"Einladung zur Zensur"
Human Rights Watch kritisiert das deutsche NetzDG
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt. Meist finden sie in Drittweltländern statt - es gibt sie aber auch in Deutschland. Wieder. Mit Heiko Maas' und Angela Merkels Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dem NetzDG, das dem Urteil der Menschenrechtsorganisation nach "zur Zensur einlädt".
Damit ist es Human Rights Watch zufolge ein "gefährlicher Präzedenzfall für andere Regierungen, die sich umsehen, wie sie Unternehmen dazu zwingen können, Online-Äußerungen im Auftrag der Regierung zu zensieren." In diesem Zusammenhang wird unter anderem auf Russland, Venezuela, Kenia und Rodrigo Dutertes Philippinen verwiesen, wo man dem deutschen Gesetz unter expliziter Nennung des Vorbilds nacheifert. In Venezuela verabschiedete das von Präsident Maduro eingesetzte Gegenparlament im November ein entsprechendes Gesetz (vgl. UN-Hochkommissar wirft Venezuela "systematische Politik der Unterdrückung kritischer Meinungsäußerungen" vor), in Russland soll dieses Jahr eines in Kraft treten (vgl. Russland kopiert deutsches Netzwerkdurchsetzungsgesetz).
"Fundamental fehlerhaft"
Auf "Hate Speech" und illegale Inhalte sei das NetzDG "die falsche Antwort" und sollte deshalb "umgehend zurückgenommen" werden - so HRW gestern in seiner internationalen Stellungnahme dazu. HRW-Deutschlanddirektor Wenzel Michalski nach ist das Gesetz "fundamental fehlerhaft", "vage" und mit seinen 22 Tatbeständen viel "zu breit gefasst", weshalb es Privatunternehmen, die die extrem hohen Strafen in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro vermeiden wollen, "in übereifrige Zensoren verwandelt" und Nutzern keine angemessenen Möglichkeiten einräumt, sich dagegen zu wehren. Dabei werden sie HRW nach oft gute Gründe haben, sich zu wehren, weil das NetzDG dafür sorgt, dass juristische Laien in Minuten oder Sekunden Entscheidungen fällen, für die ordentliche Gerichte Monate benötigen.
Aufsehenerregende Accountwegnahmen
Dem deutschen Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel gelang es trotz dieser fehlenden Möglichkeiten die Sperren der Accounts von Einzelfallinfos und Markus Hibbeler zu beenden. Andere aufsehenerregende Accountwegnahmen waren die des Patriarchators auf Twitter (ein Account, der sich zwar gerne über Vierte-Welle-Feministinnen lustig machte, von dem aber sowohl seinen Verteidigern als auch seinen Kritikern nach keine Äußerung bekannt ist, die nicht vom Artikel fünf des Grundgesetzes gedeckt wäre) und die von Ronai Chaker, der ehemals in der FDP aktiven "Stimme der Jesiden", wie wegen Posts zu afghanischen Sprichwörtern gelöscht wurde. Ihr half der bayerische AfD-Landesvorsitzende Martin Sichert öffentlichkeitswirksam bei der Wiederherstellung der Profile. Die syrischstämmige Marburgerin bedankte sich dafür mit einem Frauenhausprojekt in Nürnberg und einem Lob der AfD-Reden in Osterhofen, wo Sichert und Meuthen einen anderen Ton anschlugen als Björn Höcke und André Poggenburg in Sachsen (vgl. Politischer Aschermittwoch 2018: die Opposition im Bundestag).
Auch aus dem Europarat, der UN und von Reporter ohne Grenzen kam Kritik
Der Tadel von Human Rights Watch ist nicht der erste, den sich die Bundesregierung von Vertretern internationaler Organisationen wegen des Maas-Gesetzes anhören muss: Bereits im letzten Jahr hatte Thorbjørn Jaglan, der Generalsekretär des Europarates, vor Zensur und einem "falschen Signal für andere Staaten" gewarnt - und David Kaye, der Meinungsfreiheits-Sonderbeauftrage der Vereinten Nationen, äußerte massive Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit dem UNO-Pakt II (vgl. Netzwerkdurchsetzungsgesetz: UN-Beauftragter sieht Anonymität gefährdet).
Bei der Anhörung zum Gesetzentwurf im Rechtsausschuss empfahl auch die Organisation Reporter ohne Grenzen dem Bundestag in ihrer Stellungnahme vergeblich, gegen das NetzDG zu stimmen, das sich nicht zur Bekämpfung "strafbarer Inhalte" eigne, aber unverhältnismäßig in die Presse- und Meinungsfreiheit eingreife und die Kommunikationsfreiheit "nachhaltig beschädige". Vor einem "von Grund auf neuen Anlauf, um die Bekämpfung strafbarer Inhalte in sozialen Netzwerken rechtlich zu regeln" müsste nach Meinung der Organisation "zunächst eine umfassende Problemanalyse" durchgeführt werden.