El Dabaa: Russlands nukleare Visitenkarte am Mittelmeer

Ein Kernkraftwerk im Bau

Im Bau befindliches russisches Kernkraftwerk

(Bild: Evgenii Sribnyi/Shutterstock.com)

Russland baut das erste Atomkraftwerk Ägyptens am Mittelmeer. Das Megaprojekt soll 2030 fertig sein und vier Reaktoren umfassen. Ein für Kairo nicht risikofreier Deal.

Russland strebt weltweite Führungsposition beim Bau von Kernkraftwerken an. In Ägypten läuft ein Großprojekt, dessen Ausgang für die Region vielversprechend, aber noch offen ist.

Die Anzahl der am Bau des Kernkraftwerks El Dabaa in Ägypten beteiligten Spezialisten soll im Laufe dieses Jahres auf 30.000 ansteigen. Dies gab der Generaldirektor des staatlichen russischen Kernenergieunternehmens Rosatom, Alexej Lichatschow, kürzlich in Jekaterinburg bekannt.

"Dies ist das größte Bauprojekt bei Kernkraftwerken der Welt, was die geografische Ausdehnung betrifft. Derzeit arbeiten 25.000 Menschen auf der Baustelle. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Belegschaft innerhalb eines Jahres deutlich auf über 30.000 erhöhen werden, möglicherweise sogar auf 40.000", verkündete der Geschäftsführer.

Ein russisch-ägyptisches Megaprojekt

Bei dem Kernkraftwerk handelt sich um das erste Atomkraftwerk Ägyptens, welches in der Stadt El Dabaa an der Mittelmeerküste gebaut wird. Es soll vier Reaktorblöcke der dritten Generation mit einer Leistung von jeweils 1200 Megawatt umfassen. Jeder Reaktor vom Typ WWER-1200 ist für eine Betriebsdauer von ungefähr 60 Jahren ausgelegt.

Die Bauarbeiten des ersten der vier Blöcke begannen im Juli 2022. Er soll im Jahr 2028 in Betrieb gehen. Die Reaktoren sollen sukzessive nacheinander in Gang gesetzt werden. Im Jahr 2030 sollen alle vier Blöcke an das Stromnetz angeschlossen und wirtschaftlich rentabel sein. Die durch das Kraftwerk erzeugte Strommenge soll zukünftig einen bedeutenden Teil am Gesamtbeitrag des ägyptischen Energiesektors ausmachen.

Die Verträge, auf denen das russisch-ägyptische Projekt zum Bau eines Kernkraftwerks basieren, stammen aus dem Jahr 2017 und sind nicht öffentlich einsehbar. Bekannt ist, dass Russland nicht nur das Kernkraftwerk bauen, sondern auch während der gesamten Betriebsdauer der Anlage Kernbrennstoff liefern wird.

Die Föderation bildet darüber hinaus in den ersten zehn Betriebsjahren die benötigten Fachkräfte für die Anlage aus. Schließlich wird die russische Seite Lager für Brennelemente errichten sowie Behälter für die Lagerung abgebrannter Elemente bereitstellen.

Darüber hinaus soll El Dabaa über eine Anlage zur Entsalzung von Meerwasser verfügen. Das entsalzte Wasser wird zum Be- und Auffüllen der Kreisläufe der vier Reaktoren sowie zur Versorgung der industriellen und notfallbedingten Wasserversorgung verwendet werden.

Chancen und Risiken für Ägypten

Laut Rosatom-Chef Lichatschow wird der Großteil der allgemeinen Bau- und Betonarbeiten von ägyptischen Unternehmen ausgeführt, etwa 90 Prozent der an der Errichtung des Projekts beteiligten Personen seien Ägypter.

Zur Finanzierung des Projekts trägt zunächst vor allem der staatliche russische Konzern Rosatom bei, der 85 Prozent der Kosten für Bau, Spezialausrüstung oder Management (etwa 25 Milliarden US-Dollar) übernommen hat. Die ägyptische Seite verpflichtete sich die übrigen 15 Prozent (etwa fünf Milliarden US-Dollar) aufzubringen.

Ägyptens Wirtschaft leidet unter einer hohen Last an Staatsschulden, das Land ist extrem importabhängig und befindet sich seit Längerem in einer ökonomischen Krise. Wie das Land seinen Kostenanteil zusammenbringen kann, ist schwierig auszumachen.

Der Einstieg eines Staates in die Kernenergie setzt bestimmte Fähigkeiten voraus: Neben hohen Investitionen muss das jeweilige Land ein akzeptables Maß an technischem Fachwissen erwerben und ein entsprechendes Regulierungssystem aufbauen. Ferner stellt das ungelöste Problem des Atommülls nicht nur, aber gerade Neueinsteiger vor große Herausforderungen.

Mit Rosatom hat Russland für El Dabaa sowie für Projekte in anderen Einsteigerländern ein neuartiges BOO-Modell (Build, Own, Operate) vorgeschlagen, wobei der russische Konzern neue Kernreaktoren zum großen Teil selbst finanziert, baut und betreibt und im Gegenzug einen Teil der Rückzahlung über künftige Stromerlöse erhält.

Zusätzlich versorgt Russland die Neueinsteiger mit Kernbrennstoff und nimmt den verbrauchten Brennstoff zur Wiederaufbereitung oder Entsorgung wieder mit zurück, was die Bedenken zur Endlagerfrage nimmt.

Bereits Mitte der 2000er Jahre kündigte der damalige Präsident Hosni Mubarak feste Bestrebungen Ägyptens nach Kernenergie an, um die heimischen Energiequellen zu diversifizieren. Vermutlich mangels ausreichender finanzieller Garantien und ungewissem kommerziellen Wert gelang es dem Land jedoch nicht Handelspartner im Bereich der Atomenergie, etwa aus Frankreich, den USA oder Südkorea zu gewinnen.

Damit war das Angebot aus Russland von 2017 eines, welches aus ägyptischer Sicht nicht abgelehnt werden konnte. Vorausgesetzt, dass die Umsetzung des Großprojekts gelingt, wird es den Energiemix Ägyptens diversifizieren und das Land energiewirtschaftlich unabhängiger machen.

Dem gegenüber wird Russland Einfluss auf eine Infrastruktur haben, die für die Energiesicherheit des Landes von wichtiger Bedeutung ist. El Dabaa vertieft die bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Kairo einerseits, verstärkt aber andererseits auch die Abhängigkeit Ägyptens von Russland.

Russland strebt Führungsrolle bei Kernenergie an

Die Russische Föderation baut derzeit mehr als zehn Kernkraftwerke im Ausland; neben Ägypten in Ländern wie Bangladesch, China, Indien, Iran und der Türkei.

Nachdem der russische Erdöl- und Erdgassektor nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 mit immensen Sanktionen belegt wurde, hat das Land seine Rolle als wichtiger Anbieter von Kernenergie in den vergangenen Jahren ausgebaut.

Ziel ist es die weltweit steigende Nachfrage nach sauberer Energie zu decken und den globalen Einfluss des Landes über den Ausbau der Kapazitäten in der Kernkraft zu stärken. Gegenüber der Financial Times sagte der Sonderbeauftragte des Kremls für internationale Zusammenarbeit, Boris Titow, dass das Land seine Position als "einer der größten Bauherren neuer Kernkraftwerke weltweit" festigen wolle.

Die Internationale Atomenergiebehörde prognostizierte im letzten Jahr, dass die weltweite Kapazität zur Erzeugung von Kernenergie im Vergleich zum Jahr 2023 bis zum Jahr 2050 um mehr als 150 Prozent auf 950 Gigawatt steigen werde.