Emil und der Turm des Königs: Geschichte einer Verstrickung

Seite 2: Der Deserteur muss sterben

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Ein Anführer lässt einem Gefangenen den Kopf abschlagen, ein anderer Mann schaut dabei zu, und das Ganze - wird erklärt - geschieht zum Wohl des Staates, den sich die Täter wünschen. Dazu kann einem das Preußen des 18. Jahrhunderts einfallen, weil Jannings, Hinz und Clausen altertümliche Kostüme tragen und so tun, als wären sie der König, der Kronprinz und Leutnant Katte. Man kann auch an die ins Netz gestellten Filme denken, auf denen IS-Kämpfer Geiseln töten und die wir uns inzwischen am Bildschirm unseres Computers anschauen. Oder man nimmt als primären Bezugsrahmen das Dritte Reich und die Politik des NS-Regimes, was nicht so falsch sein kann, wenn man bedenkt, dass Der alte und der junge König 1934 mit Geld der NSDAP gedreht, von einer Nazifirma produziert und von einem Verleih vertrieben wurde, den die Nazis gekapert hatten.

Der alte und der junge König

In der Propaganda sind Historienfilme so beliebt, weil man sich da auf eine irgendwie geartete "geschichtliche Wahrheit" berufen kann, die man logischerweise aus der eigenen Gegenwart heraus konstruiert und die mal mehr und mal weniger "authentisch" ist. Der historische Hintergrund von Der alte und der junge König ist nicht das Preußen von Friedrich dem Großen und seinem Vater, sondern das Deutschland, in dem die Nationalsozialisten an der Macht waren, die Rüstungsindustrie ankurbelten und auf einen Krieg zusteuerten. Zu den Kriegsvorbereitungen gehörte die Disziplinierung der Soldaten. Militärstrafsachen wie die dem Kronprinzen und Leutnant Katte zur Last gelegten Delikte (geplante Fahnenflucht bzw. das Wissen davon, ohne es zu melden) wurden in der Weimarer Republik vor ordentlichen Gerichten verhandelt. Die Nazis führten am 1. Januar 1934 die Militärgerichte wieder ein, verschärften die Strafen für Deserteure und setzten im Jahr darauf noch härtere Sanktionen fest.

Ein Film, der bemüht ist, dem Zuschauer die Notwendigkeit von Kattes Hinrichtung plausibel zu machen, ist durchaus als begleitende Maßnahme zu verstehen. Ob es auch in Preußen Militärgerichte gab oder nicht, und ob ein Preußenkönig - als historische Figur - so oder anders war, ist in diesem Zusammenhang nicht ganz so wichtig. Wichtiger ist, wie die Nazis das Preußentum, oder eine bestimmte Version davon, für ihre Zwecke instrumentalisierten. "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muß sterben", schreibt Hitler in Mein Kampf. Sein Regime setzte das dann in die Tat um. Bis 1945 wurden etwa 30.000 Deserteure, "Kriegsverräter" und Wehrdienstverweigerer von NS-Militärgerichten zum Tode verurteilt. Mehr als zwei Drittel dieser Urteile wurden vollstreckt. Tausende wurden in Zuchthäuser, Konzentrationslager und Sonderkommandos gesteckt, um sich im Kampfeinsatz zu "bewähren" wie der von Werner Hinz gespielte Fritz an der Oder, wo der Kronprinz gegen das Hochwasser kämpft, weil für den Fronteinsatz gerade kein Krieg zur Hand ist.

Verurteilte Deserteure und Verweigerer, die das Dritte Reich überlebt hatten, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten als Feiglinge und "Vaterlandsverräter" geschmäht, ausgegrenzt und diskriminiert. 2002, als fast alle von ihnen gestorben waren, wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Schandurteile der NS-Militärgerichte aufhob. Die Rehabilitierung von Der alte und der junge König ging bedeutend schneller. Von den Alliierten auf die Verbotsliste gesetzt, lief das Werk 15 Jahre nach Kriegsende - unwesentlich gekürzt und mit intakter Ideologie - wieder in (west)deutschen Kinos. Der Katholische Filmdienst stellte damals fest (30. November 1960), dass der Neustart für die junge Generation, die bisher keine Gelegenheit gehabt hatte, dieses Meisterwerk deutscher Film- und Schauspielkunst zu sehen, "ein Anlaß betroffen-ehrfürchtigen Staunens" sei. Möglicherweise war der Kritiker noch immer von den Festivitäten des Jahres 1935 geblendet, als er das schrieb.

