Eine klimatische Zeitbombe im hohen Norden
Methanhydrat ist nicht die einzige Gefahrenquelle für plötzliche Gasfreisetzungen
Russische und US-amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Permafrostböden im Zuge der globalen Erwärmung ihr Treibhausgasreservoir rasch entleeren und somit zu einer bedenklichen Rückkoppelung führen könnten. Ein Pleistozän-Park soll Abhilfe schaffen.
Schon seit langem werfen Klimaforscher besorgte Blicke auf die die großen Gebiete ewigen Frostes in Sibirien und im hohen Norden Amerikas. Was wird passieren, wenn das globale Klima sich erwärmt und der Permafrost auftaut, der Boden der Arktis, der an manchen Stellen bis in mehrere hundert Meter Tiefe gefroren ist. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass der aufgetaute Boden die Treibhausgase Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4) freisetzen wird. Doch wieviel?
Die Frage ist alles andere als akademisch, denn die freigesetzten Gase könnten ihrerseits den Treibhauseffekt verstärken und somit den Prozess des Auftauens beschleunigen. Jetzt haben sich russische und US-amerikanische Wissenschaftler dran gemacht, einmal genauer nachzurechnen und zu messen, welches Potenzial sich im gefrorenen Boden verbirgt. Ihre Ergebnisse haben sie letzte Woche im US-amerikanischen Fachblatt "Science" veröffentlicht.
Herausgekommen ist Erstaunliches: Im Permafrost ist mehr Kohlenstoff gespeichert als in den tropischen Regenwäldern. Besonders in den Überresten der ehemaligen Mammut-Steppe, die in Sibirien tiefgefroren unter der offenen Tundra und der aus Nadelwäldern (weiter im Süden auch Birken) bestehenden Taiga überdauert haben, sind rund 500 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C, eine Gigatonne entspricht einer Milliarde Tonnen) gespeichert. In anderen Teilen des Permafrost sind weitere 400 Gt Kohlenstoff gespeichert, schätzen die Autoren.
Zum Vergleich: Vor Beginn der Industrialisierung betrug der Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre (hauptsächlich in Form von CO2) etwa 540 Gt, derzeit ist dieser Wert auf 730 Gt agestiegen. Jährlich werden aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas etwa 6,5 Gt C emittiert, wovon im mehrjährigen Mittel etwa die Hälfte in der Atmosphäre verbleibt. Der Rest wird von den Ökosystemen und vor allem von den Ozeanen aufgenommen. Wir haben übrigens bisher keine Kenntnis darüber, wie lange uns diese abmildernden Puffer noch erhalten bleiben, und ob sie nicht vielleicht durch den Klimawandel gefährdet werden.
Aber zurück zum Permafrost. Als Skandinavien und Kanada von einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt waren, hatten große Herden von Wollmammuts und -nashörnern die Steppen Eurasiens beherrscht. Der Boden dieser Mammut-Steppe bestand aus Löß oder Yedoma, wie er in Sibirien genannt wird. Dabei handelt es sich um feinen Staub, der in dem kalt-trockenen Klima, das während der Eiszeiten in weiten Teilen Europas, Nordamerikas und Nordasiens herrschte, verweht wurde. In den ausgedehnten Kalt-Steppen lagerte er Schicht um Schicht ab und begrub unter sich Pflanzen und Kadaver. Entsprechend sind die durch den Permafrost in Nordsibirien und Zentral-Alaska konservierten Lößböden im Schnitt 25 Meter tief und enthalten große Mengen gefrorener Graswurzeln, Knochen und sonstiger Überreste von Tieren.
Mehrere Dutzend tiefgefrorener Mammuts sind in diesen Böden in den letzten zwei Jahrhunderten in Sibirien gefunden und wissenschaftlich untersucht worden. (Dort, wo sich die Permafrostböden nach dem Ende der Eiszeit vor rund 14.000 Jahren zurückgezogen haben, sind diese Pflanzen- und Tierreste längst von Mikroben zersetzt worden.) Aufgrund von Stichproben kommen die Autoren daher zu dem Ergebnis, dass der gefrorene Lößboden durchschnittlich 2,6 Prozent Kohlenstoff enthält. Das wäre mehr als das Zehnfache dessen, was normalerweise in tiefen, mineralischen Böden vorgefunden wird.
