Emil und der Turm des Königs: Geschichte einer Verstrickung

Seite 3: Dissonanzen in der Garnisonkirche

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Das mit der "Größe des Vaterlandes" klappte dann nicht so gut, obwohl Hermann Burte 1940, bei seiner Weimarer Rede über Hitlers geistige Verwandtschaft mit Goethe und Friedrich dem Großen, prophezeite: "Aber seitdem der Geist Hitlers in Deutschland lebt, sucht man nicht mehr den tragischen, im letzten Kern süßen Untergang, sondern den harten, helltäglichen, ausdauernden Emporgang." Burte zum Trotz fand man schließlich doch den Untergang. Das Vaterland wurde kleiner und näherte sich erst durch die Wiedervereinigung der alten Größe an. Auf unserer Reise durch die in Deutschland gepflegten Formen der "Vergangenheitsbewältigung" bringt uns das vorübergehend in die DDR, wo man den Antifaschismus zum Gründungsmythos verklärte und zur Staatsraison erhob. Skandale wie der um Burtes Geburtstagsfeier wurden dort gern als Beweis dafür genommen, dass vom NS-Regime ein direkter Weg in die BRD und zum US-Imperialismus führte. Nach Lesart der SED war die Bundesrepublik der Nachfolgestaat des Dritten Reichs. Eher unangenehme Aspekte der eigenen Vergangenheit ließen sich so im Westen abladen oder, nach dem Bau des "antifaschistischen Schutzwalls", über die Mauer werfen. In beiden deutschen Staaten, West wie Ost, entzog man sich sehr trickreich einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, obwohl dauernd das Gegenteil behauptet wurde. Da muss keiner mit dem Finger auf den anderen zeigen.

Garnisonkirche in Potsdam. Gemälde von Carl Hasenpflug (1827)

1959, als die Brüder und Schwestern im Westen den Achtzigsten des multiplen Ehrenbürgers Hermann Burte mit so vielen Festivitäten begingen, dass sie vier Tage dafür brauchten, kam ein junger Kirchenjurist namens Manfred Stolpe, von 1990 bis 2002 Ministerpräsident des "neuen Bundeslandes" Brandenburg, nach Potsdam. Das konnte man in vielen Artikeln lesen, beispielsweise in der Zeit, seit der Streit um die Garnisonkirche entbrannt ist, in der man - je nach Perspektive - ein Meisterwerk norddeutscher Barockarchitektur, einen Tempel des preußischen Militarismus oder ein steinernes Zeugnis der Nazidiktatur sehen kann. "Sehen" ist dabei nicht wörtlich gemeint, denn derzeit existiert das Gebäude nur virtuell. Damals, 1959, stand noch, was nach dem Zweiten Weltkrieg von der Garnisonkirche übrig war, und der Pensionär Manfred Stolpe ist jetzt einer der prominentesten Befürworter eines Wiederaufbaus der alten Kirche und ihres markanten Turmes.

Die Geschichte dieses Projekts begann schon vor der Wiedervereinigung, in Paderborn. Max Klaar, Offizier der Fallschirmspringer und "rechtskonservativ" (was darunter zu verstehen ist hat man schnell kapiert, wenn man im Internet eine der Mitteilungen liest, mit denen er die "lieben Kameradinnen und lieben Kameraden" beglückt), gründete dort 1983 die "Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.", die nun Spenden sammelte, vom Wiederaufbau der Garnisonkirche träumte und als ersten Schritt das Glockenspiel finanzierte. Einem aktuellen Klaar-Text auf der Webseite des Verbandes deutscher Soldaten entnehme ich, dass diese Interessengruppe in einer Broschüre nachgewiesen hat, "dass Deutschland am II. Weltkrieg nun wahrlich nicht allein schuldig ist" (die Ursachen und Folgen dieses Krieges "gehen direkt auf das Versailler Diktat zurück, womit sich die Sieger ein beispielloses Unterdrückungsinstrument gegen Deutschland schufen, das nach 1945 in noch weit widerlicherer Weise übertroffen werden sollte"), dass "Lehrbücher mit fragwürdigem Wahrheitsgehalt" die deutsche Jugend verbilden, dass die "Verwaltung Deutscher Schuld" (alles groß geschrieben) "bis heute als Hilfsmittel zur Unterdrückung der Deutschen" dient und dass es gilt, "die deutschen Dissonanzen aufzuzeigen, welche unsere Nachfolge-Generation inzwischen völlig irre" machen.

