Emil grüßt den Führer: Geschichte einer Verstrickung

Der alte und der junge König

Das Dritte Reich im Selbstversuch (17): Der alte und der junge König - Teil 3

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Die Freunde der Garnisonkirche müssen damit leben, dass die Nazis dem Gebäude in ihrer Propaganda-Inszenierung mit dem Titel "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 eine Rolle zuwiesen, für die es sich bestens eignete: die der steinernen Zeugin einer großen deutschen Vergangenheit, die beglaubigte, dass Adolf Hitler nun die Nachfolge der Preußenkönige antrat (und des "Reichsgründers" Otto von Bismarck, der in der Regierungserklärung des neuen Kanzlers nicht fehlen durfte) - unabhängig davon, ob das historisch richtig war oder nicht. Auf die Wirkung kam es an. Die Wahl des Schauplatzes garantierte die gewünschte, zumindest assoziative Verbindung. Das wusste auch Hans Steinhoff, als er Der alte und der junge König drehte. Der Turm der Garnisonkirche zum Auftakt seines Films ist das Signal, dass es hier mindestens so sehr um ein irgendwie geartetes Preußentum geht als um die Nationalsozialisten, in deren Reich dieser Turm inzwischen stand und von denen er längst gekapert worden war. Indoktrination funktioniert da am besten, wo nichts direkt ausgesprochen werden muss und sich doch im Kopf des Zuschauers die gewünschten Verbindungen einstellen.

Teil 2: Emil und der Turm des Königs

Nach vollzogenem Staatsakt zur Eröffnung des neu gewählten Reichstags in der Potsdamer Garnisonkirche, und nachdem er dem Soldatenkönig und seinem Sohn die Referenz erwiesen hatte (respektive deren Särgen in der Königsgruft), ging Reichspräsident Hindenburg nach draußen, um Paraden der Schutzpolizei und des Stahlhelm abzunehmen, eine Paradeaufstellung der SA abzuschreiten und dergleichen mehr. Ein weniger geschickter Verkäufer seiner selbst wäre dem alten Mann beim Paradieren vorangegangen. Hitler als neuer Reichskanzler hielt sich am "Tag von Potsdam" dezent zurück, weil auch die Bescheidenheit dessen, der nichts weiter will als dem Vaterland in der Stunde der Not zu dienen, Teil der Inszenierung war.

Die Marschformation entfaltet ihren Schrecken

Mehr Militär, uniformierte Polizei und Paramilitär als bei dieser Parlamentseröffnung, also eigentlich einer recht zivilen Angelegenheit, war kaum unterzubringen, wenn man nicht ganz auf Männer ohne Uniform verzichten wollte. Die Bilder dokumentieren die nun rasch fortschreitende Militarisierung der deutschen Gesellschaft. Es brauchte dazu nicht unbedingt ein braunes Hemd oder einen Totenkopf auf dem Kragenspiegel. Ihre Wirkung taten auch die vielen schneidigen Offiziere in den im Dritten Reich so beliebten Kostümfilmen, in ihren Uniformen aus vergangenen Jahrhunderten. Sie lieferten die verharmlosende Begleitmusik zum Umbau des Landes in einen Polizei- und Militärstaat. In Der alte und der junge König kann man sehen, wie sich der Militarismus, die Uniformierung und die Macht in allen Bereichen des Lebens einnisten. Von der Garnisonkirche, gebaut zur Verschränkung von Staat und Religion, bringt uns die Kamera ins Schloss. Die königliche Familie wird von Trommlern in Uniform geweckt. Vor dem Frühstück müssen die Kinder nach Alter und Größe Aufstellung nehmen. Bei Tisch liest der Soldatenkönig aus der Bibel vor. Dann inspiziert er im Kasernenhof die Truppen, wie er zuvor seine Familie inspiziert hat. Der Film braucht nur wenige Minuten, um das Private und das Öffentliche, den Staat und die Religion so zu vermischen, dass eine Trennung nicht mehr möglich ist.

