Elsevier-Skandal weitet sich aus
Der Verlag veröffentlichte nicht nur eine, sondern mindestens sechs vermeintlich unabhängige Fachzeitschriften im Auftrag der Pharmaindustrie
Elsevier entwickelt sich mehr und mehr zum schlagkräftigsten Argument gegen ein neues Leistungsschutzrecht für Verlage, das diesen unter anderem als Waffe gegen Open-Access-Modelle dienen würde. Durch exzessive Preissteigerungen machte der Verlag schon seit Mitte der 1990er Jahre Negativschlagzeilen. Sie flossen nicht etwa in neu eingeführte Honorare für Autoren oder Qualitätsprüfer (die weiterhin ganz überwiegend umsonst arbeiten), sondern in Profite, bei denen Volkswirtschaftler von "Monopolrenditen" sprechen.
Dem Börsenblatt zufolge steigerte Elsevier zwischen 2006 und 2007 seinen Gewinn von 828 Millionen auf 1,6 Milliarden Euro. Aber nicht, weil mehr verkauft worden wäre, sondern weil die Abwesenheit von erlaubter Konkurrenz einen teureren Verkauf ermöglichte. Tatsächlich sank der Umsatz in diesem Zeitraum sogar von 7,17 auf 6,1 Milliarden Euro - auch deshalb, weil viele Bibliotheken extrem überteuerte wissenschaftliche Zeitschriften nicht mehr bezahlen konnten und abbestellen mussten.
In Australien wurde nun offenbar, dass der einzige Bonus, den Elsevier gegenüber Open Access geltend machen konnte, eher ein Malus sein könnte. Ans Licht kam dies im Rahmen eines Gerichtsprozesses, bei dem Herzinfarktpatienten, denen das Medikament Vioxx verschrieben worden war, gegen den Pharmakonzern Merck klagen. In den USA sollen in ähnlich gelagerten Fällen knapp 50.000 Vioxx-Patienten mit insgesamt 4,85 Milliarden Dollar entschädigt werden - allerdings ohne Schuldeingeständnis von Merck.
Im Rahmen dieses Verfahrens tauchten Dokumente auf, in denen deutlich wird, dass Merck den Absatz seiner Medikamente mit durchaus "bemerckenswerten" Methoden sicherte. Dazu gehörten unter anderem Listen von kritischen Medizinern, deren Namen mit Attributen wie "neutralisieren", "neutralisiert" und "diskreditieren" versehen waren. In eine Email ist sogar davon die Rede, dass man solche Wissenschaftler "vernichten" müsse.
Eine andere Enthüllung war, dass Merck den Verlag Elsevier dafür bezahlte, dass dieser die vermeintlich unabhängige und seriöse Zeitschrift The Australasian Journal of Bone and Joint Medicine veröffentlicht, deren Hauptzweck es offenbar war, Material zu liefern, mit dem Medizinern die angebliche Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten suggeriert werden sollte. In der Nummer 2 der Zeitschrift drehen sich 9 von 29 Artikeln um Vioxx und ein weiteres Dutzend um das Merck-Medikament Fosamax. Dafür halten möglicherweise nicht alle wissenschaftliche Mindeststandards ein: Ein Text kommt beispielsweise mit ganzen zwei Verweisen auf weitere Literatur aus.
Elsevier versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass der Verlag das Produkt nicht als "Zeitschrift" ("Journal"), sondern als "Zusammenstellung" ("Compilation") ansehen würde. Angesichts des Namens des Australasian Journal of Bone and Joint Medicine wurde diese Erklärung allerdings eher mit Befremden aufgenommen. Zudem gab es auch keine Unterschiede in der Aufmachung, die das Produkt erkennbar von anderen Elsevier-Wissenschaftszeitschriften abgegrenzt hätten.
Nun kam heraus, dass diese Publikation kein Einzelfall war und Elsevier mindestens fünf weitere solche Zeitschriften veröffentlichte: Das Australasian Journal of General Practice, das Australasian Journal of Neurology, das Australasian Journal of Cardiology, das Australasian Journal of Clinical Pharmacy und das Australasian Journal of Cardiovascular Medicine. Zu den Pharmafirmen, die dafür bezahlten, schweigt der Verlag bisher. Ein Vorgehen, das möglicherweise auch anderen Zeitschriften in seinem Repertoire schaden könnte: Mittlerweile sind manche Ärzte sogar misstrauisch, wenn es um Studien in The Lancet geht, der Zeitschrift, die als erste mit Peer Review arbeitete. Diese Methode der Qualitätssicherung hat Open Access übernommen. Inwieweit sie bei Elsevier-Publikationen noch greift, hängt auch davon ab, wie weit der Einfluss der Pharmaindustrie dort tatsächlich reicht.