"Eklatanter Mangel an technischem Verständnis"
Interview mit Hendrik Stiefel von der Piratenpartei Thüringen zum Kooperationsabkommen mit den Grünen und zu deren Zustimmung zum Jugendmedienstaatsvertrag
Kurz vor der Landtagswahl im letzten Jahr schlossen die thüringer Grünen ein Kooperationsabkommen mit der Piratenpartei. Der grüne Spitzenkandidat Dirk Adams meinte damals, seine politische Gruppierung hoffe durch das Abkommen nicht nur auf Leihstimmen, sondern wolle in IT-Fragen auch die "Sachkenntnis" der Piraten nutzen. Nun stimmte die grüne Landtagsfraktion für den umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Wir befragten dazu Hendrik Stiefel, den Vorsitzenden der Piratenpartei in Thüringen.
Herr Stiefel, die Grünen haben im Thüringer Landtag dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag zugestimmt - was halten Sie davon?
Hendrik Stiefel: Die Zustimmung der Landtagsfraktion B90/Grüne zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag im Thüringer Landtag ist sehr bedauerlich und für uns Piraten grundsätzlich falsch. Die Aussagen des Vortragenden der Fraktion, Carsten Meyer, zeigen einen eklatanten Mangel an technischem Verständnis und fehlendem Rechtsbewusstsein in der Thematik Jugendschutz im Internet.
Weiterhin zeigt die Zustimmung deutlich, dass die Grünen sich gerne nach Außen als Bürgerrechtspartei präsentieren, aber in den jeweiligen Abstimmungen dann gegen Freiheit und Grundrechte votieren. In diesem Fall sogar ohne jeden Zwang durch Koalitionen oder dergleichen. Dies ist für uns unverständlich.
Woran genau erkennen Sie Mangel an technischem Verständnis?
Hendrik Stiefel: Die Grünen argumentieren, dass Offline-Jugendschutzmaßnahmen auch im Internet greifen. Ein Vorschlag im Jugendmedienschutzstaatsvertrag war die Kennzeichnung von Internetseiten nach einer Alterseinstufung, wie bei DVDs, und dann darauf basierte Sendezeiten dieser Seiten. Dies ist im Internet natürlich nicht möglich, da es sich hierbei nicht um Rundfunk handelt.
Was könnte Ihrer Ansicht nach passieren, wenn man einen solcherart formulierten Staatsvertrag trotzdem verabschiedet?
Hendrik Stiefel: Durch die Annahme der Änderungen zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag wird der Einrichtung einer Zensurinfrastruktur Vorschub geleistet. Der Gesetzgeber wird mit allen Mitteln versuchen, unter dem Vorwand des Jugendschutzes technische Lösungen zur Zensur im Internet einzuführen.
Gerade in Hinblick auf Geschehnisse wie Stuttgart 21 wird erneut deutlich, wie notwendig in Deutschland ein freies Internet zum Zwecke der unabhängigen Informationsbeschaffung und -verbreitung ist. Somit ist ein zensurfreies Internet zukünftig immer mehr eine essenzielle Grundlage für eine funktionierende und bürgernahe Demokratie.
Und die thüringer Grünen sehen das anders?
Hendrik Stiefel: Offenbar sieht die Fraktion von B90/Grünen im Thüringer Landtag dies nicht so. Nach Aussagen des Herrn Carsten Meyer ist die Zustimmung zur Änderung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages notwendig. Herr Meyer begründet dies mit einer Signalwirkung in Sachen Jugendschutz. Da Herr Meyer der medienpolitische Sprecher der Fraktion ist, folgten die restlichen Abgeordneten seiner Empfehlung. Offenbar besteht eine große Diskrepanz zwischen der Meinung der Fraktion im Landtag und der grünen Basis.
Woher kennt man die Meinung der grünen Basis zu dieser Frage?
Hendrik Stiefel: Die Thüringer Piraten reden ausführlich und intensiv mit den aktiven Mitgliedern anderer Parteien. Bei Infoständen, bei gemeinsamen Aktionen, aber auch im Nachgang zu Veranstaltungen wird sich ausgetauscht. Im Jahr 2009 wurde darüber hinaus mit den Grünen eine Kooperationsvereinbarung zu verschiedenen politischen Themen getroffen im Zuge derer es auch konstruktive Gespräche mit Mitgliedern der Grünen gab und weiterhin gibt. Bei diesen Unterhaltungen wurde deutlich, dass bei den Grünen immer häufiger Unzufriedenheiten formuliert wurde. Oft wussten die Mitglieder der Grünen nichts von Entscheidungen der Parteispitze und der Fraktion im Landtag.