Nicht irremachen ließen sich scheinbar die "jungen Soldaten vom Fallschirmjäger-Bataillon 271[…], als sie am 17. Juni 1987 das wiedererrichtete Potsdamer Glockenspiel in die treuhändlerische Obhut nahmen [in einem Kasernenhof in Iserlohn] und sich verpflichteten, es im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands nach Potsdam zu überführen." "So geschah es", schreibt der Oberstleutnant in etwas holprigem Deutsch, "und wurde dort 1991 am 14. April, dem Tag, an dem das alte Glockenspiel der Garnisonkirche 1945 im verbrecherischen Bombenhagel auf die Zivilbevölkerung verglühte, an Brandenburgs Landeshauptstadt übergeben." Die Landeshauptstadt entfernte dann erst mal politisch heikle Inschriften wie "Schlesien" und "Ostpreußen", weil die Polen immer so empfindlich sind, obwohl sie uns - Wortbeiträgen auf den VdS-Seiten zufolge - 1939 den Krieg erklärt haben, weshalb Hitler reagieren musste.

A propos "treuhändlerisch" (das "l" ist von Klaar und nicht von mir): Der vom Oberst a. D. geführte Verband bietet gerade Bücher-Restbestände zu Sonderpreisen feil. Den Band Der konventionelle Enthauptungsschlag im Kontext moderner Kriege kann man genauso zum halben Preis kaufen wie die Chronologie der Kriegsschuldfrage oder ein Werk mit dem Titel Der aktuelle Steuerratgeber für Rentner und Ruhestandsbeamte. Wer mag, kann die gesparte Summe für den Wiederaufbau der Garnisonkirche spenden. Die Baukosten werden derzeit auf rund 100 Millionen Euro geschätzt. Ein großer Batzen davon (wer glaubt, dass es bei den veranschlagten 41 Millionen für den Turm bleibt, der zuerst errichtet werden soll, ist selber schuld) wird aus dem Steuersäckel kommen, während anderswo kein Geld für die Sanierung von Schulen und Kindergärten da ist und die Risse in den Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals immer größer werden.

Das Ding muss weg

Gut, das war jetzt polemisch. Man soll einzelne subventionsbedürftige Bereiche des kulturellen Lebens nicht gegeneinander ausspielen, und der Oberstleutnant a. D. Max Klaar hat sich inzwischen mit der Fördergemeinschaft überworfen, die nun ohne die von seinem Verein gesammelten sechs Millionen auskommen muss, wenn ich das richtig verstanden habe. Formulieren wir es so: Der Wiederaufbau der Garnisonkirche, obwohl einst, als sie noch in Potsdam stand, ein Kleinod deutscher Baukunst, ist nicht ganz unproblematisch. Längst hat sich deshalb der Widerstand formiert. Obwohl der Stadtrat ein von den Gegnern geplantes Bürgerbegehren jüngst durch ein taktisches Manöver ins Leere laufen ließ, scheint das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen. Die Befürworter, auf deren Webseite der Freund des Projekts einen Ziegelstein für die Garnisonkirche spenden kann, räumen derweil ein, dass man den Bürgern, die sich in die Unterschriftenlisten der Gegner eingetragen haben, eventuell nicht genau genug vermittelt hat, was bezweckt wird. Das könnte sein.