Der Schrecken, schreibt die Fördergemeinschaft für den Nachbau der Garnisonkirche, entfaltet sich "in Bildern, die Hitler zujubelnde Menschenmengen zeigen". Ich bin anderer Meinung. Auf einer Seite der von der Woche vertriebenen Gedenkausgabe zum "Tag von Potsdam" sind zwei Photos abgedruckt, auf denen zu sehen ist, wie Uniformierte die Schaulustigen nach hinten drängen, um die Straße freizuhalten. Der Text dazu: "Stellenweise war es den Absperrungsmannschaften unmöglich, die begeistert herandrängende Menge zurückzuhalten." Ob die Menge tatsächlich begeistert war, oder ob sich da nur Leute nach vorne drängeln, um einen möglichst guten Blick auf das bevorstehende Spektakel zu haben, ist reine Interpretation. Für mich persönlich steckt der Schrecken in dem, was nicht gezeigt wird und doch immer präsent ist: in der Marschformation der uniformierten Verbände, für die uniformierte Ordner den Weg freihalten.

Hitler und Reichspräsident von Hindenburg am Tage von Potsdam. Bild: Theo Eisenhart, Deutsches Bundesarchiv (183-S38324). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Der Käufer der Gedenkausgabe sollte das natürlich ganz anders sehen. Illustrierte Blätter wie dieses wirkten daran mit, den Nationalsozialisten die Deutungshoheit über das Ereignis zu sichern. Der Scherl Verlag, in dem Die Woche erschien, gehörte längst zum Medienimperium von Alfred Hugenberg, Reichsminister für Wirtschaft und Ernährung in Hitlers "Kabinett der nationalen Erneuerung". Die in großer Auflage verbreitete Gedenkausgabe mit dem Aufmarsch der Uniformen war Teil der Propaganda. Ebenfalls uniformiert sind einige Preußen-Prinzen, auf die in den Bildbeschreibungen besonders hingewiesen wird. Auch das dient der Legitimierung des Reichskanzlers Adolf Hitler und seiner Parteikader.

In Potsdam endete der Tag, wie er begonnen hatte: mit einem Militärplatzkonzert. Die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder waren inzwischen nach Berlin zurückgekehrt, wo wieder viel marschiert oder in Reih und Glied gestanden wurde. Auf den Schulterschluss zwischen Kirche und angehendem NS-Staat legte man auch in der Hauptstadt großen Wert. Im Schlüterhof des Kaiserschlosses gab es einen Festgottesdienst der Berliner Garnison. Pünktlich zur Eröffnung des Reichstages in der Garnisonkirche in Potsdam läuteten überall im Land die Glocken; nicht alle Pfarrer gaben ihre Kirche dafür her, sehr viele aber doch. Um 17 Uhr begann die erste Reichstagssitzung in der Berliner Krolloper, um 18 Uhr eine Festvorstellung von Richard Wagners Meistersingern in der Staatsoper Unter den Linden (die neue Regierung, mit Hitler, Goebbels, Göring und Konsorten, erschien zum dritten Akt, damit man sie dort photographieren konnte). Das gemeine Volk durfte unterdessen wieder Uniformierten beim Marschieren zusehen. Programmübersicht der Woche: "20 Uhr - Fackelzug der SA, SS, des Stahlhelm, der Studenten und zahlreicher nationaler Verbände durch die Straßen Berlins."

Spielball der Nazis

Der Gedenkausgabe zum "Tag von Potsdam" ließ Die Woche eine Sondernummer zum "Geist von Potsdam" folgen, mit einleitenden Worten von Reichsminister Hugenberg und Beiträgen wie "Der Grenadier", "König und Bürger" und "Der Geist der alten Märsche". Als Sinnbild des Geists (bzw. Ungeists) von Potsdam immer wieder gern genommen wurde die Garnisonkirche mit den sterblichen Überresten der beiden Könige (die 1943 ausgelagert und so vor der Einäscherung durch alliierte Bomber bewahrt wurden). Die Symbolik am Anfang von Steinhoffs Film, nehme ich an, war für einen Zuschauer des Jahres 1935 schwer zu übersehen. Obwohl der Film mit dem Tod des alten Königs im Jahre 1740 endet, war durch die Garnisonkirche auch der NS-Staat mit dabei - durch eine jener assoziativen Verbindungen, gegen die man sich schlecht wehren kann, weshalb sie in der Propaganda so beliebt sind. Wer den "Tag von Potsdam" schon wieder vergessen hatte, konnte die Erinnerung durch einen Blick ins Portemonnaie auffrischen. Zum Gedenken an das Ereignis wurden 1934 und 1935 Münzen zu 2 und 5 Reichsmark in Umlauf gebracht. Auf einem Teil der Münzen war nur die Garnisonkirche zu sehen, auf einem anderen auch das Datum, "21. März 1933" (die Jahreszahl von zwei Hakenkreuzen umrahmt). Das war die gewünschte Assoziationskette: das Preußen Friedrichs des Großen und das Deutschland Adolf Hitlers, verbunden durch den "Tag von Potsdam" (auch "Tag der Nation" genannt).