Stand die Kooperationsvereinbarung zwischen Piraten und Grünen nicht einer Zustimmung zum Jugendmedienstaatsvertrag im Wege?
Hendrik Stiefel: Die Kooperation umfasst vier detailliert ausformulierte Punkte. Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag fand darin keine explizite Erwähnung, jedoch steht über diesen Punkten in der Präambel des Kooperationspapiers Folgendes:
Zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution ist die Politik dabei, sich von den Idealen von damals immer weiter zu entfernen. Vorratsdatenspeicherung, BKA- Gesetz und Internetzensur sind nur die bekanntesten Beispiele hierfür.
Daraus lässt sich die Intention der Kooperation ableiten. Sie wurde auch mit dem Hintergrund geschlossen, die Erfahrungen der Piraten bei netz- und medienpolitischen Themen für beide Parteien zu nutzen. Die Grünen hatten und haben auf diesem Bereich in Thüringen kaum Kompetenzen. Deshalb war es angedacht, schwierige Fragen aus diesem Bereich im Vorfeld miteinander abzusprechen. Eine solche Abstimmung erfolgte im vorliegenden Fall leider nicht. Daher sehen wir in der Zustimmung der Landtagsfraktion einen klaren Vertrauensbruch und somit einen Verstoß gegen die freiheitlichen Ziele der Vereinbarung.
Werden Sie die Kooperation mit den Grünen unter diesen Umständen fortführen?
Hendrik Stiefel: Aktuell gibt es bei den Mitgliedern der Piratenpartei in Thüringen deutliche Stimmen, die sich für ein Ende der Kooperation aussprechen. Ein entsprechendes Meinungsbild in der Parteibasis beschied die Beendigung der Kooperation positiv. Eine endgültige Entscheidung darüber ist aber aufgrund der aktuellen Entwicklungen noch nicht getroffen und wird wohl erst in dieser Woche gefällt werden.
Aber auch, wenn die Kooperation beendet wird, heißt das nicht, dass wir in Zukunft nicht bei bestimmten Themen mit den Grünen oder anderen Parteien hier in Thüringen zusammenarbeiten, wenn es darum geht, unser Inhalte voranzubringen. Dies gehört nach unserem Verständnis auch zu einer Demokratie dazu. In den nächsten Monaten stehen auch auf Landesebene wichtige Themen an, über welche wir gerne mit den Parteien im Parlament sprechen wollen, wozu natürlich auch die Grünen gehören.
Was wären die positiven Ergebnisse der Kooperation? Und welche wichtigen Themen stehen in den nächsten Monaten konkret an?
Hendrik Stiefel: Das positivste Ergebnis der Kooperation war unser gutes Abschneiden bei der Bundestagswahl 2009. Uns gelang es damit ein bundesweites positives Medienecho zu erreichen, was für den nur wenige Wochen alten Landesverband ein entscheidender Schritt für die öffentliche Wahrnehmung war und sicher zum überdurchschnittlichen Wahlergebnis der Piraten in Thüringen beigetragen hat.
Ebenso konnten wir die vier darin vorgestellten Themen als Diskussionsgrundlage in die politische Landschaft einbringen. Außerdem vermittelt das Kooperationspapier unsere Offenheit thematisch mit anderen Organisationen konstruktiv zusammenzuarbeiten, um unsere Ziele zu transportieren.
Diese veränderte politische Einstellung zur Zusammenarbeit ist unseres Erachtens eine zukünftig auch durch die Bürger, also den Wähler geforderte Eigenschaft an Parteien. Das ewige, meist wenig sachliche Gegeneinander der Parteien wird nicht gewünscht und ist nicht zielführend. Darüber hinaus gab es keine weiteren Aktivitäten im Rahmen der Kooperation, welches auch dem Fakt geschuldet war, dass die Grünen 15 Jahre lang nicht im Landtag waren.
In den nächsten Monaten kommt auf die Piraten einiges an Arbeit zu. Die Netzsperren sollen derzeit auf europäischer Ebene durchgesetzt werden, international wird am ACTA-Abkommen gearbeitet, welches voraussichtlich auch starke Eingriffe in die Freiheit jedes Einzelnen mit sich bringen wird.
Auf landespolitischer Ebene stehen beispielsweise die Themen Open-Source in den öffentlichen Verwaltungen auf der Agenda aber auch die Einschränkung von Videoüberwachung an - und der Ausbau von Breitband ist nach wie vor ein Thema. Natürlich liegt auch der geplante Zensus11 auf dem Plan. Aktuell arbeiten wir an einer Aktion zum §108e, in welcher es gilt, Abgeordnetenbestechung weiter zu erschweren.
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