Internet, zu 'surfen'", schweifte er in seinem Gutachten kurz ab. Inzwischen seien "zahlreiche Fälle bekannt, dass Kinder und Jugendliche auf Bilder mit gewalttätigen, sexuellen und pornographischen Inhalten stoßen (...). Mit Multimedia und Datenautobahn" sei eine neue Form dieses Angebots entstanden. Kinder stießen auch auf "Porno-CD-Roms in den vielen Computerzeitschriften, deren Inhalte vor allem auf junge Leute ausgerichtet sind." Sogar Vorschulkindern, so Glogauer, drohten deswegen schon "psychische Traumata".