Bild: Haruspex. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Nach den Sondervorführungen zum "Tag der nationalen Erhebung", zur Eröffnung des Reichsfilmarchivs und so weiter luden das NDLS und Ernst Hanfstaengl am 27. März 1935 zu einer neuerlichen Galavorstellung von Der alte und der junge König, dieses Mal in den Potsdamer Charlott-Lichtspielen. Hanfstaengl, ein alter Wegbegleiter Hitlers, war Auslands-Pressechef der NSDAP. Eingeladen waren daher, neben den Würdenträgern von Staat und Partei, auch Vertreter ausländischer Medien. Die Kapelle der Leibstandarte Adolf Hitler schlüpfte wieder in ihre friderizianischen Uniformen und sorgte für die musikalische Umrahmung. Göring hatte die Schirmherrschaft übernommen. Bevor man ins Kino ging, traf man sich bei Kerzenlicht in Schloss Sanssouci, um Kompositionen von Friedrich dem Großen zu hören wie im Film die alten Preußen in Schloss Rheinsberg. Viele der illustren Herrschaften, die da deutsche Kultur genossen, dürften sich tags darauf im Ufa-Palast am Zoo wieder begegnet sein. Am 28. März fand die Premiere von Triumph des Willens statt.

Jannings und Steinhoff waren am 28. März in Wien, als Ehrengäste der Österreich-Premiere von Der alte und der junge König. Im Ufa-Tonkino saßen sie neben Franz von Papen, Hitlers Vor-Vorgänger als Reichskanzler, dann Steigbügelhalter des Führers und Vizekanzler in dessen Kabinett und inzwischen Botschafter in Wien. Der Korrespondent des auf Linie gebrachten Film-Kuriers berichtete den deutschen Volksgenossen von allgemeiner Begeisterung und minutenlangen Ovationen für die angereisten Gäste nach der Vorstellung. Nicht berichtet wurde von den Tumulten rund um diese Uraufführung. In Österreich gab es lange vor dem "Anschluss" gut organisierte Nazi-Gruppen, die bei regimefreundlichen Filmen für den Jubel sorgten und auch mal für Randale, wenn sie die Absetzung ihnen nicht genehmer Werke erzwingen wollten (berühmtestes Beispiel: Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse). Die vom Film-Kurier vermeldete Begeisterung werteten die Behörden als Nazi-Demonstration. Der alte und der junge König wurde verboten und erst mit Schnittauflagen wieder freigegeben. In einem Brief (5.5.1935) an seinen Bruder Walter schilderte Jannings die Vorkommnisse wie folgt:

In Wien war ich bei der Premiere vom Alten und jungen König Gegenstand großer Nazidemonstrationen. Ich saß neben Herrn von Papen, der uns zu Ehren am nächsten Tage ein großes Frühstück gab. Die Juden beschimpften den Film, die Nazis schrien: Heil Jannings, Heil Deutschland. Dies pflanzte sich auf der Straße fort. Ich verstehe die Welt nicht mehr, denn bei diesem Film, den ich für meine reifste Leistung halte, habe ich weder an Nationalsozialismus, noch an Juden gedacht. Eine Vater und Sohn-Tragödie ohne Kitsch, ohne Verlogenheit, ohne Hurra-Patriotismus, nur das wollte ich zeigen und werde trotzdem zum Spielball politischer Gegensätze. Es ist zum Kotzen.

Der arme Mann. Zum Spielball von Juden und Nazis geworden, obwohl alles - wenn wir Jannings glauben wollen - ganz unpolitisch gemeint war. Sein Biograph Frank Noack pflichtet ihm bei und schreibt: "Der Film gibt ihm recht. Obwohl der alte König mit den Worten ‚Mach Preußen groß!’ auf den Lippen stirbt, ist Friedrich Wilhelm I. als Politiker kaum präsent, nur als autoritärer Vater, der sich von seinem Sohn missverstanden fühlt." Ich weiß nicht, was für einen Film Noack da gesehen hat. Man braucht weder monumentale Schlachtengemälde noch Kabinettssitzungen, um Reklame für ein autoritäres Regime zu machen. Das Publikum im Dritten Reich (sehr schnell mehr als vier Millionen) sah einen Film, in dem die Charaktere Sätze sagen wie diese: "Der König mordet nicht, sein Wille ist Gesetz. Und was sich ihm nicht beugt, das muss er vernichten." Bei Königs rollt eben mal ein Kopf, wenn der Generationenkonflikt zum Ausbruch kommt, den außer Jannings auch die gleichgeschaltete, von Goebbels entsprechend instruierte Presse entdeckte. Bis heute wird das von Kritikern, Filmhistorikern, in Internetforen und den Kundenkommentaren auf den Webseiten des Versandhandels brav nachgebetet, was der Minister für Volksaufklärung posthum als einen schönen Erfolg für sich verbuchen darf.