Geplant ist ein Zentrum für Frieden und Versöhnung, kein Disneyland für Preußenfans und keine Pilgerstätte für Rechtsextreme. Allerdings hat man das bisher weder den Gegnern noch den Traditionalisten im eigenen Förderverein überzeugend kommuniziert, denn Letztere wollen einen originalgetreuen Nachbau und haben offenbar verhindert, dass ein Nagelkreuz von Coventry auf den Turm kommt. Der Gedanke zur Gründung der Nagelkreuzgemeinschaft geht auf den verheerenden Angriff der deutschen Luftwaffe auf die britische Stadt Coventry am 14. November 1940 zurück. Am 14. April 1945, als aus Burtes "Emporgang" doch ein Untergang geworden war, bombardierte die Royal Air Force Potsdam. Die Garnisonkirche und ihr Turm gerieten dabei in Brand. Am 22. Juni 1967 besuchte Walter Ulbricht die Stadt, sah die Kirchenruine und ordnete an, dass sie zu verschwinden habe, weil er kein Preußen- und/oder Nazimonument dort haben wollte, sondern sozialistische Architektur.

Ruine der Garnisonkirche in Potsdam(1966). Bild: Ulamm. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Auch das ist eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit umzugehen. Man macht sie platt und stellt etwas anderes hin. Nur bitte: Keine Diskussion und keinen Widerspruch (die Stärke freier Gesellschaften). Die Vernichtung der Ruine sollte ohne Aufsehen über die Bühne gehen. Es durften keine Photo- und Filmaufnahmen gezeigt werden, Berichte über die Aktion waren unerwünscht. Ganz aber wollte der Arbeiter- und Bauernstaat doch nicht darauf verzichten, seinen Triumph über Preußen und Nazis im Bild festzuhalten. Aus der Sprengung des Turms der Garnisonkirche am 23. Juni 1968 wurde ein Spreng-Lehrfilm der DDR, obwohl der Sprengtrupp des VEB Spezialbaukombinats Verkehrsbau Magdeburg zunächst versagt und die Stabilität des Fundaments falsch berechnet hatte. Bei einem ersten Sprengversuch am 19. Juni blieb die Hälfte des Bauwerks stehen. Im zweiten Anlauf klappte es dann besser.

Ein Nagelkreuz von Coventry krönte den Turm natürlich nicht, als die Garnisonkirche 1735 fertiggestellt wurde, und ich nehme stark an, dass sich Friedrich Wilhelm I. nicht mit einem Bürgerbegehren herumplagen musste, als er den Befehl gab, die Kirche zu errichten. Früher war irgendwie doch alles besser. Wer würde da den Oberstleutnant a. D. Klaar nicht verstehen, wenn er die Garnisonkirche als "Denkmal und Symbol des christlichen Preußens" haben will, eine Rekonstruktion im Sinne der Wiederbelebung preußischer Traditionen (oder was er dafür hält), und wenn er sich gegen einen "zeitgeistigen, polit-historischen Missbrauch der Garnisonkirche zur Volkspädagogik" ausspricht, also gegen die Kirche als Mahnmal und als "Lernort", wie das heute heißt, wenn man den Besuchern sagt, was für eine Geschichte ein Gebäude hat. Vielleicht kann man Herrn Klaar besänftigen (und doch noch seine Millionen kriegen), indem man ein Informationszentrum anbaut und dort Der alte und der junge König als Endlosschleife zeigt. Nein, das wird nicht gehen. Ein weiterer volkspädagogischer Missbrauch wäre unvermeidlich, wenn sich die nicht-rechtskonservativen Förderer nicht fürchterlich blamieren wollen.