Die Frage ist nun, wie schnell das tote organische Material von Bakterien zersetzt und somit der Kohlenstoff in Form der Treibhausgase CO2 und CH4 an die Atmosphäre abgegeben wird, wenn der Boden auftaut. In vielen Gegenden Sibiriens, Alaskas und Kanadas wird bereits seit einigen Jahren beobachtet, wie sich die Permafrostlinie nach Norden zurückzieht.
Um das zu untersuchen, haben die Autoren Bodenproben aufgetaut und dabei die Ausgasung gemessen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Zerfall sehr rasch vonstatten gehen wird. Pro Kubikmeter Boden wurden in der Anfangszeit zehn bis 40 Gramm Kohlenstoff (g C) freigesetzt. Danach verlangsamte sich die Treibhausgasproduktion auf 0,5 bis 5 g C. Hochgerechnet auf den gesamten gefrorenen bedeutet das in der Anfangszeit 91 bis 365 Gt C pro Jahr.
Nun wird nicht der ganze Boden schlagartig auftauen, aber der Vergleich mit den jährlichen Emissionen aus fossilen Energieträgen in Höhe von rund 6,5 Gt C zeigt, dass im hohen Norden eine klimatische Zeitbombe schlummert. Der Klimawandel könnte eine positive Rückkoppelung in Gang setzen: Höhere Temperaturen lassen den Permafrostboden tauen, Mikroben zersetzen das organische Material und produzieren dabei CO2 und CH4, die wiederum den Treibhauseffekt verstärken und die globale Temperatur weiter steigen lassen.
Pleistozän-Park
Sergey A. Zimov, einer der Autoren des Science-Artikels leitet in Cherskii im Norden Sibiriens in der Republik Jakutien eine Forschungsstation, auf der auch die Versuche mit dem aufgetauten Boden durchgeführt wurden. Seit 26 Jahren lebt er bereits dort oben unweit der Küste des Polarmeeres. Schon bald nachdem er sein Studium in Wladiwostok abgeschlossen und geholfen hatte, die Station in Cherskii aufzubauen, kam ihm die Idee zur Errichtung eines Pleistozän-Parks, in dem das Ökosystem der Mammut-Steppe wiedererstehen könnte. Das Pleistozän ist jenes Erdzeitalter, das vor etwa 11.000 Jahren zu Ende ging, in dem unser Planet eine Abfolge von Eiszeiten erlebte.
Nachdem am Ende des Pleistozäns die Eiskappen in Nordamerika und Skandinavien vollends verschwunden waren, änderten sich auch Tier- und Pflanzenwelt radikal. Der Permafrostboden, der in Europa bis fast ans Mittelmeer und in Nordamerika und Asien noch weiter südlich reichte, zog sich in den Norden zurück. Die Niederschläge nahmen zu. Von Süden her wurde die einst kalte, trockene Steppe von Wald erobert. Im Norden wurde das offene, trockene Grasland von einer moosigen, feuchten Tundra verdrängt. Wollnashörner, Höhlenbären, Riesenhirsch und Mammuts starben aus, zuerst in Europa, zuletzt vor etwa 10.000 Jahren in Sibirien. Eine kleine Unterart des Mammuts hielt sich auf der Wrangelinsel im fernen Nordosten Sibiriens bis vor 4.000 Jahren.
Zimovs These: Nicht das Verschwinden der Mammut-Steppe in Folge der Klimaveränderungen hat den großen eiszeitlichen Grasfressern den Garaus gemacht, sondern der moderne Mensch. Der Autor kann darauf verweisen, dass die eiszeitlichen Ökosysteme hoch im Norden frühere Warmzeiten überlebt hatten, wie etwa das Eem vor rund 130.000 Jahren, das noch wärmer als das heutige Holozän war. Aber zu jener Zeit waren die Wälder und Steppen des Nordens noch nicht durch den Homo Sapiens besiedelt. Der ist in Westeuropa aus der Gegend des heutigen Palästinas kommend erst vor rund 40.000 Jahren aufgekreuzt und hat schnell eine reiche Jägerkultur entwickelt. Den Mammuts und ihren tierischen Zeitgenossen wurde das 30.000 Jahre später zum Verhängnis, als sie mit dem Ende der Eiszeit und dem Vorrücken der Wälder unter enormen Anpassungsdruck gerieten.