Der Führer schützt das Recht

Der alte und der junge König funktioniert auch deshalb so gut, weil die Propagandabotschaften doppelt abgesichert sind. Der Monarch ordnet Leutnant von Kattes Enthauptung an, und Katte nimmt das freudig entgegen, weil er dem König und seinem designierten Nachfolger durch sein Sterben einen Dienst erweisen kann. Der König spricht angesichts der Fluchtpläne seines Sohnes von Verrat und einer mit dem Tode zu bestrafenden Meuterei, und Katte, der darum den Kopf verlieren wird, ist völlig seiner Meinung. Aus Liebe zum Kronprinzen (und natürlich aus Liebe zur Prinzessin Wilhelmine, denn schwul sind deutsche Helden nicht) lässt er sich zum Mitmachen bewegen. Vorher aber hat Claus Clausen noch eine Szene, in der er an seinen Bannführer Kass in Hitlerjunge Quex anknüpft. Fritz ist nach einer beim Glücksspiel verbrachten Nacht zu spät und unvorschriftsmäßig gekleidet zum Morgenappell erschienen und nun erbost darüber, dass er auf Befehl seines Vaters strafexerzieren musste. Katte - im Film ein Vorbild an Disziplin, Pflichterfüllung und Soldatentum - zeigt Verständnis für den König, redet Fritz ins Gewissen und ist empört darüber, was der Freund von ihm verlangt: "Und du mutest mir zu, mir, dem Soldaten Katte, dem Kronprinzen von Preußen bei der Fahnenflucht zu helfen!" Dafür, dass er es sich schließlich zumuten lässt, trägt er die Konsequenzen. Nach seinem Tod fährt er mit all seinem Soldatentum in den Thronfolger wie ein böser Geist (im Rahmen des NS-Propagandafilms ist er ein guter), Fritz ist fortan so angefüllt mit Disziplin und Pflichtbewusstsein, dass er platzen würde, wenn er nicht so stahlhart geworden wäre, als Zuschauer dürfen wir daran teilhaben, wie für Preußen ein großer Herrscher und Feldherr geschmiedet wird, und also hat der Soldatenkönig recht getan, indem er Leutnant Katte enthaupten ließ.

Der alte und der junge König

Weil aber Historienfilme nicht im luftleeren Raum entstehen und auch nicht in der Zeit, von der sie zu handeln scheinen, war da noch die Wirklichkeit des Dritten Reichs. Ende Juni/Anfang Juli 1934 wurde mit der Hilfe der SS, der Polizei und der Reichswehr eine als "Nacht der langen Messer" bekannt gewordene Säuberungsaktion in NS-Kreisen durchgeführt, bei der etwa 200 Menschen getötet wurden (darunter auch Opfer einer Namensverwechslung). Offiziell war das erforderlich, um einem angeblich vom SA-Chef Ernst Röhm geplanten Putsch zuvorzukommen. Am 1. Juli, als das Morden noch im Gange war, gab Reichswehrminister Werner von Blomberg einen Tagesbefehl aus, in dem er Hitler für die "soldatische Entschlossenheit" dankte, mit der er die "Verräter und Meuterer" unschädlich gemacht habe. Goebbels war bemüht, die Säuberungen zu vertuschen, konnte aber nicht verhindern, dass sich die unterschiedlichsten Gerüchte verbreiteten. Am 13. Juli schließlich trat Hitler vor den Reichstag, um eine zweistündige Rede zu halten, in der er die zur Absicherung seiner Macht durchgeführte Mordaktion der Nation gegenüber rechtfertigte. Aus Hitlers Gruselrede:

