"Eine gute Zeitung erkennt man an ihren Lesern"
Zur aktuellen Imagekampagne der Süddeutschen Zeitung
In ihrer aktuellen Imagekampagne lobt die Süddeutsche Zeitung ihre Leserschaft und sich unter dem Motto "Eine gute Zeitung erkennt man an ihren Lesern". Die partizipierenden Leser ihres Online-Angebots scheinen der Zeitung dagegen eher ein Ärgernis zu sein, wie insbesondere die Schließung der Kommentarfunktion auf süddeutsche.de verdeutlicht.
Zweifellos war es um die Beziehung zwischen Leitmedien und ihrem Publikum schon mal besser bestellt als derzeit. Dies legen jedenfalls die seit Monaten zu beobachtenden lautstarken Unmutsbekundungen beider Seiten nahe. Da sind auf der einen Seite die Leser, die, angefacht durch die Ukraine-Berichterstattung, in den Kommentarforen der Online-Ausgaben der großen Medien ihrem Ärger über einen vermeintlich manipulativen und ideologisch geprägten Journalismus Ausdruck verschaffen. Die im Fokus stehenden Medien antworten auf diese bisweilen recht brachiale Kritik wiederum mit zahlreichen Artikeln, die ihren Lesern und Leserinnen eine schlechte Kinderstube und den Hang zum allzu Verschwörungstheoretischen attestieren. Angesichts dieser kriselnden Beziehung fühlt sich gar manch professoraler Vertreter dazu berufen, der bedrängten journalistischen Zunft zur Seite zu springen.
Eine gänzlich andere Stoßrichtung hat die derzeit laufende Imagekampagne der Süddeutschen Zeitung (SZ), die die Einführung eines neuen digitalen Abomodells mit "Bezahlschranke" begleitet, das seit Dienstag aktiv ist. In der von der Werbeagentur Wunderhaus kreierten Kampagne stellt die Zeitung ihre Leserschaft nämlich geradezu auf ein Podest, wie der Claim "Eine gute Zeitung erkennt man an ihren Lesern" deutlich macht: Die Leser werden zum entscheidenden Indikator für einen guten Journalismus gemacht.
Kernstück der Kampagne sind acht Werbemotive, die in Printmedien, Online und auf Außenwerbeflächen zu sehen sind. Die Motive porträtieren auserlesene Leser und Leserinnen der SZ, die ihre Ansprüche an eine gute Zeitung artikulieren. Im Einklang mit dem Claim stehen die Leser auch visuell ganz im Mittelpunkt. Während diese jeweils fokussiert und klar konturiert erkennbar sind, ist die sie umgebende Umwelt durch Bewegungsunschärfe gekennzeichnet. Botschaft: Die SZ bietet Halt und Orientierung in einer komplexen, flüchtigen und beschleunigten Welt.
Die porträtierten Figuren gehören unterschiedlichen Generationen an und sind, nicht unüblich für Imagekampagnen dieser Art, merklich als soziale "Typen" inszeniert. Als Vertreter der jungen Generation finden sich der Student im stylisch-urbanen Outfit, der im Hörsaal auf sein MacBook schaut, und die junge Frau, die mit einem Tablet auf einem Chippendale-Sofa sitzt. Dazu gesellen sich die moderne Geschäftsfrau, die mit MacBook und Milchkaffee in einem schicken Café sitzt, und der unkonventionelle Mann mittleren Alters, der in stylishen Jackett und Jeans mithilfe von Rennrad und SZ dynamisch durch den urbanen Dschungel navigiert. Schließlich darf natürlich auch nicht der "diskursliebende" silberhaarige Intellektuelle fehlen, der in Gestalt des Fotografen und Malers Joseph Gallus Rittenberg in einem Café bedeutungsschwer von seiner Zeitung aufblickt.
Die Message, die die Motive vermitteln wollen, ist offensichtlich: Der typische SZ-Leser gehört vornehmlich der prestigeträchtigen Klasse der urbanen, flexiblen und mobilen "Creative Professionals" an. Es ist also vor allem die kulturelle Elite mit besonders hohem kulturellem Kapital, die die SZ liest. Mit Blick auf den zitierten Claim ist dieses Leserlob zugleich Selbstlob: Eine Zeitung, die solche Leser hat, kann nicht gar so schlecht sein.