Nazis müssen leider draußen bleiben

Der alte und der junge König beginnt und endet in Potsdam - nicht weil man die Geschichte von Friedrich dem Großen und seinem Vater nur so erzählen kann, sondern weil sich die Drehbuchautoren und der Regisseur dafür entschieden haben. Potsdam und die Garnisonkirche sind wichtige, politisch aufgeladene Bezugsgrößen in diesem Film, das Scharnier zwischen Preußen und dem Dritten Reich - nicht unbedingt, weil das historisch korrekt ist (worüber ich hier nicht urteilen will), sondern weil die Nazis die Garnisonkirche dazu gemacht hatten. Die erste Einstellung ist programmatisch. Man sieht ein steinernes Bauwerk, die Kamera schwenkt nach oben, es ist der Turm der Garnisonkirche. Auch wenn der Soldatenkönig dem dort tätigen Pfarrer etwas später eine Sanduhr schenken wird, damit er weiß, wann er zum Schluss seiner Predigt kommen sollte: diese Kirche hat keinerlei narrative Funktion. Der Turm wird nicht gezeigt, um den Schauplatz zu etablieren, eine religiöse Gestimmtheit zu evozieren oder etwas ähnliches, sondern weil er eine symbolische Bedeutung hat.

Postkarte zum "Tag von Potsdam"

Als der Film gedreht wurde und dann im Kino lief, musste man reichlich uninformiert sein oder ein tumber Tor, um nicht zu wissen, was für ein symbolischer Ort diese Kirche war, denn die NS-Propaganda hatte im Rahmen ihrer Art von Volkspädagogik ganze Arbeit geleistet. Am 21. März 1933 fand in der Garnisonkirche die Eröffnungsfeier des neu gewählten Reichstags statt, nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar. Propagandistisch aufbereitet wurde das Ganze als "Tag von Potsdam". Zum Internetauftritt der Befürworter des Wiederaufbaus (Motto: "Wiedergewinnung der historischen Mitte Potsdams") gehört eine Frage-und-Antwort-Seite. Zur Frage nach der Bedeutung des 21. März 1933 wird ausgeführt:

Die Garnisonkirche Potsdam wurde aufgrund des Reichstagsbrandes als Ort für die Eröffnung des Reichstages ausgewählt. Nach Protesten der Kirchenleitung kam man darin überein, dass nur die Feierlichkeiten zur Eröffnung in der Garnisonkirche stattfinden sollten, die eigentliche Sitzung fand dann in der Berliner Krolloper statt. Der "Tag von Potsdam" entfaltet heute seinen Schrecken in Bildern, die Hitler zujubelnde Menschenmengen zeigen, und nicht durch das Betreten der Kirche durch Hitler.

Wer immer dieses Geschwurbel fabriziert hat: es zeigt, in welchem Dilemma die Fördergemeinschaft steckt. Trotz finanzieller Zusagen von Bund und Land wird aus dem Nachbau nur etwas werden, wenn man Spendengelder in zigfacher Millionenhöhe sammelt. Potentielle Großspender aber, schreibt die Zeit nach einem Gespräch mit Manfred Stolpe, zieren sich, weil sie in der Regel aus Familien stammen, "wo die Großväter unter Hitler das Geld gemacht haben. Die haben Angst, vorgeführt zu werden als Sponsoren einer Nazikirche." Spendenfreudig sind auch vor allem wohlhabende Anhänger ihrer jeweiligen Version vom "alten Preußen". Solche Geldgeber wollen aber einen originalgetreuen Nachbau und keine Kopie des Originals mit Versöhnungsecke und Warnhinweis zur Kontamination des ursprünglichen Gebäudes durch seine Funktion im Dritten Reich. Was macht man in einer solchen Situation? Man versucht, die Nazis draußen vor der Tür zu halten. So, wird sich der Verfasser gedacht haben, besänftigen wir die Spender, die ein Preußen-Revival ohne NS-Verbindung wollen und auch die Gegner, denen wir sagen, dass die Kirche mit dem Dritten Reich im Grunde nichts zu tun hatte. Gelingen kann das aber nicht.