Meutereien bricht man nach ewiggleichen eisernen Gesetzen. Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält, weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten, dann kann ich ihm nur sagen: In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr. Meuternde Divisionen hat man zu allen Zeiten durch Dezimierung wieder zur Ordnung gerufen. Nur ein Staat hat von seinen Kriegsartikeln keinen Gebrauch gemacht, und dieser Staat ist dafür auch zusammengebrochen: Deutschland. Ich wollte nicht das junge Reich dem Schicksal des alten ausliefern. Ich habe den Befehl gegeben, die Hauptschuldigen an diesem Verrat zu erschießen, und ich gab weiter den Befehl, die Geschwüre unserer inneren Brunnenvergiftung und der Vergiftung des Auslandes auszubrennen bis auf das rohe Fleisch. […] Die Nation muss wissen, dass ihre Existenz - und diese wird garantiert durch innere Ordnung und Sicherheit - von niemandem ungestraft bedroht wird! Und es soll jeder für alle Zukunft wissen, dass, wenn er die Hand zum Schlage gegen den Staat erhebt, der sichere Tod sein Los ist. Und jeder Nationalsozialist muss wissen, dass kein Rang und keine Stellung ihn seiner persönlichen Verantwortung und damit seiner Strafe entzieht.

Nicht mit denselben Worten, aber inhaltlich sagt Jannings als Soldatenkönig das gleiche. Meuterei und Verrat (geplante Desertion durch den Kronprinzen, unterstützt von Leutnant Katte), Schicksal des deutschen (preußischen) Volkes, innere Brunnenvergiftung (Fritzens Mutter), Vergiftung des Auslandes (Frankreich, England), Bedrohung von innerer Ordnung und Sicherheit, eiserne Gesetze, kein Nationalsozialist (Kronprinz, Leutnant) ist vor Strafe sicher - das sind die Elemente, aus denen Der alte und der junge König im Kern seine Geschichte bastelt. Natürlich ist der "Röhm-Putsch" nicht 1 zu 1 auf das drakonische Vorgehen des Königs gegen seinen Sohn und dessen besten Freund zu übertragen (obwohl die homosexuelle Komponente gar nicht so uninteressant ist: Röhm war schwul, die Beziehung der beiden Freunde hatte zumindest eine homoerotische Komponente). So funktionieren Propaganda und Indoktrinierung nicht. Man macht da Angebote, und wenn ein Film gut gelungen ist, wird der Zuschauer - anscheinend wie von selbst und doch gelenkt - die gewünschten Verbindungen zur Welt herstellen, in der er lebt.

Das, was Friedrich Wilhelm I. (die Filmfigur - die konkrete historische Person ist in diesem Zusammenhang belanglos) über Recht und Gesetz zu sagen hat, kann man breiter ausgeführt beim Staatsrechtler Carl Schmitt nachlesen. Er veröffentlichte in der Deutschen Juristen-Zeitung (Jahrgang 1934) einen Aufsatz, in dem er nachträglich die Rechtfertigung für die "Nacht der langen Messer" lieferte. Titel: "Der Führer schützt das Recht". Karl Ritter übrigens, der Produzent von Der alte und der junge König, war bekannt dafür, dass er am liebsten in seiner SA-Uniform ins Atelier kam. Man kann in diesem Film sehr wohl eine mit Hilfe seines Freundes Steinhoff hergestellte Ergebenheitsadresse an den Führer sehen.

Drei alte Könige und einen jungen, in einer Reihe, kann man auf einer massenhaft und in mehreren Varianten verbreiteten Postkarte sehen, mit der des "Tages von Potsdam" gedacht wurde. Der Text dazu: "Was der König [Friedrich der Große] eroberte, der Fürst [Bismarck] formte, der Feldmarschall [Hindenburg] verteidigte, rettete und einigte der Soldat [Hitler]." Als Werbekonzept für einen Diktator war das sehr modern. Mussolini ließ sich noch in Helden- und Fürstenpose auf dem Pferd darstellen, mit Schwert und Protzuniform. Hitler verzichtete auf solchen Schnickschnack und verkaufte sich im Zeichen der Einfachheit (als "Soldat"). Das war ein Teil von der Botschaft. Ein anderer: Die NS-Propaganda nützte jede Gelegenheit, das Dritte Reich als logischen Endpunkt der deutschen Geschichte darzustellen. Hitler, der einfache Soldat (und Mann aus dem Volk), als Retter und Einiger des vom "Alten Fritz" Geschaffenen: durch den Rückgriff auf die Geschichte rechtfertigten die Nazis ihre Unterdrückungs- und Eroberungspläne. Der alte und der junge König leistete dazu einen nicht unerheblichen Beitrag. Friedrich macht Preußen auf Geheiß von Emil Jannings groß - pardon, auf Geheiß des Soldatenkönigs, auch einem dieser einfachen Männer (im Schloss bläst er persönlich die überflüssigen Kerzen aus, weil er keinen Luxus mag) -, und Hitler muss Deutschland noch größer machen, um es zu retten (wegen dem "Volk ohne Raum" etc.).