Gruppenbild mit Nazis

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Hindenburg als Reichskanzler vereidigt. Die Nazis feierten dieses Ereignis dann alljährlich als den "Tag der nationalen Erhebung". Zum Festprogramm des Jahres 1935 gehörten mehrere Galavorstellungen von Der alte und der junge König, zu denen Repräsentanten des Staates, der Partei, der Wirtschaft und der Kunst erschienen. Die Veranstaltungen waren so gestaffelt, dass Rundfunk und Presse langsam anschwellende Lobgesänge anstimmen konnten. Dabei ergab sich ausreichend Gelegenheit, auf enge Verbindungen zwischen Preußentum und Nationalsozialismus hinzuweisen, was umso überzeugender wirkte, je öfter die willfährigen Medien es wiederholten.

"Weltpremiere" von Der alte und der junge König war am 29. Januar 1935 in Stuttgart, gefolgt von der Uraufführung für Westdeutschland am 1. Februar in Düsseldorf, bei der Hans Steinhoff, Emil Jannings und Adolf Engl anwesend waren. Der Reichssender Köln berichtete von der Premierenveranstaltung. Zur Begrüßung der Gäste war ein Trupp "langer Kerls" erschienen; darunter auch der Darsteller des Rekruten, zu dem Jannings im Film verwundert aufblickt, weil er so groß ist. Bei einer Pressekonferenz wurde Jannings ein Karnevalsorden umgehängt. Ganz so folkloristisch, wie man jetzt glauben könnte, war das aber nicht. Vor dem Kino hingen Fahnen mit dem Hakenkreuz. Neben dem Oberbürgermeister waren auch die örtlichen Bonzen von der SA und der SS gekommen. So gingen die Uniformen des alten Preußen und des Dritten Reichs eine - im Sinne der NS-Propaganda - gelungene Verbindung ein.

Adolf Engl, neben dem Emil Jannings im Premierenkino stand, um Reklame für seinen neuen Film zu machen (oder doch auch ein klein wenig für die Nazis?), war Besitzer einiger Kinos in Regensburg und München. In Düsseldorf mit dabei war er aber in seiner Funktion als Chef des Aufsichtsrats des NDLS, des von den Nazis dominierten Verleihs. Oder stand er doch als Amtsleiter in der Reichspropagandaabteilung der NSDAP neben Jannings, dem zufolge dieser mit dem Geld der NSDAP finanzierte Film mit Politik gar nichts zu tun hatte? Oder als Berater der Filmbeschaffungsstelle der NSDAP und Leiter der Gaufilmstelle Süd? Zwei Jahre vorher, gleich nach der "Machtergreifung", hatte Engl die Führung im Reichsverband der Lichtspieltheaterbesitzer übernommen und diesen im Sinne der Nazis umorganisiert. Engl war die treibende Kraft hinter dem Ausschluss jüdischer Verleiher und Kinobetreiber aus der Organisation gewesen und hatte den Film-Kurier zum offiziellen Organ des Verbandes gemacht. Vorher hatten die Nazis den jüdischen Gründer und Eigentümer des Film-Kurier, Alfred Weiner, hinausgedrängt und Luitpold Nusser (Leiter der Abteilung Filmpresse in der Reichspropagandaleitung der NSDAP) als Chefredakteur des - bis dahin - renommierten Fachblatts installiert.