Mit den Grasfressern verschwanden die Reste der Mammut-Steppe auch in jenen Gegenden im hohen Norden Sibiriens, wo diese nach Zimovs Ansicht eigentlich hätte überdauern können. Mit 200 bis 250 Millimeter Niederschlag im Jahr und Januartemperaturen zwischen -35 und -25°C sind im Nordosten Sibiriens die klimatischen Rahmenbedingungen nicht viel anders als seinerzeit in weiten Teilen Eurasiens und Nordamerikas. Tundra und Taiga seien nur wegen ihrer speziellen Fauna feuchter als die einstige Mammut-Steppe, so Zimov. Das Grasland würde aufgrund der Transpiration des Grases und der langen Wurzeln der Gräser weit mehr Feuchtigkeit an die Luft abgeben, als dies heute in den vermoosten Landschaften geschehe.
Doch wie konnte sich diese eintönige und genügsame Vegetation durchsetzen? Im Grunde verhält sich die Steppe sich wie eine ganz normale Wiese. Wenn sie nicht gemäht oder abgegrast wird, bedeckt altes, abgestorbenes Gras nach und nach den Boden. In der Folge können sich Moos und Büsche ausbreiten, insbesondere dort, wo es kühl und feucht ist. Das Gras geht zurück, die Artenvielfalt nimmt nach wenigen Jahren rasch ab. Dort hingegen, wo das Land intensiv beweidet wird, fällt weniger absterbendes Gras an, das dem nachwachsenden das Licht nehmen würde und das gegen mechanische Störungen sehr empfindliche Moos wird durch die Hufe der grasenden Tiere klein gehalten.
Wo zudem die Niederschläge nicht allzu stark sind, wie in Sibirien, dem mittleren Westen der USA oder im Süden der Ukraine und den angrenzenden Gebieten Russlands und Kasachstans, hat es auch der Wald schwer, sich durchzusetzen. Das Land bleibt offen und wird, sofern der Mensch nicht eingreift, von großen Herden beherrscht. Man denke nur an die riesigen Bison-Herden, die Nordamerika durchzogen, bevor sie von den europäischen Einwanderern abgeschossen wurden.
Zimov verweist darauf, dass die Grasland-Ökosysteme biologisch wesentlich produktiver als Tundra und Taiga sind. Nicht nur ist der Artenreichtum größer. Aufgrund der hohen Individuenzahl der Herden binden sie wesentlich mehr Kohlenstoff. Das könnte entscheidend werden, wenn der Permafrost weiter auftaut. Dieser Gedanke war denn auch neben dem Wunsch, die einstige Artenvielfalt wieder herzustellen, einer der Paten, die an der Wiege des Pleistozän-Parks standen.
In der Nähe Cherskiis nimmt der Park inzwischen langsam Gestalt an. Auf einem eingezäunten Grasland-Überrest werden die Reste der eiszeitlichen Tierwelt wie Elche, jakutische Wildpferde und Moschusochsen konzentriert und vom Jagddruck befreit, der nach Zimovs Angaben immer noch hoch ist. Mit den Arbeiten wurde gerade erst begonnen, schrieb der Autor im letzten Jahr. Wenn sich die Herden nach und nach vergrößern, soll das Land des Parks ausgedehnt werden. Schließlich denkt man neben den noch vorkommenden Raubtieren wie Wolf, Fuchs und Luchs auch daran, den sibirischen Tiger wieder heimisch zu machen. Kleinere Tiger-Populationen haben im Südosten Sibiriens in der Amur-Region überlebt.
Ist das Projekt erfolgreich, so wäre es nicht nur ein interessantes ökologisches Experiment, an dem die Wechselwirkung zwischen Flora, Fauna und Mensch studiert werden könnten. Zimov erhofft sich auch einen Beitrag gegen die globale Erwärmung. Zum einen könnte das Ökosystem, wenn es denn im großen Maßstab ausgedehnt werden kann, einen nicht unwesentlichen Tel des Kohlenstoffs binden, der derzeit im Permafrost gespeichert ist. Andernfalls würde dieser beim Auftauen in die Atmosphäre gelangen und den Treibhauseffekt verstärken. Die Herden, so Zimov würden zudem Im Winter größere Teile der meist dünnen Schneedecke beseitigen und den Boden kälteren Temperaturen aussetzen. Das Auftauen des Permafrosts würde somit verzögert. Außerdem sei die Reflektivität des Graslandes höher als jenes der bemoosten Tundra. Im Sommer würde also mehr der einfallenden Sonnenstrahlung direkt in den Weltraum zurückgeworfen.