Fülle von "Problemlesern"
An dieser Stelle lohnt es sich, die präsentierte Leserschaft aus der Kampagne mit der Sichtweise der SZ auf die Leserschaft ihres Online-Angebots zu vergleichen, die gegensätzlicher nicht sein könnte. Im Kontrast zur lobpreisenden Leserkonstruktion in der Kampagne zeichnet sich diese Sichtweise nämlich durch ein recht harsches Leser-Bashing aus.
Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist ein Artikel des SZ-Autors Dirk von Gehlen, dem sich angesichts der medienkritischen Leserkommentare inmitten der (medialen) Ukraine-Krise im Sommer 2014 ein "Abgrund" offenbart:
Es ist ein Abgrund, in den deutsche Medien im Sommer 2014 blicken, wenn sie auf ihre Leserkommentare schauen: antisemitische Äußerungen in öffentlich-rechtlichen Call-in-Sendungen, rassistische Reaktionen auf der Facebook-Seite der Bild-Zeitung nach deren "Nie wieder Judenhass"-Aufruf und üble Beschimpfungen als Reaktion auf den Putin-Titel vom Spiegel. Angetrieben durch die Meinungsgroßlagen Gaza-Israel und Russland-Ukraine wird die Beteiligung der Leser für Redaktionen zu einem Problem. Die Wirrheit der Vielen zeigt sich in rassistischen, antisemitischen oder schlicht geschmacklosen Wortmeldungen vor allem im Netz.
Die diagnostizierte miese Debattenkultur in den Foren resultiert der SZ zufolge jedoch nicht nur aus dieser kollektiven Verwirrtheit des Geistes, sondern ist offenbar auch das Ergebnis einer handfesten Konspiration einer Leserschaft ganz anderer Natur. Nach investigativem Durchforsten von "138 Megabyte Daten" kam die SZ im Sommer letzten Jahres zur Überzeugung, dass es sich bei vielen der Störenfriede in den Kommentarforen wie bei süddeutsche.de um "Putins Trolle" handelte, die im Auftrag des Kremls Foren und soziale Netzwerke überfluteten, um so die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen.
Diese Fülle von "Problemlesern" war wohl auch der maßgebliche Grund für die Entscheidung der SZ, im Januar dieses Jahres die Kommentarfunktion unter ihren Artikeln auf süddeutsche.de komplett abzuschalten. Stattdessen gibt es nun ein separates Forum, in dem die Leser täglich zu zwei bis drei von den SZ-Moderatoren vorgegebenen Diskussionsthemen Stellung beziehen können. Damit verbunden ist eine noch stärkere Moderation der Beiträge. Erklärtes Ziel ist es, wie der bereits zitierte Dirk von Gehlen zum Ausdruck bringt, die Leserdiskussion dadurch "in kluge Bahnen" zu lenken und den besonnenen Stimmen Geltung zu verschaffen: "Sinnloses Rumbrüllen unter Artikeln nützt schließlich niemandem."
Viel deutlicher als mit diesem Konzept des "Betreuten Schreibens", wie es der Freitag treffend fasst, könnte man die intellektuelle Geringschätzung eines Großteils der Leser nicht zum Ausdruck bringen, wie sie sich auch in ganz ähnlicher Form bei den qualitätsjournalistischen Kollegen aus FAZ, Welt, Spiegel und Co. findet. Im Gegensatz zur ästhetischen Leserstilisierung der Kampagne erscheint die Leserschaft in dieser Perspektive als dumpfe, verwirrte und emotionsgetriebene Masse.
Mit Blick auf die erörterte Imagekampagne dokumentiert sich so mal wieder eindrücklich die Kluft, die so häufig zwischen dem schönen Schein der Werbewelt und der schnöden Realität besteht. Bezöge man jedenfalls den Claim auf die faktischen Leserkonstruktionen der SZ, so wäre es um die Qualität des Blattes nicht allzuweit bestellt.