Finanzkrise: Totgeglaubte leben länger
Die Finanzkrise bestimmt wieder die Schlagzeilen und führt erneut zu Panik an den Börsen und hektischen Maßnahmen
Eine Studie besagt, dass die beiden größten US-Hypothekenfinanzierer Freddie Mae und Freddie Mac weitere 75 Milliarden Dollar Kapital benötigen. Damit tritt die Finanzkrise wieder deutlich zu Tage, von der viele immer wieder behaupten, dass die Talsohle längst durchschritten sei. Dabei, so eine weitere Studie, steht der Schlimmste noch bevor, es wird mit Verlusten von 1,6 Billionen Dollar gerechnet. An den Börsen machte sich erneut Panik breit, weshalb die US-Notenbank (FED) am Dienstag den Rettungsschirm erneut weit aufgespannt hat und neue Stützungsaktionen für den Finanzsektor ankündigte. In Europa sieht es ebenfalls nicht rosig aus. Als erstes Land ist Dänemark offiziell in die Rezession abgerutscht. Irland, Großbritannien, Spanien, Italien und Portugal dürften folgen.
Immer wieder wurde behauptet, das Tal der Finanzkrise sei durchschritten. Einige behaupteten gar, der "Immobilienmarkt in den USA befindet sich allmählich wieder auf dem Weg der Besserung". Doch dann schlug die Studie der Investmentbank Lehman Brothers am späten Montag wie eine Bombe ein und schickte die Börsen weltweit auf Talfahrt. Demnach benötigten die beiden größten Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac weitere 75 Milliarden Dollar als Kapitalspitze. Im Fall von Fannie Mae wären das 46 Milliarden Dollar und bei Freddie Mac 29 Milliarden. Ihre Aktien stürzten am Montag in New York zeitweise auf den niedrigsten Stand seit 1992 ab.
Beide leiden deutlich unter der Immobilienkrise und mussten bereits Verluste von insgesamt zwölf Milliarden Dollar in Kauf nehmen. Dass erneut ein erheblicher Kapitalbedarf besteht, hat mit der Tatsache zu tun, dass eine geplante Änderung der Bilanzierungsstandards auch sie zwingen soll, verbriefte Verbindlichkeiten in die Bilanzen zu nehmen. Die werden von Banken und Hypothekenfinanzierer gern ausgelagert. Zwar wurde deren Offenlegung immer wieder gefordert, doch bisher fehlt die Offenheit. So dürften insgesamt weitere Verbindlichkeiten in dreistelliger Milliardenhöhe zu Tage treten.
Wer es noch nicht wahrhaben wollte, dem wird spätestens jetzt klar, dass die Immobilienkrise längst das Segment der schlecht abgesicherten Subprime-Kredite verlassen hat. Auch im gewerblichen Immobilienbereich, bei Kreditkarten, Autokrediten, Studenten- und Industrie-Krediten kommt es immer stärker zu Problemen, Ausfälle gibt es auch bei Firmenkrediten. Die Ausmaße sind enorm, wie die halbstaatlichen Firmen Fannie Mae und Freddie Mac zeigen, die für Hypothekenkredite in Höhe von 5,2 Billionen Dollar garantieren. Das ist etwa die Hälfte aller Immobilienkredite, die in den USA vergeben wurden. So ist kaum verwunderlich, dass nach den aktuellen Berichten ihr Börsenwert um drei Viertel geschrumpft ist und das Modell des halbstaatlichen Hypothekengeschäfts wankt.
Die Schwierigkeiten der größten US-Immobilienfinanzierer bestätigten nur einen Bericht, der schon am Sonntag für Furore sorgte. Die Schweizer SonntagsZeitung hatte aus einer vertraulichen Studie von Bridgewater Associates zitiert und der Titel des Artikel sagte alles: "DIE GROSSE FINANZKRISE HAT EBEN ERST BEGONNEN". Nach der Studie des Hedge-Fonds drohten insgesamt Verluste von 1,6 Billionen Dollar, davon sei erst ein Bruchteil an die Oberfläche gekommen. "Wir haben große Zweifel, dass es den Finanzinstituten gelingen wird, genügend neues Eigenkapital aufzunehmen, um die Verluste zu decken. Das wird die Kreditklemme verschlimmern", zitiert die Zeitung den Bericht. Insgesamt gelten Kredite in dem atemberaubenden Umfang von fast 27 Billionen Dollar als riskant.