Beim Lesen dieses Textes, der Antworten suggeriert und keine gibt, musste ich unwillkürlich an die Anekdote von Guy de Maupassant denken, der gegen die Errichtung des Eiffelturms opponiert hatte und dann immer im Turmrestaurant zum Essen ging, weil das der einzige Ort in Paris war, wo er das Ding nicht sehen musste. So ähnlich scheint es mit dem Dritten Reich gewesen zu sein. Dessen Schrecken entfalteten sich draußen vor der Tür, in Form der Hitler zujubelnden Menschenmengen, aber innen drin, im sakralen Raum der Kirche, sah man nichts davon. Und Hitler selbst, was war mit ihm? Der Antworttext, der keiner ist, bleibt seltsam unbestimmt. Man kann erschließen, dass der Diktator wohl hineinging in die Kirche (aber ohne Schreckentfaltung), denn die Eröffnungsfeierlichkeiten fanden - laut Text - im Gebäude statt und nicht auf dem Platz davor. Im Reichstag hatte es gebrannt, man brauchte einen Ausweichort. Nur: Warum Potsdam? Gab es keine anderen Häuser in und um Berlin, wo man das hätte machen können? Und warum am 21. März? Antwort: Wegen der Symbolik.

Tag von Potsdam

Am 21. März 1871 fand die Eröffnung des neu gewählten Reichstags, des Parlaments im deutschen Kaiserreich, im Weißen Saal des Berliner Schlosses statt (das Reichstagsgebäude musste erst noch gebaut werden). An diesem Tag ernannte Kaiser Wilhelm I. Bismarck zum Reichskanzler. Mit Bismarck verband man dann die Erinnerung an die Reichsgründung und eine glorreiche Vergangenheit (inklusive mehrerer Eroberungskriege). Daran, behauptete die NS-Propaganda bei jeder sich bietenden Gelegenheit, werde man nun anknüpfen. Darum musste es der 21. März sein, an dem die "Wiedergeburt der Nation" gefeiert wurde (als Diktatur mit Rassenwahn und blutig endenden Weltmachtsträumen). Und Potsdam? Friedrich Wilhelm I., der in Steinhoffs Film von Emil Jannings gespielte Soldatenkönig, wurde 1740 in der Gruft der Garnisonkirche beigesetzt. Der Platz neben ihn war für seine im Film mit fremden Mächten konspirierende Gattin vorgesehen. Sophia Dorothea allerdings wollte nicht neben ihrem Mann zur letzten Ruhe gebettet werden und konnte sich dessen Wunsch entziehen, weil sie nach ihm starb. Sie wurde 1757 in der Berliner Schloss- und Domkirche beigesetzt.

Der alte und der junge König

Der Sohn des Paares, Friedrich der Große, wollte auch nicht in der Garnisonkirche enden, sondern verfügte testamentarisch, dass man ihn auf der Terrasse von Schloss Sanssouci bestatten solle. Neben seinem Vater in der Gruft aber war durch den Verzicht der Mutter ein Platz frei geworden, und dort wurde der Sohn 1786 beigesetzt, ob er das gewollt hatte oder nicht. Danach wurde die Garnisonkirche, in der man außer den Leichen der beiden Könige auch die Trophäen diverser Kriege aufbewahrte, "zu einer Art Walhalla des preußisch-deutschen Aufstiegs zur europäischen Großmacht", wie der Historiker Martin Sabrow sagt; oder auch zum "Symbol des Jüngstgeborenen im alten Europa, des Militärstaats Preußen", das Theodor Fontane bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg "steif-grenadierhaft" am Horizont stehen sah.

Die Garnisonkirche gab den Schauplatz für allerlei historische Momente ab. 1805 besuchten König Friedrich Wilhelm III., seine Gattin Luise und Zar Alexander I. die Gruft, um dort die Allianz ihrer Länder im Kampf gegen Frankreich zu besiegeln (Wolfgang Liebeneiner, nach 1945 sehr darauf bedacht, nicht an seine Vergangenheit als führender Regisseur des NS-Propagandakinos zu rühren, ließ das wohlweislich weg, als er Mitte der 1950er die Preußen-Schmonzette Königin Luise drehte). 1806 schaute Napoleon vorbei, nachdem er die preußischen Truppen bei Jena und Auerstedt besiegt hatte. Mit Friedrich dem Großen an Preußens Spitze, soll er an dessen Sarg gesagt haben, wäre das nicht passiert. Der 21. März 1933 aber, an dem zum feierlichen Staatsakt in die Garnisonkirche gebeten wurde, stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten.