Generationenkonflikt in Staat und Familie

Spätestens im Juli 1934 arbeitete Thea von Harbou am Drehbuch. "Sie kann zwar sehr viel, ist aber eine Kitschliese, der man höllisch auf die Finger sehen muss", schrieb Jannings am 21. Juli an seinen Bruder Walter. Spannend ist das Datum. Acht Tage vorher, am 13. Juli, hatte das Idol der "Kitschliese", Adolf Hitler, im Reichstag die Rede gehalten, mit der er der Nation den "Röhm-Putsch" und sein Verhalten dabei erklärte. Der da vorgetragenen Argumentationslinie folgt auch Friedrich Wilhelm I., wenn er dem Kinopublikum erklärt, warum Leutnant Katte hingerichtet und der Kronprinz in Festungshaft genommen werden muss. Es war die Entscheidung der Filmemacher, ihr Werk mit dem Tod des alten Königs enden zu lassen. Warum eigentlich? Weil es dramatischer ist, die Geschichte über einen Generationenkonflikt nicht nur mit der Versöhnung von Vater und Sohn, sondern obendrein noch mit dem Tod des alten Soldatenkönigs enden zu lassen? Oder sind andere Gründe denkbar?

Mir fällt einer ein, der naheliegend ist, wenn man akzeptiert, dass Historienfilme weniger von vergangenen Epochen als vielmehr von der Zeit handeln, in der sie entstanden sind. Knapp ein Vierteljahr vor Beginn der Dreharbeiten (26.10.1934), und ein halbes Jahr, bevor ein Millionenpublikum den Tod des Soldatenkönigs im Kino sah, war ein anderer "alter König" gestorben (2.8.1934), Reichspräsident Paul von Hindenburg, Feldmarschall und Held der Schlacht bei Tannenberg. Mit ihm und Hitler hatten sich am "Tag von Potsdam" das Kaiserreich und die NS-Diktatur symbolisch die Hand gereicht. Jetzt schlachteten die Nazis auch seinen Tod nach Kräften für sich aus. In der Propaganda war er der Mann, der - bildlich gesprochen - das Szepter an Hitler übergab wie der Soldatenkönig im Film an seinen Sohn. Hindenburg hatte sich gewünscht, auf seinem Landgut begraben werden. Hitler ließ den Leichnam zum Tannenberg-Denkmal überführen. Dort wurde der Sarg am 7. August, im Rahmen einer pompösen Trauerfeier, in den Turm gebracht. Nach der Beseitigung der von ihm als bedrohlich empfundenen Rivalen ("Röhm-Putsch") hatte es nur noch einen Mann gegeben, der Hitlers alleinigem Machtanspruch gefährlich werden konnte: den Präsidenten. Sofort nach Hindenburgs Tod trat ein bereits fertiges Gesetz in Kraft, dem zufolge die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers in der Person von Adolf Hitler zusammenfielen. Hitler war fortan "Führer und Reichskanzler" (den Präsidententitel überließ er Hindenburg, der tot im Turm des Denkmals lag). Die Deutschen durften das nachträglich, per Volksabstimmung am 19. August, für gut befinden.

Der Zusammenhang zwischen den zur Hitler-Diktatur führenden Ereignissen der Jahre 1933/34 und Steinhoffs Film erscheint mir offensichtlich. Der "Generationenkonflikt" ist die Verpackung. Goebbels war es so am liebsten. Das war die Art von Propaganda, die er haben wollte: nicht mit dem Knüppel vorgetragen wie in SA-Mann Brandt oder in Hans Westmar, sondern gewissermaßen familiär und so, dass die Botschaft im Zusammenspiel von Film und Zuschauer entsteht, weil sie dann besser wirkt. Steinhoff konnte das gut. Auch Hitlerjunge Quex erzählt, wenn man so will, vom Generationenkonflikt zwischen Heini Völker und seinem Vater; auch da spielt einer der Großschauspieler der Weimarer Republik (Heinrich George) den Vater. Wenn sich des Königs Kinder wie die Orgelpfeifen vor Friedrich Wilhelm aufstellen wie die "langen Kerls" auf dem Paradeplatz, dann zeigt das nur, dass der Soldatenkönig auch für die Truppe wie ein Vater ist. Und wenn der Landesvater hin und wieder Uniform trägt: Beim König ist das eben so.

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