Bisher seien erst Verluste von 400 Milliarden Dollar eingeräumt worden, rechnet Bridgewater vor. Der Internationale Währungsfond (IWF) hatte mit mehr als dem Doppelten gerechnet. Nach der Studie des zweitgrößten Hedge-Fonds kommt alles noch viel schlimmer. Unter den am stärksten Betroffenen befinden sich alte Bekannte der Kreditkrise. Allein die schwer gebeutelte Schweizer Großbank UBS müsse Verluste von 238 Milliarden Dollar hinnehmen und hätte damit den größten Schaden. Dazu kommen die Citigroup, bei der schon Gerüchte die Runde machten, sie sei zahlungsunfähig, die Bank of America, J.P. Morgan Chase, die gerade erst die abgestürzte Bear Stearns für ein Handgeld übernommen hat und viele kleinere Institute. Auch in dem Artikel wird immer deutlicher, dass das erwartete Bankensterben unvermeidlich ist.
Weil niemand weiß, wie viel wertlose US-Hypotheken-Papiere sich noch in Bankbilanzen verstecken, stürzten die Kurse am Montag in den USA und am Dienstag in Europa ab. In den USA konnte die FED am Dienstag zunächst mit der Ankündigung von Hilfsmaßnahmen die Börsianer beruhigen. Wie im Fall von Bear Stearns soll der Absturz von Großbanken offenbar mit allen Mitteln verhindert werden. Die von der FED nach deren Absturz aufgelegten Maßnahmen werden verlängert, die eigentlich im September auslaufen sollten. So sollen erneut auch Investmentbanken Darlehen angeboten werden, die eigentlich nur Geschäftsbanken zur Verfügung stehen. Das darf sie nach ihrer Satzung nur in “ungewöhnlichen und sehr ernsten Umständen”. Die FED hatte den Investmentbanken schon eine leichtere Refinanzierung über den Diskontsatz ermöglicht und nimmt zudem als "Sicherheiten" auch zweifelhafte Papiere entgegen, was auch aus den eigenen Reihen scharf kritisiert wird.
Insgesamt wird davor gewarnt, dass die Risikofreude der Banken nur verstärkt wird, weil letztlich die FED für die Exzesse auf dem Kredit- und Immobilienmarkt gerade steht. Mit dem Vorgehen werden nur neue Probleme für die Zukunft geschaffen. Zudem zeigt sich, dass sich befristete Maßnahmen, die nur Wirkungen und nicht die Ursachen bekämpft, sich verselbstständigen. Gefahren sehe auch Bernanke, denen er in der Zukunft mit mehr Kontrolle und Reglementierung entgegenwirken möchte. Ob dafür die FED unter Bernanke, der in der gesamten Krise ziemlich schlecht aussieht, kompetent ist, darf bezweifelt werden.
Rezession in Dänemark, Großbritannien, Spanien und Irland
Die von den USA ausgehende Domino-Rezession zeichnet sich immer deutlicher ab. Zwar wird eine Rezession in den USA vor den Wahlen nicht offiziell zugegeben, doch der renommierte US-Ökonom Nouriel Roubini geht davon aus, dass das Land spätestens seit Januar ein negatives Wachstum verzeichnet. Die Rezession werde mindestens vier Quartale dauern, sagte er in einem Interview: "Wir befinden uns mitten in der größten Immobilienkrise seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre. Und die Lage verbessert sich nicht, sondern wird noch schlimmer. Ich rechne damit, dass die Hauspreise insgesamt um 30 Prozent fallen werden". Das Vermögen vieler US-Haushalte werde ausgelöscht und deren finanzielle Schwierigkeiten würden auch die Banken durch stärkere Kreditausfälle zu spüren bekommen.