Wie sehr die Kirchenleitung protestieren musste, um die erste Sitzung des Reichstags in der Kirche zu verhindern, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls ging es um 10 Uhr vormittags, nach einem morgendlichen Platzkonzert mit Militärkapellen vor dem Potsdamer Stadtschloss, mit einem Gottesdienst in der Nikolaikirche los (für die katholischen Mitglieder von Reichstag und Regierung wurde in der katholischen Pfarrkirche ein feierliches Hochamt zelebriert). Ein Generalsuperintendent hielt die Predigt, der Pfarrer der Nikolaikirche sprach den Segen, dann begaben sich die hohen Herrschaften nach draußen, wo die SA, die SS, der Stahlhelm (der "Bund der Frontsoldaten") und andere uniformierte Verbände ein Spalier gebildet hatten. Durch dieses Ehrenspalier schritt man von der Nikolaikirche zur Garnisonkirche. Dort begann um 12 Uhr der feierliche Staatsakt, eingeleitet durch Chorgesang und Orgelspiel. Reichspräsident Hindenburg begrüßte die Regierung und die Abgeordneten, dann gab Hitler seine Regierungserklärung ab.

Diese Informationen entnehme ich der Gedenkausgabe der Zeitschrift Die Woche zum "Tag von Potsdam", erschienen am 12. April 1933. Für 20 Pfennig konnte man sich da ein Erinnerungsalbum kaufen, ein nachträglich erstelltes Programmheft zur Veranstaltung: mit Abdruck der Führerrede und vielen Photos, damit auch diejenigen, die nicht dabei gewesen waren, sehen konnten, wie sich die Nazis als Nachfolger des "Alten Fritz" und seines Vaters inszenierten. Der Führer sprach: "Möge uns dann aber auch die Vorsehung verleihen jenen Mut und jene Beharrlichkeit, die wir in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raume um uns spüren, als für unseres Volkes Freiheit und Größe ringenden Menschen zu Füßen der Bahre seines größten Königs." Der "geheiligte Raum", das ist nicht draußen vor der Tür (zwecks weiterer Festivitäten mit Hitler-Zujubeln gab es dort eine Ehrentribüne), sondern das Innere der Garnisonkirche.

Auf den Photos vom Ereignis sieht man Hindenburg, stehend in der Kirche (beim Verlesen seiner Begrüßungs- und Eröffnungsworte), und dann sitzend, während Hitler, dem Reichspräsidenten gegenüber an einem Rednerpult und im für ihn ungewohnten Frack, die Regierungserklärung vorträgt. Für mich sind das Gruselbilder aus den Anfangstagen des Dritten Reichs, auf denen zu erkennen ist, wie Gangster salonfähig gemacht werden. Jeder, der sich mit ihnen photographieren ließ, trug dazu bei, ob er wollte oder nicht. Das gehobene Bürgertum sitzt neben Angehörigen der SA auf der Kirchenbank, des von Ernst Röhm geführten Schlägertrupps der Nazis. Offiziere der regulären Streitkräfte stehen neben Männern in schwarzen Anzügen und solchen in den Uniformen der paramilitärischen Organisationen der NSDAP. Und mitten drin der betagte Reichspräsident in seiner Generalfeldmarschallsuniform, der sich nach Hitlers Regierungserklärung zur Kranzniederlegung in die Königsgruft begab, während im Lustgarten ein Batterie-Regiment 21 Salutschüsse abfeuerte. Für Hans Steinhoff war das perfekt. Im Fall des Turms der Garnisonkirche, mit dem er Der alte und der junge König einleitete, sagte ein Bild tatsächlich mehr als tausend Worte.

Demnächst dann die Amtsübergabe vom alten an einen König, der 1933 auch nicht mehr ganz jung war: Emil grüßt den Führer

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