Eine fingierte russische Cyber-Attacke und die Folgen

Seite 4: Hoffnungsschimmer

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Über die russische Reaktion soll hier nicht spekuliert werden. Wo eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wurde, gibt es oftmals kein Halten mehr. Es wäre nicht der erste Fall, dass Fake-News einen heißen Krieg verursachen, im historischen Rückblick war es eher die Regel.

Die fiktive Geschichte könnte auch eine positive Fortsetzung finden. Die verantwortlichen Leiter der LNG-Baustelle in Litauen hätten die Möglichkeit, an die Öffentlichkeit zu treten und die vermeintlichen Cyber-Angriffe als von westlichen Geheimdiensten in Umlauf gesetzte Lügen zu entlarven. Ebenfalls könnten verantwortungsbewusste Mitarbeiter des Geheimdienstes Informationen über die Vorbereitung und Durchführung der westlichen Propaganda-Attacke leaken.

Leider sind die Chancen angesichts der persönlichen Risiken der Betroffenen nicht sehr hoch. Whistleblower und aufrichtige Führungskräfte müssen damit rechnen, materiell und physisch bedroht sowie strafrechtlich verfolgt zu werden. Auch hilft die Staatsräson nach: Wer möchte schon seine Regierung der Lüge bezichtigen und damit den Ruf seines Heimatlands beschädigen.

Aufgedeckte Fake-News

Ein Beispiel dafür, dass falsche Beschuldigungen oftmals später aufgedeckt werden, bietet die vermeintliche Sichtung russischer U-Boote im Gefolge der Ukraine-Krise. Was tatsächlich geschah, war offiziellen schwedischer Stellen fast ein Jahr lang bekannt, ehe die Information in die Öffentlichkeit gebracht wurde. In Regierungskreisen bestand offenbar Gefallen an einem fortgesetzten Russland-Bashing. Je länger es andauerte, desto stärker konnte sich im Bewusstsein der Bürger das Szenarium einer Bedrohung der Ostsee-Anrainerstaaten verfestigen.

Im einer Reportage des schwedischen Radios wird das Platzen der U-Boot-Lüge dokumentiert. Die intensive Jagd nach russischen U-Booten begann im Oktober 2014 und beschäftigte ausgiebig die nationalen und ausländischen Medien. Am 14.11.2014 präsentierte die Armee auf einer Pressekonferenz Erkenntnisse über das Eindringen eines fremden Objekts in das schwedische Schärengebiet. Die Involvierung Russlands wurde damit begründet, dass verschlüsselte Sendungen auf einer von russischen Einheiten benutzten Notfrequenz aufgezeichnet wurden. Laut Wikipedia wurde später eingeräumt, "Details bewusst falsch gemeldet zu haben, mit der Begründung, ausländische Dienste über die Erkenntnisse der schwedischen Marine im Unklaren zu lassen."

Nach Angaben des schwedischen Radios führte das Militär als wichtigsten Beleg das Ergebnis von Sensoren an, die das Objekt als russisches U-Boot auswiesen. Erst fast ein Jahr später, im September 2015 wurde öffentlich bekannt gegeben, dass das wahrgenommene Geräusch von einer schwedischen Quelle stammt. Das Militär entschuldigte sich u.a. damit, durch Zeugenaussagen auf eine falsche Fährte gelenkt worden zu sein. Die Bekanntgabe habe sich deshalb hingezogen, weil sowohl Regierung als auch Streitkräfte vermeiden wollten, in der Öffentlichkeit als unumstößliche Fakten präsentierte Angaben widerrufen zu müssen. Als im Frühjahr 2015 ein weiteres Objekt gesichtet wurde, das als deutsches identifiziert wurde, dauerte die Bekanntgabe fast ebenso lange.

Die U-Boot-Story erwies sich letztlich als Fake, das dem Zweck diente, ein aggressives Verhalten Russlands zu begründen. Die Reaktion von Medien und Politikern zeigte, dass es dem Westen wie gegenwärtig im Skripal-Fall nicht um Wahrheitssuche und Fairness ging, sondern um eine Eskalation des Konflikts. Das Ziel ist eine Isolierung und wirtschaftliche Schwächung Russlands, das als Bedrohung für die westliche Hegemonie erkannt wird. Würden die wiederholten Behauptungen einer Unberechenbarkeit der russischen Führung zutreffen, wäre der Westen gut beraten, vorsichtiger zu agieren. Vermutlich ist es gerade die Erfahrung, dass Russland kühl und rational reagiert, die westliche Staatslenker zu höherer Konfliktbereitschaft animiert.