Offiziell eingeräumt hat die Rezession inzwischen als erstes europäische Land Dänemark. Nach den Daten, die letzte Woche veröffentlicht wurden, ist die Wirtschaft im ersten Quartal 2008 schon um 0,6 Prozent geschrumpft und schon im letzten Quartal 2008 war kein Wachstum mehr zu verzeichnen. Somit sind auch die veralteten Kriterien erfüllt, wonach es in zwei aufeinander folgenden Quartalen ein negatives Wachstum geben muss, um von einer Rezession zu sprechen.
Scheinbar wurden viele von der Entwicklung überrascht, dabei zeichnete sich das Debakel ab, weil sich neben den USA, Großbritannien, Spanien und Irland eben auch in Dänemark eine Immobilienblase gebildet hatte, die beim Platzen auf den privaten Konsum durchgeschlagen ist. Dazu kommen weitere Faktoren, die den Menschen die Kauflaune verderben und Kaufkraft entziehen, steigende Zinsbelastungen, hohe Inflation und hohe Sprit- und Lebensmittelpreis.
In Großbritannien und Irland stehen wohl Rezessionen unmittelbar bevor, wenn sich die beiden Länder nicht schon darin befinden. In Irland steigen die Arbeitslosenzahlen weiter stark an. Verzeichnet wurde in der ersten Jahreshälfte der stärkste Anstieg seit 1975, als damals die Nachwirkungen des Ölschocks die Wirtschaft Irlands lähmten. Im Mai stieg die Arbeitslosigkeit von 4,8 auf 6,0 %. Das hat vor allem mit der zusammenbrechenden Baubranche zu tun, auf die in Irland etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts entfielen.
Großbritannien, wo es am Immobilienmarkt deutlich bergab geht, soll sich schon in der Rezession befinden, wie allseits berichtet wird. Der Telegraph zitiert eine Studie, wonach das negative Wirtschaftswachstum im Juni begonnen habe und noch bis ins Frühjahr 2009 anhalten soll. Die Financial Times findet noch deutlich klarere Worte und spricht davon, man befände sich am "Rand des wirtschaftlichen Abgrunds". Die Bürger seien noch pessimistischer als vor knapp 30 Jahren, als das Land unter der Premierministerin Margaret Thatcher in die Rezession schlitterte. Hunderttausende Jobs werden verloren gehen, wird angekündigt.
In Großbritannien bricht der Immobiliensektor gerade erst so richtig zusammen, wie am britischen Hausbauunternehmen Taylor Wimpey zu sehen ist. Die Aktien der Firma haben mehr als die Hälfte des Werts verloren. Das Unternehmen ist in drei Ländern aktiv, die von platzenden Immobilienblasen heimgesucht werden: Großbritannien, USA und Spanien. Die Probleme von Taylor Wimpey sind aber nun symptomatisch für den britischen Hausbausektor, dem der rasche und kräftige Verfall der Immobilienpreise zu schaffen macht. Der Häuserpreis-Index der Bank Nationwide hat einen Preisverfall im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,3% berechnet. Ähnliches wurde nur in der letzten britischen Immobilienkrise in den frühen 1990er Jahren beobachtet. Inflationsbereinigt beträgt der Werteverfall allein im ersten Halbjahr schon fast 10%. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn auch die Aktien der Taylor Wimpey Konkurrenz deutlich an Wert verlieren. Barrat und Persimmon fielen um jeweils rund 20 Prozent.
Auch in Großbritannien ist die Krise längst auf den privaten Konsum durchgeschlagen. Das Einzelhandelsunternehmen Marks & Spencer schockte vergangene Woche die Börse mit einer Umsatz- und Gewinnwarnung. Fraglich ist inzwischen auch, ob das von der Bank of England prognostizierte Wirtschaftswachstum für 2008, die ohnehin von nur noch 1 % Prozent gewarnt hatte, überhaupt erreicht wird. Doch schon damit hätten die Briten das schwächste Wachstum seit der Rezession 1992 zu verzeichnen.
Das Schreckgespenst der Rezession, die sich angesichts der hohen Inflation sogar zu einer Stagflation entwickeln könnte, bedroht auch Italien, Portugal, Japan und andere asiatische Staaten dürfen ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, glaubt der Experte Roubini. Tritt das ein, dann kann man ohne weiteres von einer neuen Weltwirtschaftskrise gesprochen werden.