Liebe muss verstanden sein

Von da an gehörte es bei Besprechungen mit dazu, das angeblich "typisch Deutsche" positiv hervorzuheben und das "Undeutsche" zu bemängeln. Wie das ging, kann man an Liebe muss verstanden sein sehen, Steinhoffs Verwechslungskomödie mit Charakteren, die ein sehr entspanntes Verhältnis zum Sex und zu bürgerlichen Moralvorstellungen haben. Zentraler Schauplatz ist ein Hotel in Dresden, wo die Paarbeziehungen fast so häufig gewechselt werden wie die Zimmer. Eine Farce wie diese, befand der Kritiker des Film-Kurier (5.8.1933), gehörte nach Paris und nicht nach Dresden: "Man zwingt nicht einen fernen, blutlosen, wirkungsarmen Film in eine reale deutsche Welt hinein." Der erfrischend unspießige Film war weder fern noch blutlos, hatte aber in Herbert Juttke einen jüdischen Drehbuchautor und in der Ungarin Rosy Barsony eine wie aufgedreht spielende Hauptdarstellerin, deren Karriere als Ufa-Star schon vorbei war, bevor sie richtig angefangen hatte, weil sie Jüdin war. Solche Kritiken dienten der von Goebbels verlangten "Säuberung" des deutschen Films. Die Autoren unserer Tage sollten das bedenken, wenn sie wieder einmal von den Inhaltsangaben des ebenfalls gleichgeschalteten Illustrierten Film-Kuriers abschreiben (dem in den Kinos verkauften Programmheft), wie es hierzulande schlechter Brauch geworden ist, wenn das Kino des Dritten Reichs behandelt wird. Jede Inhaltsangabe ist bereits Interpretation. Beim von den Nazis kontrollierten Illustrierten Film-Kurier diente sie der Lenkung des Publikums. Wer davon abschreibt, kopiert die Propaganda im ungünstigen Fall gleich mit.

Liebe muss verstanden sein

Am 4. Februar 1935 wurde in Berlin-Dahlem das Reichsfilmarchiv feierlich eröffnet. Anwesend waren Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Bei diesem Anlass wurden ein paar Kurzfilme aus der Stummfilmzeit gezeigt, Der alte und der junge König und Ausschnitte aus dem vierteiligen Epos Fridericus Rex (1922/23) des ungarischen Regisseurs Arsen von Csérepy (seit 1930 Parteimitglied), mit dem die durch deutsche Kinos schwappende Preußen-Begeisterung angefangen hatte. Tags darauf erlebte Steinhoffs Film seine feierliche Berlin-Premiere im Ufa-Palast am Zoo. Zur Begrüßung der Gäste traten wieder die "langen Kerls" des Soldatenkönigs an; dieses Mal steckten Angehörige des SA-Feldjägerkorps in den preußischen Uniformen. Das Musikkorps der Leibstandarte des Führers besorgte den musikalischen Auftakt. Damit sich der Aufwand lohnte, waren zwei Vorstellungen angesetzt. Begleitend gab es - wie schon in Stuttgart und Düsseldorf - geschlossene Veranstaltungen für Lehrer und Funktionäre der HJ. Steinhoff, Jannings und Thea von Harbou nahmen an einem Empfang für Vertreter der nationalen und internationalen Presse teil. Die Nazis schmückten sich gern mit Filmgrößen der Weimarer Republik wie Harbou und Jannings. Deren Präsenz täuschte eine Kontinuität vor, die es nicht mehr gab. Das war umso wichtiger, je mehr Filmschaffende das Land verließen.

Das Radio sendete vorab auf Wachsplatten aufgezeichnete Interviews mit den Hauptdarstellern, mit Steinhoff und mit Thea von Harbou sowie ein Gespräch über den Film, das Goebbels mit dem Reichsfilmdramaturgen Willi Krause und mit Arnold Raether führte, dem die Produktion überwachenden Oberregierungsrat im Propagandaministerium. In Deutschland war das die erste große Rundfunksendung dieser Art, eine unterhaltsame Mischung aus Reklame für einen Kinofilm und für dessen politische Botschaft. Das kam so gut an, dass das Programm am nächsten Tag wiederholt und etwas in der Art auch für Triumph des Willens produziert wurde, den Reichsparteitagsfilm von Leni Riefenstahl. Steinhoff ging dann auf Tournee und wohnte weiteren Premieren in großen Städten wie München oder Hamburg bei. Im März wurde er gemeinsam mit Jannings und den Chefs des NDLS von Hermann Göring empfangen. Laut der Zeitschrift Der Film (23.3.1935) erkannte der Ministerpräsident von Preußen (Göring war auch Reichsminister für Luftfahrt und Reichstagspräsident) eine "Ähnlichkeit der staatsmännischen Aufgaben, die der große Soldatenkönig und er selbst übernommen haben, und die darin lägen, die Grundlage für eine künftige Größe des Vaterlandes zu schaffen."

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