"Eiserne Lady" in Trouble: Finanzmarkt-Turbulenzen zwingen Truss in den Rückwartsgang

Seite 2: Starker Verkauf von britischen Vermögenswerten, massive Verwerfungen an den Finanzmärkten

Doch damit nicht genug, kam es auch zu einem starken Verkauf von britischen Vermögenswerten. Das führte unter anderem dazu, dass die Zinsen für britische Staatsanleihen in die Höhe schnellten, zumal das Maßnahmenpaket über neue Schulden finanziert werden sollte.

Die Zinsen für Staatsbonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren waren zum ersten Mal seit 2002 auf über fünf Prozent gestiegen. Die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen waren auf knapp 4,6 Prozent angeschwollen.

Das rief natürlich auch Kritiker in den konservativen Reihen auf den Plan. Allein mit neuen Schulden finanzierte Steuersenkungen seien ebenso wenig konservativ wie Steuersenkungen, von denen Wohlhabende deutlich mehr profitierten als die breite Bevölkerung, hatten auch hochrangige Tory-Mitglieder wie Michael Gove kritisiert. Der blieb mit der Kritik aus den eigenen Reihen wahrlich nicht allein.

"Tories sind nicht dazu da, so zu regieren", schrieb zum Beispiel der frühere Transportminister Grant Shapps in der Times. Es sei nicht an der Zeit nun "jenen Geschenke zu machen, die sie am wenigsten brauchen".

Was tatsächlich dazu geführt haben dürfte, dass die Regierung den Rückwärtsgang eingelegt hat, hat weder mit einer realen Einsicht noch mit Kritik von Tories zu tun. Vielmehr sind dafür die massiven Verwerfungen an den Finanzmärkten verantwortlich. Die versucht man nun in London zu beruhigen.

Die politische Atempause, die man sich über den Rückzug beim Spitzensteuersatz verschafft hat, widmet sich nun dem mittelfristigen Finanzplan. Den will der Finanzminister Kwarteng nun nicht mehr am 23. November veröffentlichen, sondern schon einen Monat vorher.

Dann will er auch Pläne vorlegen, wie die Schuldenlast im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung reduziert werden kann, die sogenannte Schuldenquote. Das läuft gerade bei Konservativen gerne auf neue Einschnitte ins Sozialsystem und soziale Verwerfungen hinaus.

Kursänderung der Bank of England

Angesichts der Kamikaze-Politik der Regierung musste schließlich auch die britische Notenbank einen Schwenk hinlegen. Die Bank of England (BoE) hatte eigentlich angesichts der hohen Inflation zwar auch zu spät, aber vergleichsweise frühzeitig im Vergleich zu anderen Notenbanken mit der Inflationsbekämpfung begonnen.

Sie hatte die Geldschleusen geschlossen und die Leitzinsen längst deutlich erhöht. Eigentlich wollte die BoE nun in dieser Woche sogar damit beginnen, die Bilanzsumme zu verringern, indem sie ihren Anleihebestand reduziert.

Doch daraus wird nichts. Angesichts der Verwerfungen hat die BoE nun ihre Geldschleusen erneut geöffnet, bisher befristet sogar sehr weit. Die Lage hatte die Notenbank als sehr ernst eingeschätzt, nachdem Banken ankündigt hatten, ihre Kreditangebote für Immobilienkäufer vom Markt zu nehmen.

Deshalb schritt die BoE ein, da ein "erhebliches Risiko" für die Finanzstabilität bestehe. Wenn die Dysfunktion weiter anhalte, würde dies "zu einer ungerechtfertigten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen und einer Verringerung des Kreditflusses an die Realwirtschaft führen", teilte die Notenbank mit.

Man werde zunächst, zumindest befristet bis Oktober, so viele langfristige britische Staatsanleihen wie nötig aufkaufen, um "geordnete Marktbedingungen wiederherzustellen". "Whatever scale is necessary", heißt es in der Pressemitteilung.

Das ist vergleichbar mit dem berühmten Satz des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi, der tief in der Eurokrise vor 10 Jahren erklärte, man werde alles tun - "whatever it takes", um den Euro über einen unbegrenzten Anleihekauf zu retten.

Dramatische Lage

Die Lage dürfte sogar noch dramatischer gewesen sein, als allgemein angenommen wird. Der Anleihe‑Crash in Großbritannien hatte offenbar auch einige Pensionsfonds an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. "Irgendwann am Mittwochvormittag stand für einen Augenblick die Altersvorsorge Hundearttausender Briten auf dem Spiel.

Wäre die Bank of England (BoE) nicht eingeschritten, hätten die Verwerfungen am britischen Kapitalmarkt womöglich systembedrohende Ausmaße angenommen", hatte die WirtschaftsWoche (WiWo) berichtet.

Die Notenbank hätte sogar "einen Lehman‑Moment verhindert", wird mit Blick auf den Zusammenbruch der US-Investitionsbank Lehman Brothers 2008 berichtet, der Schockwellen über die gesamte Welt jagte. Das markierte den offensichtlichen Ausbruch der Finanzkrise, in deren Verlängerung wir noch heute stecken.

Panik am Markt

Wiwo geht davon aus, dass die "Gefahr für das Finanzsystem noch nicht gebannt ist" und meint, dass die Verwerfungen am britischen Kapitalmarkt ohne das Einschreiten der BoE womöglich wieder einmal systembedrohende Ausmaße angenommen hätten.

Da Pensionsfonds gezwungen waren, sich frisches Geld zu besorgen, sie also versuchten Staatsanleihen zu verkaufen, war die "Panik am Markt" groß, da keiner die langlaufenden britische Anleihen habe kaufen wollen. Deshalb habe sogar die Insolvenz von Pensionsfonds gedroht, "mit mutmaßlich dramatischen Folgen für das britische Renten‑ und Finanzsystem".

Erst als die BoE als Käufer einsprang, entspannte sich die Lage wieder. Seither sind die Zinsen für Staatsanleihen wieder gesunken und auch das Pfund hat sich wieder stabilisiert. Der Vorgang zeigt allerdings, auf welch tönernen Füßen das gesamte Finanzsystem weiter steht.