Elektrobandstahl für die Energiewende: Alter Wein in neuen Schläuchen?

Elektroband. Bild: © thyssenkrupp Steel Europe

Thyssenkrupp hat in diesem Jahr in Indien ein Werk für kornorientierten Elektrobandstahl in Betrieb genommen und lobt sich dafür

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Vor fünf Jahren wollte der kriselnde Stahlkonzern thyssenkrup seine in der damaligen ThyssenKrupp Electrical Steel angesiedelten Werke für kornorientiertes Elektroband mit Werken in Gelsenkirchen, im französischen Isbergues und im indischen Nashik schnellstmöglich verkaufen. Kornorientiertes Elektroband wird für den Bau von energieeffizienten Transformatoren benötigt, während Nicht-kornorientiertes Elektroblech sein Einsatzfeld in den Bereichen Industriemotoren, Haushaltsgeräte und Windkraftanlagen findet, also bei der Nutzung von Strom in mechanischen Anwendungen oder umgekehrt. Den Bereich Nicht-kornorientiertes Elektroblech mit dem deutschen Fertigungsstandort in Bochum wollte man damals nicht abstoßen, sondern in die damalige Duisburger ThyssenKrupp Steel Europe AG integrieren.

Die Idee der Trennung von der Fertigung des kornorientierten Elektrobands ging offensichtlich auf den Marktdruck durch Hersteller zurück, die ihre Produkte deutlich preiswerter anbieten konnten, als thyssenkrupp. Im Zusammenhang mit den Preiskämpfen im Markt für kornorientiertes Elektroblech hat China dann im Juli 2016 einen Anti-Dumping-Zoll von 46,3 Prozent gegen alle europäischen Anbieter verhängt.

Damit war der Export von kornorientiertem Elektroblech nach China praktisch unterbunden. Dass die Verkaufsanstrengungen von thyssenkrupp für den Bereich Electrical Steel in diesem Marktumfeld keinen Erfolg zeigten, verwundert nur wenig. Und so hat man bei thyssenkrupp vor dem Hintergrund der zunehmenden Industrialisierung Indiens eine Strategiewende vollzogen.

Alte Technik erhält neue Bedeutung

Kornorientiertes Elektroband ist ein spezielles Stahlprodukt, das durch bei der Fertigung eine spezielle Kornstruktur erhält und hauptsächlich in Transformatoren zum Einsatz kommt. Als wichtiger Werkstoff ist kornorientiertes Elektroband in Verteil- und Leistungstransformatoren sowie in Kleintransformatoren in geschichteter, gewickelter oder gestanzter Form zu finden. Kornorientiertes Elektroband kommt überall dort zum Einsatz, wo elektrische Energie effizient auf eine andere Spannungsebene gewandelt werden muss.

Im Bereich von Spannungswandlern mit kleinen Leistungen hat man in den vergangen Jahren auf die Schaltnetzteiltechnik gesetzt, bei welcher durch eine Umwandlung in höhere Frequenzen für die gleiche Leistung weniger Magnetvolumen benötigt wird. Als Konsequenz der höheren Frequenzen kommt es jedoch auch zu einer erhöhten Abstrahlung, was bei kleinen Spannungswandlern meist noch beherrschbar ist, bei hohen Leistungen, wie sie bei der Spannungswandlung zwischen dem Übertragungsnetz üblich sind, jedoch nicht mehr.

Beim Einsatz von kornorientiertem Elektroband in der Spannungswandlung handelt es sich mitnichten um eine neue Technik. Auch thyssenkrupp behauptet hierbei auf eine über 50-jährige Know-How-Tradition zurückblicken zu können. Die Anwendung erhält jedoch laufend größere Bedeutung, weil der Ausbau der Übertragungsnetze und die effiziente Spannungswandlung in die Verteilnetze immer wichtiger werden. Aufgrund der dezentralen Einspeisungen von Windkraft- und PV-Strom in die Nieder- und Mittelspannungsnetze kommt auch der dezentralen Spannungswandlung zwischen diesen Spannungsebenen und der Hoch- und Höchstspannung der Übertragungsnetze eine zunehmende Bedeutung zu.

Indien als wachsender Markt für effiziente Spannungswandlung

Auch wenn Umweltschutz in Indien noch weit von der Bedeutung in Mitteleuropa zurückliegt, was man in der Praxis am unbekümmerten Umgang mit der Entwicklung multiresistenter Keime im Umfeld der Antibiotikaproduktion beobachten kann, erhält das Streben nach höherer Effizienz bei der Spannungswandlung auch auf dem indischen Subkontinent steigende Bedeutung, weil es sich für den Netzbetreiber rechnet. Strom, der unterwegs nicht aus dem System entweicht, muss nicht erzeugt werden.

Und somit macht thyssenkrupp inzwischen aus der Not des nicht erfolgten Verkaufs des Electrical Steel-Bereichs ein Tugend und hat Anfang 2018 die Produktion von kornorientiertem Elektroband im Werk der thyssenkrupp Electrical Steel India Private Limited im District Nashikim Bundesstaat Maharashtra, 160 Kilometer nordöstlich von Mumbai gelegen, aufgenommen. Das neue Werk soll in erster Linie für den Bedarf des indischen Marktes produzieren, wo es bislang das Einzige seiner Art ist. Da der als Vorprodukt benötigte Stahl für die Anlage in Nashik vom Produktionsstandort in Duisburg geliefert wird, sichert das indische Werk auch in Deutschland Arbeitsplätze.

Ob diese Firmenpolitik bei thyssenkrupp im Zusammenhang mit den von sogenannten aktiven Aktionären ausgelösten aktuellen Turbulenzen bei dem deutschen Stahlkonzern auf längere Sicht weitergeführt wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Für die Steigerung der Effizienz in den indischen Stromnetzen wird die Fertigung kornorientierten Elektroblechs im Land auf jeden Fall einen hilfreichen Anstoß darstellen.

Dies gilt zumindest solange einen lokale Fertigung in Indien noch einen wirtschaftlichen Vorteil bietet. Möglicherweise wird der als Vorprodukt benötigte Stahl in Zukunft nicht mehr aus Gelsenkirchen kommen, weil sich im Zusammenhang mit der derzeit angestrebten Zusammenlegung der europäischen Stahlaktivitäten von thyssenkrupp mit Tata Steel Europe ganz neue Möglichkeiten ergeben. Sinnvoll ist es auf jeden Fall die Fertigung näher zu den Kunden zu verlegen, auch wenn dies in der Konsequenz dann in Deutschland Arbeitsplätze kostet.

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